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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

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angekommene junge Wittbe ihren wunderbaren
Lebens-Lauff weitläufftig zu erzehlen anfieng. Da
aber ich/ meine Lieben! entschuldigte sich der Altva-
ter, mich nicht im Stande befinde, selbigen so deut-
lich zu erzehlen, als er von ihrer eigenen Hand be-
schrieben ist, so will ich denselben hiermit meinem
lieben Vetter Eberhard einhändigen, damit er euch
solche Geschicht vorlesen könne.

Jch Eberhard Julius empfing also aus des Alt-
vaters Händen, dieses in Holländischer Sprache
geschriebene Frauenzimmer-Manuscript, welches
ich so fort denen andern in Teutscher Sprache also
lautend herlaß:

Jm Jahr Christi 1647. bin ich, von Jugend auf
sehr unglückseelige, nunmehro aber da ich dieses auf
der Jnsul Felsenburg schreibe, sehr, ja vollkommen
vergnügte Virgilia van Cattmers, zur Welt ge-
bohren worden. Mein Vater war ein Rechts-Ge-
lehrter und Procurator zu Rotterdam, der wegen
seiner besondern Gelehrsamkeit, die Kundschafft der
vornehmsten Leute, um ihnen in ihren Streit-Sa-
chen beyzustehen erlangt, und Hoffnung gehabt, mit
ehesten eine vornehmere Bedienung zu bekommen.
Allein er wurde eines Abends auf freyer Strasse
Meuchelmörderischer Weise, mit 9. Dolch-Stichen
ums Leben gebracht, und zwar eben um die Zeit, da
meine Mutter 5. Tage vorher abermals einer jun-
gen Tochter genesen war. Jch bin damahls 4.
Jahr und 6. Monate alt gewesen, weiß mich aber
noch wohl zu erinnern, wie jämmerlich es aussahe:
Da der annoch starck blutende Cörper meines
Vaters, von darzu bestellten Personen besichtiget,

und
B b 4

angekommene junge Wittbe ihren wunderbaren
Lebens-Lauff weitlaͤufftig zu erzehlen anfieng. Da
aber ich/ meine Lieben! entſchuldigte ſich der Altva-
ter, mich nicht im Stande befinde, ſelbigen ſo deut-
lich zu erzehlen, als er von ihrer eigenen Hand be-
ſchrieben iſt, ſo will ich denſelben hiermit meinem
lieben Vetter Eberhard einhaͤndigen, damit er euch
ſolche Geſchicht vorleſen koͤnne.

Jch Eberhard Julius empfing alſo aus des Alt-
vaters Haͤnden, dieſes in Hollaͤndiſcher Sprache
geſchriebene Frauenzimmer-Manuſcript, welches
ich ſo fort denen andern in Teutſcher Sprache alſo
lautend herlaß:

Jm Jahr Chriſti 1647. bin ich, von Jugend auf
ſehr ungluͤckſeelige, nunmehro aber da ich dieſes auf
der Jnſul Felſenburg ſchreibe, ſehr, ja vollkommen
vergnuͤgte Virgilia van Cattmers, zur Welt ge-
bohren worden. Mein Vater war ein Rechts-Ge-
lehrter und Procurator zu Rotterdam, der wegen
ſeiner beſondern Gelehrſamkeit, die Kundſchafft der
vornehmſten Leute, um ihnen in ihren Streit-Sa-
chen beyzuſtehen erlangt, und Hoffnung gehabt, mit
eheſten eine vornehmere Bedienung zu bekommen.
Allein er wurde eines Abends auf freyer Straſſe
Meuchelmoͤrderiſcher Weiſe, mit 9. Dolch-Stichen
ums Leben gebracht, und zwar eben um die Zeit, da
meine Mutter 5. Tage vorher abermals einer jun-
gen Tochter geneſen war. Jch bin damahls 4.
Jahr und 6. Monate alt geweſen, weiß mich aber
noch wohl zu erinnern, wie jaͤmmerlich es ausſahe:
Da der annoch ſtarck blutende Coͤrper meines
Vaters, von darzu beſtellten Perſonen beſichtiget,

und
B b 4
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[391/0405] angekommene junge Wittbe ihren wunderbaren Lebens-Lauff weitlaͤufftig zu erzehlen anfieng. Da aber ich/ meine Lieben! entſchuldigte ſich der Altva- ter, mich nicht im Stande befinde, ſelbigen ſo deut- lich zu erzehlen, als er von ihrer eigenen Hand be- ſchrieben iſt, ſo will ich denſelben hiermit meinem lieben Vetter Eberhard einhaͤndigen, damit er euch ſolche Geſchicht vorleſen koͤnne. Jch Eberhard Julius empfing alſo aus des Alt- vaters Haͤnden, dieſes in Hollaͤndiſcher Sprache geſchriebene Frauenzimmer-Manuſcript, welches ich ſo fort denen andern in Teutſcher Sprache alſo lautend herlaß: Jm Jahr Chriſti 1647. bin ich, von Jugend auf ſehr ungluͤckſeelige, nunmehro aber da ich dieſes auf der Jnſul Felſenburg ſchreibe, ſehr, ja vollkommen vergnuͤgte Virgilia van Cattmers, zur Welt ge- bohren worden. Mein Vater war ein Rechts-Ge- lehrter und Procurator zu Rotterdam, der wegen ſeiner beſondern Gelehrſamkeit, die Kundſchafft der vornehmſten Leute, um ihnen in ihren Streit-Sa- chen beyzuſtehen erlangt, und Hoffnung gehabt, mit eheſten eine vornehmere Bedienung zu bekommen. Allein er wurde eines Abends auf freyer Straſſe Meuchelmoͤrderiſcher Weiſe, mit 9. Dolch-Stichen ums Leben gebracht, und zwar eben um die Zeit, da meine Mutter 5. Tage vorher abermals einer jun- gen Tochter geneſen war. Jch bin damahls 4. Jahr und 6. Monate alt geweſen, weiß mich aber noch wohl zu erinnern, wie jaͤmmerlich es ausſahe: Da der annoch ſtarck blutende Coͤrper meines Vaters, von darzu beſtellten Perſonen beſichtiget, und B b 4

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/405>, abgerufen am 16.06.2024.