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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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diret waren. Die guten Bauers-Leute hatten von
meinem gehabten Unglücke bereits ziemliche Nach-
richt, und zwar aus der Edel-Frauen eigenen Mun-
de, bey welcher die Bäurin ohnlängst als Magd in
Diensten gewesen, beklagten derowegen zwar mein
unschuldig erlittenes Elend, wußten sich aber nicht zu
resolviren, ob sie es aus Furcht vor dem Obristen
wagen dürfften, mir ein Nacht-Lager im Hause zu
verstatten. Endlich überwog doch die Barmher-
tzigkeit alle Furcht, so, daß ich nicht allein Speise
und Tranck, sondern auch Erlaubniß von ihnen er-
hielt, diese Nacht, ja so lange in ihrem Hause zu
bleiben, bis sie vernommen, ob etwa die Edel-Frau
vor mich sorgen wolte. Dieses zu erfahren, ging
die Bäurin, noch ehe es völlig Nacht wurde, zur
Edel-Frau, kam aber bald zurück, und brachte diese
gnädige Dame selbsten zu mir geführet, welche, so
bald sie mich dergestalt jämmerlich in einem Win-
ckel sitzen sahe, augenblicklich helle Thränen zu ver-
giessen anfing. Jch weinete ebenfalls, hörete aber,
daß sie folgende Worte zu mir sprach: Ach, mein
Kind! verzeihet! ja verzeihet mir, ich bin schuld an
eurem Unglücke, denn hätte ich euch nicht zur Erzeh-
lung eurer Geschichte beredet, so hättet ihr nicht der-
gleichen kindische unbedachtsame Reden fliegen las-
sen, ich wünsche hertzlich, zu erfahren, wer euch ver-
rathen hat, denn es muß ohnfehlbar einer von un-
sern Bedienten dieses Schelmenstücke verübet ha-
ben. Der Himmel lindere eure Schmertzen, ver-
trauet auf GOtt und meine möglichste Beyhülffe,
denn ich will euch morgende Nacht an einen Ort
bringen lassen, wo es euch wohl gehen soll, so bald

uns

diret waren. Die guten Bauers-Leute hatten von
meinem gehabten Ungluͤcke bereits ziemliche Nach-
richt, und zwar aus der Edel-Frauen eigenen Mun-
de, bey welcher die Baͤurin ohnlaͤngſt als Magd in
Dienſten geweſen, beklagten derowegen zwar mein
unſchuldig erlittenes Elend, wußten ſich aber nicht zu
reſolviren, ob ſie es aus Furcht vor dem Obriſten
wagen duͤrfften, mir ein Nacht-Lager im Hauſe zu
verſtatten. Endlich uͤberwog doch die Barmher-
tzigkeit alle Furcht, ſo, daß ich nicht allein Speiſe
und Tranck, ſondern auch Erlaubniß von ihnen er-
hielt, dieſe Nacht, ja ſo lange in ihrem Hauſe zu
bleiben, bis ſie vernommen, ob etwa die Edel-Frau
vor mich ſorgen wolte. Dieſes zu erfahren, ging
die Baͤurin, noch ehe es voͤllig Nacht wurde, zur
Edel-Frau, kam aber bald zuruͤck, und brachte dieſe
gnaͤdige Dame ſelbſten zu mir gefuͤhret, welche, ſo
bald ſie mich dergeſtalt jaͤmmerlich in einem Win-
ckel ſitzen ſahe, augenblicklich helle Thraͤnen zu ver-
gieſſen anfing. Jch weinete ebenfalls, hoͤrete aber,
daß ſie folgende Worte zu mir ſprach: Ach, mein
Kind! verzeihet! ja verzeihet mir, ich bin ſchuld an
eurem Ungluͤcke, denn haͤtte ich euch nicht zur Erzeh-
lung eurer Geſchichte beredet, ſo haͤttet ihr nicht der-
gleichen kindiſche unbedachtſame Reden fliegen laſ-
ſen, ich wuͤnſche hertzlich, zu erfahren, wer euch ver-
rathen hat, denn es muß ohnfehlbar einer von un-
ſern Bedienten dieſes Schelmenſtuͤcke veruͤbet ha-
ben. Der Himmel lindere eure Schmertzen, ver-
trauet auf GOtt und meine moͤglichſte Beyhuͤlffe,
denn ich will euch morgende Nacht an einen Ort
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uns
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[90/0104] diret waren. Die guten Bauers-Leute hatten von meinem gehabten Ungluͤcke bereits ziemliche Nach- richt, und zwar aus der Edel-Frauen eigenen Mun- de, bey welcher die Baͤurin ohnlaͤngſt als Magd in Dienſten geweſen, beklagten derowegen zwar mein unſchuldig erlittenes Elend, wußten ſich aber nicht zu reſolviren, ob ſie es aus Furcht vor dem Obriſten wagen duͤrfften, mir ein Nacht-Lager im Hauſe zu verſtatten. Endlich uͤberwog doch die Barmher- tzigkeit alle Furcht, ſo, daß ich nicht allein Speiſe und Tranck, ſondern auch Erlaubniß von ihnen er- hielt, dieſe Nacht, ja ſo lange in ihrem Hauſe zu bleiben, bis ſie vernommen, ob etwa die Edel-Frau vor mich ſorgen wolte. Dieſes zu erfahren, ging die Baͤurin, noch ehe es voͤllig Nacht wurde, zur Edel-Frau, kam aber bald zuruͤck, und brachte dieſe gnaͤdige Dame ſelbſten zu mir gefuͤhret, welche, ſo bald ſie mich dergeſtalt jaͤmmerlich in einem Win- ckel ſitzen ſahe, augenblicklich helle Thraͤnen zu ver- gieſſen anfing. Jch weinete ebenfalls, hoͤrete aber, daß ſie folgende Worte zu mir ſprach: Ach, mein Kind! verzeihet! ja verzeihet mir, ich bin ſchuld an eurem Ungluͤcke, denn haͤtte ich euch nicht zur Erzeh- lung eurer Geſchichte beredet, ſo haͤttet ihr nicht der- gleichen kindiſche unbedachtſame Reden fliegen laſ- ſen, ich wuͤnſche hertzlich, zu erfahren, wer euch ver- rathen hat, denn es muß ohnfehlbar einer von un- ſern Bedienten dieſes Schelmenſtuͤcke veruͤbet ha- ben. Der Himmel lindere eure Schmertzen, ver- trauet auf GOtt und meine moͤglichſte Beyhuͤlffe, denn ich will euch morgende Nacht an einen Ort bringen laſſen, wo es euch wohl gehen ſoll, ſo bald uns

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/104>, abgerufen am 28.11.2024.