Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite

muntern konte. Jch schämete mich vor mir selbst,
so lange geschlaffen zu haben, stund aber hurtig auf,
nahm meine 5. gestern geschossene Rebhüner, schoß
unterwegs noch ein junges Reh, und eilete dem
Wege zu, welcher mich zu meiner verlassenen Ge-
sellschafft führen solte.

Mein Rückweg fand sich durch unverdrossenes
Suchen weit leichter und sicherer als der gestrige,
den ich mit Leib- und Lebens-Gefahr hinauf gestie-
gen war, derowegen machte ich mir bey jeder Um-
kehrung ein gewisses Zeichen, um denselben desto
eher wieder zu finden, weil die vielen Absätze der
Felsen von Natur einen würcklichen Jrrgang vor-
stelleten. Mein junges Reh wurde ziemlich be-
stäubt, indem ich selbiges wegen seiner Schwere
immer hinter mir drein schleppte, die Rebhüner
aber hatte mit einem Bande an meinen Halß ge-
henckt, weil ich die Flinte statt eines Wander-
Staabs gebrauchte. Endlich kam ich ohne allen
Schaden herunter, und traff meine zurück gelasse-
ne Gesellschafft, eben bey der Mittags-Mahlzeit vor
der Felsen-Herberge an. Mons. van Leuven und
Concordia sprangen, so bald sie mich nur von fer-
ne erblickten, gleich auf, und kamen mir entgegen
gelauffen. Der erste umarmete und küssete mich,
sagte auch: Monsieur Albert, der erste Bissen, den
wir seit eurer Abwesenheit gegessen haben, steckt
noch in unsern Munde, weil ich und meine Liebste
die Zeit eurer Abwesenheit mit Fasten und gröster
Betrübniß zugebracht haben. Fraget sie selbst, ob
sie nicht seit Mitternachts-Zeit viele Thränen eu-
rentwegen vergossen hat? Madame, gab ich lachend

zur

muntern konte. Jch ſchaͤmete mich vor mir ſelbſt,
ſo lange geſchlaffen zu haben, ſtund aber hurtig auf,
nahm meine 5. geſtern geſchoſſene Rebhuͤner, ſchoß
unterwegs noch ein junges Reh, und eilete dem
Wege zu, welcher mich zu meiner verlaſſenen Ge-
ſellſchafft fuͤhren ſolte.

Mein Ruͤckweg fand ſich durch unverdroſſenes
Suchen weit leichter und ſicherer als der geſtrige,
den ich mit Leib- und Lebens-Gefahr hinauf geſtie-
gen war, derowegen machte ich mir bey jeder Um-
kehrung ein gewiſſes Zeichen, um denſelben deſto
eher wieder zu finden, weil die vielen Abſaͤtze der
Felſen von Natur einen wuͤrcklichen Jrrgang vor-
ſtelleten. Mein junges Reh wurde ziemlich be-
ſtaͤubt, indem ich ſelbiges wegen ſeiner Schwere
immer hinter mir drein ſchleppte, die Rebhuͤner
aber hatte mit einem Bande an meinen Halß ge-
henckt, weil ich die Flinte ſtatt eines Wander-
Staabs gebrauchte. Endlich kam ich ohne allen
Schaden herunter, und traff meine zuruͤck gelaſſe-
ne Geſellſchafft, eben bey der Mittags-Mahlzeit vor
der Felſen-Herberge an. Monſ. van Leuven und
Concordia ſprangen, ſo bald ſie mich nur von fer-
ne erblickten, gleich auf, und kamen mir entgegen
gelauffen. Der erſte umarmete und kuͤſſete mich,
ſagte auch: Monſieur Albert, der erſte Biſſen, den
wir ſeit eurer Abweſenheit gegeſſen haben, ſteckt
noch in unſern Munde, weil ich und meine Liebſte
die Zeit eurer Abweſenheit mit Faſten und groͤſter
Betruͤbniß zugebracht haben. Fraget ſie ſelbſt, ob
ſie nicht ſeit Mitternachts-Zeit viele Thraͤnen eu-
rentwegen vergoſſen hat? Madame, gab ich lachend

