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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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uns aber GOtt von den Schweden befreyet, will ich
euch in mein Haus als ein Kind aufnehmen. Hier-
mit klopfte sie mich sanfft auf den Backen, ich aber
küssete und benetzte ihre Hand mit meinen Thränen,
weßwegen sie mir desto mehr Trost zusprach, und
sich nichts abhalten ließ, meinen jämmerlich-ver-
wundeten Leib selbst zu besichtigen. Ach! schrie sie,
ist dieses eine Marque der Schwedischen Frömmig-
keit und GOttesfurcht? O ihr Tyrannen! so ihr
Türcken! ist es zu verantworten, einen unmündi-
gen Knaben, um eines unbesonnenen Worts willen,
welches ihm der Jammer wegen des Angedenckens
seines entleibten Vaters ausgetrieben, dergestalt zu
tractiren? Ach! wo ist hier die Proportion zwischen
der Strafe und dem Verbrechen zu finden? Ach!
das arme Kind hätte sich, wenn es recht unterrichtet
und zu Verstande gebracht worden, wohl 1000.
mahl anders bedacht, und die einfältige Hitze seiner
Jugend hernachmahls selbst gemißbilliget. Solche
und dergleichen Reden führete sie noch einige Zeit,
nahm endlich Abschied von mir, die Bäurin aber mit
sich auf ihren Hof, von wannen dieselbe vor mich ein
weisses Hemde, nebst etlichen köstlichen Confituren
und einer Flasche Wein mitbrachte, anbey Befehl
erhalten hatte, selbigen zu wärmen, und meinen gan-
tzen Leib damit abzuwaschen, welches zwar anfänglich
sehr schmertzhafft, jedoch nachhero ungemein
schmertz-stillend war, und da ich nachhero auch ein
paar Gläser Wein darauf getruncken, verschlief ich
in folgender Nacht den größten Theil meiner Plagen
und Sorgen.

So bald sich gegen Mittag meine Augen wieder

eröff-

uns aber GOtt von den Schweden befreyet, will ich
euch in mein Haus als ein Kind aufnehmen. Hier-
mit klopfte ſie mich ſanfft auf den Backen, ich aber
kuͤſſete und benetzte ihre Hand mit meinen Thraͤnen,
weßwegen ſie mir deſto mehr Troſt zuſprach, und
ſich nichts abhalten ließ, meinen jaͤmmerlich-ver-
wundeten Leib ſelbſt zu beſichtigen. Ach! ſchrie ſie,
iſt dieſes eine Marque der Schwediſchen Froͤmmig-
keit und GOttesfurcht? O ihr Tyrannen! ſo ihr
Tuͤrcken! iſt es zu verantworten, einen unmuͤndi-
gen Knaben, um eines unbeſonnenen Worts willen,
welches ihm der Jammer wegen des Angedenckens
ſeines entleibten Vaters ausgetrieben, dergeſtalt zu
tractiren? Ach! wo iſt hier die Proportion zwiſchen
der Strafe und dem Verbrechen zu finden? Ach!
das arme Kind haͤtte ſich, wenn es recht unterrichtet
und zu Verſtande gebracht worden, wohl 1000.
mahl anders bedacht, und die einfaͤltige Hitze ſeiner
Jugend hernachmahls ſelbſt gemißbilliget. Solche
und dergleichen Reden fuͤhrete ſie noch einige Zeit,
nahm endlich Abſchied von mir, die Baͤurin aber mit
ſich auf ihren Hof, von wannen dieſelbe vor mich ein
weiſſes Hemde, nebſt etlichen koͤſtlichen Confituren
und einer Flaſche Wein mitbrachte, anbey Befehl
erhalten hatte, ſelbigen zu waͤrmen, und meinen gan-
tzen Leib damit abzuwaſchen, welches zwaꝛ anfaͤnglich
ſehr ſchmertzhafft, jedoch nachhero ungemein
ſchmertz-ſtillend war, und da ich nachhero auch ein
paar Glaͤſer Wein darauf getruncken, verſchlief ich
in folgender Nacht den groͤßten Theil meiner Plagen
und Sorgen.

So bald ſich gegen Mittag meine Augen wieder

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[91/0105] uns aber GOtt von den Schweden befreyet, will ich euch in mein Haus als ein Kind aufnehmen. Hier- mit klopfte ſie mich ſanfft auf den Backen, ich aber kuͤſſete und benetzte ihre Hand mit meinen Thraͤnen, weßwegen ſie mir deſto mehr Troſt zuſprach, und ſich nichts abhalten ließ, meinen jaͤmmerlich-ver- wundeten Leib ſelbſt zu beſichtigen. Ach! ſchrie ſie, iſt dieſes eine Marque der Schwediſchen Froͤmmig- keit und GOttesfurcht? O ihr Tyrannen! ſo ihr Tuͤrcken! iſt es zu verantworten, einen unmuͤndi- gen Knaben, um eines unbeſonnenen Worts willen, welches ihm der Jammer wegen des Angedenckens ſeines entleibten Vaters ausgetrieben, dergeſtalt zu tractiren? Ach! wo iſt hier die Proportion zwiſchen der Strafe und dem Verbrechen zu finden? Ach! das arme Kind haͤtte ſich, wenn es recht unterrichtet und zu Verſtande gebracht worden, wohl 1000. mahl anders bedacht, und die einfaͤltige Hitze ſeiner Jugend hernachmahls ſelbſt gemißbilliget. Solche und dergleichen Reden fuͤhrete ſie noch einige Zeit, nahm endlich Abſchied von mir, die Baͤurin aber mit ſich auf ihren Hof, von wannen dieſelbe vor mich ein weiſſes Hemde, nebſt etlichen koͤſtlichen Confituren und einer Flaſche Wein mitbrachte, anbey Befehl erhalten hatte, ſelbigen zu waͤrmen, und meinen gan- tzen Leib damit abzuwaſchen, welches zwaꝛ anfaͤnglich ſehr ſchmertzhafft, jedoch nachhero ungemein ſchmertz-ſtillend war, und da ich nachhero auch ein paar Glaͤſer Wein darauf getruncken, verſchlief ich in folgender Nacht den groͤßten Theil meiner Plagen und Sorgen. So bald ſich gegen Mittag meine Augen wieder eroͤff-

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/105>, abgerufen am 28.11.2024.