wolte ich mein Elend klagen, da ich in der gantzen Stadt sonst keinen Anverwandten hatte, frembden Leuten aber durffte mein Hertz nicht eröffnen, weil meine Auffrichtigkeit schon öffters übel angekom- men war, und von den 4. Furien desto übler beloh- net wurde.
Solchergestalt trug ich mein Elend biß ins 14. Jahr mit gröster Gedult, und wuchs zu aller Leute Verwunderung, und bey schlechter Verpflegung dennoch starck in die Höhe. Meiner Pflege-Mut- ter allergröster Verdruß aber bestund darinne, daß die meisten Leute von meiner Gesichts-Bildung, Leibes-Gestalt und gantzen Wesen mehr Wesens und rühmens machten, als von ihren eigenen Töch- tern, welche nicht allein von Natur ziemlich heßlich gebildet, sondern auch einer geilen und leichtfertigen Lebens-Art gewohnt waren. Jch muste dieserwe- gen viele Schmach-Reden und Verdrießlichkeiten erdulten, war aber bereits dermassen im Elende ab- gehärtet, daß mich fast nicht mehr darum beküm- merte.
Mitlerweile bekam ich ohnvermuthet einen Lieb- haber an dem vornehmsten Handels-Diener mei- nes Pflege-Vaters, dieses war ein Mensch von et- liche 20. Jahren, und konte täglich mit Augen an- sehen, wie unbillig und schändlich ich arme Wäyse, vor mein Geld, welches mein Pflege-Vater | in sei- nen Nutzen verwendet hatte, tractiret wurde, weiln ihm aber alle Gelegenheit abgeschnitten war, mit mir ein vertrautes Gespräch zu halten, steckte er mir eines Tages einen kleinen Brief in die Hand, worinnen nicht allein sein hefftiges Mitleyden we-
gen
B b 5
wolte ich mein Elend klagen, da ich in der gantzen Stadt ſonſt keinen Anverwandten hatte, frembden Leuten aber durffte mein Hertz nicht eroͤffnen, weil meine Auffrichtigkeit ſchon oͤffters uͤbel angekom- men war, und von den 4. Furien deſto uͤbler beloh- net wurde.
Solchergeſtalt trug ich mein Elend biß ins 14. Jahr mit groͤſter Gedult, und wuchs zu aller Leute Verwunderung, und bey ſchlechter Verpflegung dennoch ſtarck in die Hoͤhe. Meiner Pflege-Mut- ter allergroͤſter Verdruß aber beſtund darinne, daß die meiſten Leute von meiner Geſichts-Bildung, Leibes-Geſtalt und gantzen Weſen mehr Weſens und ruͤhmens machten, als von ihren eigenen Toͤch- tern, welche nicht allein von Natur ziemlich heßlich gebildet, ſondern auch einer geilen und leichtfertigen Lebens-Art gewohnt waren. Jch muſte dieſerwe- gen viele Schmach-Reden und Verdrießlichkeiten erdulten, war aber bereits dermaſſen im Elende ab- gehaͤrtet, daß mich faſt nicht mehr darum bekuͤm- merte.
