Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite

und dabey öffentlich gesagt wurde, daß diesen Mord
kein anderer Mensch angestellet hätte, als ein Ge-
wissen loser reicher Mann, gegen welchen er Tags
vorhero einen rechtlichen Proceß zum Ende ge-
bracht, der mehr als hundert tausend Thaler anbe-
troffen, und worbey mein Vater vor seine Mühe
sogleich auf der Stelle 2000. Thaler bekommen
hatte.

Vor meine Person war es unglücklich genung
zu schätzen, einen treuen Vater solchergestalt zu
verlieren, allein das unerf[o]rschliche Schicksal hatte
noch ein mehreres über mich beschlossen, denn zwölff
Tage hernach starb auch meine liebe Mutter, und
nahm ihr jüngst gebohrnes Töchterlein, welches nur
4. Stunden vorher verschieden, zugleich mit in das
Grab. Jndem ich nun die eintzige Erbin von mei-
ner Eltern Verlassenschafft war, so fand sich gar
bald ein wohlhabender Kauffmann, der meiner
Mutter wegen mein naher Vetter war, und also
nebst meinem zu Gelde geschlagenen Erbtheile, die
Vormundschafft übernahm. Mein Vermögen
belieff sich etwa auf 18000. Thl. ohne den Schmuck,
Kleider-Werck und schönen Hauß-Rath, den mir
meine Mutter in ihrer wohlbestellten Haußhaltung
zurück gelassen hatte. Allein die Frau meines
Pflege-Vaters war, nebst andern Lastern, dem
schändlichen Geitze dermassen ergeben, daß sie
meine schönsten Sachen unter ihre drey Töchter
vertheilete, denen ich bey zunehmenden Jahren als
eine Magd aufwarten, und nur zufrieden seyn mu-
ste, wenn mich Mutter und Töchter nicht täglich
aufs erbärmlichste mit Schlägen tractirten. Wem

wolte

und dabey oͤffentlich geſagt wurde, daß dieſen Mord
kein anderer Menſch angeſtellet haͤtte, als ein Ge-
wiſſen loſer reicher Mann, gegen welchen er Tags
vorhero einen rechtlichen Proceß zum Ende ge-
bracht, der mehr als hundert tauſend Thaler anbe-
troffen, und worbey mein Vater vor ſeine Muͤhe
ſogleich auf der Stelle 2000. Thaler bekommen
hatte.

Vor meine Perſon war es ungluͤcklich genung
zu ſchaͤtzen, einen treuen Vater ſolchergeſtalt zu
verlieren, allein das unerf[o]rſchliche Schickſal hatte
noch ein mehreres uͤber mich beſchloſſen, denn zwoͤlff
Tage hernach ſtarb auch meine liebe Mutter, und
nahm ihr juͤngſt gebohrnes Toͤchterlein, welches nur
4. Stunden vorher verſchieden, zugleich mit in das
Grab. Jndem ich nun die eintzige Erbin von mei-
ner Eltern Verlaſſenſchafft war, ſo fand ſich gar
bald ein wohlhabender Kauffmann, der meiner
Mutter wegen mein naher Vetter war, und alſo
nebſt meinem zu Gelde geſchlagenen Erbtheile, die
Vormundſchafft uͤbernahm. Mein Vermoͤgen
belieff ſich etwa auf 18000. Thl. ohne den Schmuck,
Kleider-Werck und ſchoͤnen Hauß-Rath, den mir
meine Mutter in ihrer wohlbeſtellten Haußhaltung
zuruͤck gelaſſen hatte. Allein die Frau meines
Pflege-Vaters war, nebſt andern Laſtern, dem
ſchaͤndlichen Geitze dermaſſen ergeben, daß ſie
meine ſchoͤnſten Sachen unter ihre drey Toͤchter
vertheilete, denen ich bey zunehmenden Jahren als
eine Magd aufwarten, und nur zufrieden ſeyn mu-
ſte, wenn mich Mutter und Toͤchter nicht taͤglich
aufs erbaͤrmlichſte mit Schlaͤgen tractirten. Wem