zur
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0176" n="162"/>
muntern konte. Jch &#x017F;cha&#x0364;mete mich vor mir &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
&#x017F;o lange ge&#x017F;chlaffen zu haben, &#x017F;tund aber hurtig auf,<lb/>
nahm meine 5. ge&#x017F;tern ge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;ene Rebhu&#x0364;ner, &#x017F;choß<lb/>
unterwegs noch ein junges Reh, und eilete dem<lb/>
Wege zu, welcher mich zu meiner verla&#x017F;&#x017F;enen Ge-<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chafft fu&#x0364;hren &#x017F;olte.</p><lb/>
        <p>Mein Ru&#x0364;ckweg fand &#x017F;ich durch unverdro&#x017F;&#x017F;enes<lb/>
Suchen weit leichter und &#x017F;icherer als der ge&#x017F;trige,<lb/>
den ich mit Leib- und Lebens-Gefahr hinauf ge&#x017F;tie-<lb/>
gen war, derowegen machte ich mir bey jeder Um-<lb/>
kehrung ein gewi&#x017F;&#x017F;es Zeichen, um den&#x017F;elben de&#x017F;to<lb/>
eher wieder zu finden, weil die vielen Ab&#x017F;a&#x0364;tze der<lb/>
Fel&#x017F;en von Natur einen wu&#x0364;rcklichen Jrrgang vor-<lb/>
&#x017F;telleten. Mein junges Reh wurde ziemlich be-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ubt, indem ich &#x017F;elbiges wegen &#x017F;einer Schwere<lb/>
immer hinter mir drein &#x017F;chleppte, die Rebhu&#x0364;ner<lb/>
aber hatte mit einem Bande an meinen Halß ge-<lb/>
henckt, weil ich die Flinte &#x017F;tatt eines Wander-<lb/>
Staabs gebrauchte. Endlich kam ich ohne allen<lb/>
Schaden herunter, und traff meine zuru&#x0364;ck gela&#x017F;&#x017F;e-<lb/>
ne Ge&#x017F;ell&#x017F;chafft, eben bey der Mittags-Mahlzeit vor<lb/>
der Fel&#x017F;en-Herberge an. <hi rendition="#aq">Mon&#x017F;. van Leuven</hi> und<lb/><hi rendition="#aq">Concordia</hi> &#x017F;prangen, &#x017F;o bald &#x017F;ie mich nur von fer-<lb/>
ne erblickten, gleich auf, und kamen mir entgegen<lb/>
gelauffen. Der er&#x017F;te umarmete und ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;ete mich,<lb/>
&#x017F;agte auch: <hi rendition="#aq">Mon&#x017F;ieur Albert,</hi> der er&#x017F;te Bi&#x017F;&#x017F;en, den<lb/>
wir &#x017F;eit eurer Abwe&#x017F;enheit gege&#x017F;&#x017F;en haben, &#x017F;teckt<lb/>
noch in un&#x017F;ern Munde, weil ich und meine Lieb&#x017F;te<lb/>
die Zeit eurer Abwe&#x017F;enheit mit Fa&#x017F;ten und gro&#x0364;&#x017F;ter<lb/>
Betru&#x0364;bniß zugebracht haben. Fraget &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t, ob<lb/>
&#x017F;ie nicht &#x017F;eit Mitternachts-Zeit viele Thra&#x0364;nen eu-<lb/>
rentwegen vergo&#x017F;&#x017F;en hat? <hi rendition="#aq">Madame,</hi> gab ich lachend<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zur</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0176] muntern konte. Jch ſchaͤmete mich vor mir ſelbſt, ſo lange geſchlaffen zu haben, ſtund aber hurtig auf, nahm meine 5. geſtern geſchoſſene Rebhuͤner, ſchoß unterwegs noch ein junges Reh, und eilete dem Wege zu, welcher mich zu meiner verlaſſenen Ge- ſellſchafft fuͤhren ſolte. Mein Ruͤckweg fand ſich durch unverdroſſenes Suchen weit leichter und ſicherer als der geſtrige, den ich mit Leib- und Lebens-Gefahr hinauf geſtie- gen war, derowegen machte ich mir bey jeder Um- kehrung ein gewiſſes Zeichen, um denſelben deſto eher wieder zu finden, weil die vielen Abſaͤtze der Felſen von Natur einen wuͤrcklichen Jrrgang vor- ſtelleten. Mein junges Reh wurde ziemlich be- ſtaͤubt, indem ich ſelbiges wegen ſeiner Schwere immer hinter mir drein ſchleppte, die Rebhuͤner aber hatte mit einem Bande an meinen Halß ge- henckt, weil ich die Flinte ſtatt eines Wander- Staabs gebrauchte. Endlich kam ich ohne allen Schaden herunter, und traff meine zuruͤck gelaſſe- ne Geſellſchafft, eben bey der Mittags-Mahlzeit vor der Felſen-Herberge an. Monſ. van Leuven und Concordia ſprangen, ſo bald ſie mich nur von fer- ne erblickten, gleich auf, und kamen mir entgegen gelauffen. Der erſte umarmete und kuͤſſete mich, ſagte auch: Monſieur Albert, der erſte Biſſen, den wir ſeit eurer Abweſenheit gegeſſen haben, ſteckt noch in unſern Munde, weil ich und meine Liebſte die Zeit eurer Abweſenheit mit Faſten und groͤſter Betruͤbniß zugebracht haben. Fraget ſie ſelbſt, ob ſie nicht ſeit Mitternachts-Zeit viele Thraͤnen eu- rentwegen vergoſſen hat? Madame, gab ich lachend zur

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/176
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/176>, abgerufen am 24.11.2024.