Mitlerweile bekam ich ohnvermuthet einen Lieb- haber an dem vornehmſten Handels-Diener mei- nes Pflege-Vaters, dieſes war ein Menſch von et- liche 20. Jahren, und konte taͤglich mit Augen an- ſehen, wie unbillig und ſchaͤndlich ich arme Waͤyſe, vor mein Geld, welches mein Pflege-Vater | in ſei- nen Nutzen verwendet hatte, tractiret wurde, weiln ihm aber alle Gelegenheit abgeſchnitten war, mit mir ein vertrautes Geſpraͤch zu halten, ſteckte er mir eines Tages einen kleinen Brief in die Hand, worinnen nicht allein ſein hefftiges Mitleyden we-
gen
B b 5
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0407"n="393"/>
wolte ich mein Elend klagen, da ich in der gantzen<lb/>
Stadt ſonſt keinen Anverwandten hatte, frembden<lb/>
Leuten aber durffte mein Hertz nicht eroͤffnen, weil<lb/>
meine Auffrichtigkeit ſchon oͤffters uͤbel angekom-<lb/>
men war, und von den 4. <hirendition="#aq">Furi</hi>en deſto uͤbler beloh-<lb/>
net wurde.</p><lb/><p>Solchergeſtalt trug ich mein Elend biß ins 14.<lb/>
Jahr mit groͤſter Gedult, und wuchs zu aller Leute<lb/>
Verwunderung, und bey ſchlechter Verpflegung<lb/>
dennoch ſtarck in die Hoͤhe. Meiner Pflege-Mut-<lb/>
ter allergroͤſter Verdruß aber beſtund darinne, daß<lb/>
die meiſten Leute von meiner Geſichts-Bildung,<lb/>
Leibes-Geſtalt und gantzen Weſen mehr Weſens<lb/>
und ruͤhmens machten, als von ihren eigenen Toͤch-<lb/>
tern, welche nicht allein von Natur ziemlich heßlich<lb/>
gebildet, ſondern auch einer geilen und leichtfertigen<lb/>
Lebens-Art gewohnt waren. Jch muſte dieſerwe-<lb/>
gen viele Schmach-Reden und Verdrießlichkeiten<lb/>
erdulten, war aber bereits dermaſſen im Elende ab-<lb/>
gehaͤrtet, daß mich faſt nicht mehr darum bekuͤm-<lb/>
merte.</p><lb/><p>Mitlerweile bekam ich ohnvermuthet einen Lieb-<lb/>
haber an dem vornehmſten Handels-Diener mei-<lb/>
nes Pflege-Vaters, dieſes war ein Menſch von et-<lb/>
liche 20. Jahren, und konte taͤglich mit Augen an-<lb/>ſehen, wie unbillig und ſchaͤndlich ich arme Waͤyſe,<lb/>
vor mein Geld, welches mein Pflege-Vater | in ſei-<lb/>
nen Nutzen verwendet hatte, <hirendition="#aq">tractir</hi>et wurde,<lb/>
weiln ihm aber alle Gelegenheit abgeſchnitten war,<lb/>
mit mir ein vertrautes Geſpraͤch zu halten, ſteckte er<lb/>
mir eines Tages einen kleinen Brief in die Hand,<lb/>
worinnen nicht allein ſein hefftiges Mitleyden we-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">B b 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">gen</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[393/0407]
wolte ich mein Elend klagen, da ich in der gantzen
Stadt ſonſt keinen Anverwandten hatte, frembden
Leuten aber durffte mein Hertz nicht eroͤffnen, weil
meine Auffrichtigkeit ſchon oͤffters uͤbel angekom-
men war, und von den 4. Furien deſto uͤbler beloh-
net wurde.
Solchergeſtalt trug ich mein Elend biß ins 14.
Jahr mit groͤſter Gedult, und wuchs zu aller Leute
Verwunderung, und bey ſchlechter Verpflegung
dennoch ſtarck in die Hoͤhe. Meiner Pflege-Mut-
ter allergroͤſter Verdruß aber beſtund darinne, daß
die meiſten Leute von meiner Geſichts-Bildung,
Leibes-Geſtalt und gantzen Weſen mehr Weſens
und ruͤhmens machten, als von ihren eigenen Toͤch-
tern, welche nicht allein von Natur ziemlich heßlich
gebildet, ſondern auch einer geilen und leichtfertigen
Lebens-Art gewohnt waren. Jch muſte dieſerwe-
gen viele Schmach-Reden und Verdrießlichkeiten
erdulten, war aber bereits dermaſſen im Elende ab-
gehaͤrtet, daß mich faſt nicht mehr darum bekuͤm-
merte.
Mitlerweile bekam ich ohnvermuthet einen Lieb-
haber an dem vornehmſten Handels-Diener mei-
nes Pflege-Vaters, dieſes war ein Menſch von et-
liche 20. Jahren, und konte taͤglich mit Augen an-
ſehen, wie unbillig und ſchaͤndlich ich arme Waͤyſe,
vor mein Geld, welches mein Pflege-Vater | in ſei-
nen Nutzen verwendet hatte, tractiret wurde,
weiln ihm aber alle Gelegenheit abgeſchnitten war,
mit mir ein vertrautes Geſpraͤch zu halten, ſteckte er
mir eines Tages einen kleinen Brief in die Hand,
worinnen nicht allein ſein hefftiges Mitleyden we-
gen
B b 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage… [mehr]
1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage folgte schon 1732. Zum Zeitpunkt der Digitalisierung stand nur die dritte Auflage von 1740 zur Verfügung. (Link zur Erstausgabe: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:3:1-459276)
Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/407>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.