wolte
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0406" n="392"/>
und dabey o&#x0364;ffentlich ge&#x017F;agt wurde, daß die&#x017F;en Mord<lb/>
kein anderer Men&#x017F;ch ange&#x017F;tellet ha&#x0364;tte, als ein Ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en lo&#x017F;er reicher Mann, gegen welchen er Tags<lb/>
vorhero einen rechtlichen <hi rendition="#aq">Proceß</hi> zum Ende ge-<lb/>
bracht, der mehr als hundert tau&#x017F;end Thaler anbe-<lb/>
troffen, und worbey mein Vater vor &#x017F;eine Mu&#x0364;he<lb/>
&#x017F;ogleich auf der Stelle 2000. Thaler bekommen<lb/>
hatte.</p><lb/>
        <p>Vor meine Per&#x017F;on war es unglu&#x0364;cklich genung<lb/>
zu &#x017F;cha&#x0364;tzen, einen treuen Vater &#x017F;olcherge&#x017F;talt zu<lb/>
verlieren, allein das unerf<supplied>o</supplied>r&#x017F;chliche Schick&#x017F;al hatte<lb/>
noch ein mehreres u&#x0364;ber mich be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, denn zwo&#x0364;lff<lb/>
Tage hernach &#x017F;tarb auch meine liebe <choice><sic>Mntter</sic><corr>Mutter</corr></choice>, und<lb/>
nahm ihr ju&#x0364;ng&#x017F;t gebohrnes To&#x0364;chterlein, welches nur<lb/>
4. Stunden vorher ver&#x017F;chieden, zugleich mit in das<lb/>
Grab. Jndem ich nun die eintzige Erbin von mei-<lb/>
ner Eltern Verla&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafft war, &#x017F;o fand &#x017F;ich gar<lb/>
bald ein wohlhabender Kauffmann, der meiner<lb/>
Mutter wegen mein naher Vetter war, und al&#x017F;o<lb/>
neb&#x017F;t meinem zu Gelde ge&#x017F;chlagenen Erbtheile, die<lb/>
Vormund&#x017F;chafft u&#x0364;bernahm. Mein Vermo&#x0364;gen<lb/>
belieff &#x017F;ich etwa auf 18000. Thl. ohne den Schmuck,<lb/>
Kleider-Werck und &#x017F;cho&#x0364;nen Hauß-Rath, den mir<lb/>
meine Mutter in ihrer wohlbe&#x017F;tellten Haußhaltung<lb/>
zuru&#x0364;ck gela&#x017F;&#x017F;en hatte. Allein die Frau meines<lb/>
Pflege-Vaters war, neb&#x017F;t andern La&#x017F;tern, dem<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ndlichen Geitze derma&#x017F;&#x017F;en ergeben, daß &#x017F;ie<lb/>
meine &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Sachen unter ihre drey To&#x0364;chter<lb/>
vertheilete, denen ich bey zunehmenden Jahren als<lb/>
eine Magd aufwarten, und nur zufrieden &#x017F;eyn mu-<lb/>
&#x017F;te, wenn mich Mutter und To&#x0364;chter nicht ta&#x0364;glich<lb/>
aufs erba&#x0364;rmlich&#x017F;te mit Schla&#x0364;gen <hi rendition="#aq">tractirt</hi>en. Wem<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wolte</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[392/0406] und dabey oͤffentlich geſagt wurde, daß dieſen Mord kein anderer Menſch angeſtellet haͤtte, als ein Ge- wiſſen loſer reicher Mann, gegen welchen er Tags vorhero einen rechtlichen Proceß zum Ende ge- bracht, der mehr als hundert tauſend Thaler anbe- troffen, und worbey mein Vater vor ſeine Muͤhe ſogleich auf der Stelle 2000. Thaler bekommen hatte. Vor meine Perſon war es ungluͤcklich genung zu ſchaͤtzen, einen treuen Vater ſolchergeſtalt zu verlieren, allein das unerforſchliche Schickſal hatte noch ein mehreres uͤber mich beſchloſſen, denn zwoͤlff Tage hernach ſtarb auch meine liebe Mutter, und nahm ihr juͤngſt gebohrnes Toͤchterlein, welches nur 4. Stunden vorher verſchieden, zugleich mit in das Grab. Jndem ich nun die eintzige Erbin von mei- ner Eltern Verlaſſenſchafft war, ſo fand ſich gar bald ein wohlhabender Kauffmann, der meiner Mutter wegen mein naher Vetter war, und alſo nebſt meinem zu Gelde geſchlagenen Erbtheile, die Vormundſchafft uͤbernahm. Mein Vermoͤgen belieff ſich etwa auf 18000. Thl. ohne den Schmuck, Kleider-Werck und ſchoͤnen Hauß-Rath, den mir meine Mutter in ihrer wohlbeſtellten Haußhaltung zuruͤck gelaſſen hatte. Allein die Frau meines Pflege-Vaters war, nebſt andern Laſtern, dem ſchaͤndlichen Geitze dermaſſen ergeben, daß ſie meine ſchoͤnſten Sachen unter ihre drey Toͤchter vertheilete, denen ich bey zunehmenden Jahren als eine Magd aufwarten, und nur zufrieden ſeyn mu- ſte, wenn mich Mutter und Toͤchter nicht taͤglich aufs erbaͤrmlichſte mit Schlaͤgen tractirten. Wem wolte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/406
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/406>, abgerufen am 24.11.2024.