den Sterbe-Fall noch eine ziemliche Erbschafft zu hoffen hatte. Mein ältester Bruder, welcher keine Lust zum Studiren, hingegen desto grössere zur Chi- rurgie und Barbier-Kunst bezeigte, wurde also in seinem 16ten Jahre zu einem berühmten Meister, die- ser Profeßion gebracht. Er reisete nach ausgestan- denen 3. Lehr-Jahren in die Welt, kam nach 6. jäh- riger Abwesenheit wieder zu Hause, nahm aber bald darauf Dienste auf der Schwedischen Flotte unter dem Schout bey Nacht Ehrenschild, da aber ein Theil gedachter Flotte am 27. Jul. 1714. von den Russen geschlagen wurde, hatte mein ehrlicher Bru- der auch das Unglück, sein junges Leben darbey zu verliehren. Jch meines Theils, war von Jugend an desto eifriger auf die Bücher erpicht, und mein ge- treuer Informator, gab sich so wohl, als mein leibli- cher Vater, die äusserste Mühe, so bald ich nur das deutliche Reden erlernet, mir zu gleich mit der teut- schen, |auch die lateinische Sprache so zu sagen in der Mutter-Milch einzuflössen. Weiln ich nun die Grund-Regeln derselben nach und nach recht spie- lend fassete, so setzten mich meine treuen Praecepto- res auf dem Elbinger Gymnasio in meinem 13ten Jahre mit in Selectam, wodurch mein beständiger Fleiß um so viel desto mehr angefrischet wurde. Aus- ser diesem widmete ich meine Frey-Stunden der Choral-und Instrumental-Music, und brachte es durch unermüdete Lust und Liebe, ziemlich weit dar- innen. Weiln aber ausser dem Geld-Beutel mei- ner lieben Mutter, die doch nebst denen noch übrigen 5. Kindern, selbst von der Schnure zehren mußte, we- nige Beyhülffe zu suchen wußte, indem unsere alte
Frau
den Sterbe-Fall noch eine ziemliche Erbſchafft zu hoffen hatte. Mein aͤlteſter Bruder, welcher keine Luſt zum Studiren, hingegen deſto groͤſſere zur Chi- rurgie und Barbier-Kunſt bezeigte, wurde alſo in ſeinem 16ten Jahre zu einem beruͤhmten Meiſter, die- ſer Profeßion gebracht. Er reiſete nach ausgeſtan- denen 3. Lehr-Jahren in die Welt, kam nach 6. jaͤh- riger Abweſenheit wieder zu Hauſe, nahm aber bald darauf Dienſte auf der Schwediſchen Flotte unter dem Schout bey Nacht Ehrenſchild, da aber ein Theil gedachter Flotte am 27. Jul. 1714. von den Ruſſen geſchlagen wurde, hatte mein ehrlicher Bru- der auch das Ungluͤck, ſein junges Leben darbey zu verliehren. Jch meines Theils, war von Jugend an deſto eifriger auf die Buͤcher erpicht, und mein ge- treuer Informator, gab ſich ſo wohl, als mein leibli- cher Vater, die aͤuſſerſte Muͤhe, ſo bald ich nur das deutliche Reden erlernet, mir zu gleich mit der teut- ſchen, |auch die lateiniſche Sprache ſo zu ſagen in der Mutter-Milch einzufloͤſſen. Weiln ich nun die Grund-Regeln derſelben nach und nach recht ſpie- lend faſſete, ſo ſetzten mich meine treuen Præcepto- res auf dem Elbinger Gymnaſio in meinem 13ten Jahre mit in Selectam, wodurch mein beſtaͤndiger Fleiß um ſo viel deſto mehr angefriſchet wurde. Auſ- ſer dieſem widmete ich meine Frey-Stunden der Choral-und Inſtrumental-Muſic, und brachte es durch unermuͤdete Luſt und Liebe, ziemlich weit dar- innen. Weiln aber auſſer dem Geld-Beutel mei- ner lieben Mutter, die doch nebſt denen noch uͤbrigen 5. Kindern, ſelbſt von der Schnure zehren mußte, we- nige Beyhuͤlffe zu ſuchen wußte, indem unſere alte
Frau
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0024"n="10"/>
den Sterbe-Fall noch eine ziemliche Erbſchafft zu<lb/>
hoffen hatte. Mein aͤlteſter Bruder, welcher keine<lb/>
Luſt zum <hirendition="#aq">Studir</hi>en, hingegen deſto groͤſſere zur <hirendition="#aq">Chi-<lb/>
rurgi</hi>e und Barbier-Kunſt bezeigte, wurde alſo in<lb/>ſeinem 16ten Jahre zu einem beruͤhmten Meiſter, die-<lb/>ſer Profeßion gebracht. Er reiſete nach ausgeſtan-<lb/>
denen 3. Lehr-Jahren in die Welt, kam nach 6. jaͤh-<lb/>
riger Abweſenheit wieder zu Hauſe, nahm aber bald<lb/>
darauf Dienſte auf der Schwediſchen Flotte unter<lb/>
dem Schout bey Nacht Ehrenſchild, da aber ein<lb/>
Theil gedachter Flotte am 27. <hirendition="#aq">Jul.</hi> 1714. von den<lb/>
Ruſſen geſchlagen wurde, hatte mein ehrlicher Bru-<lb/>
der auch das Ungluͤck, ſein junges Leben darbey zu<lb/>
verliehren. Jch meines Theils, war von Jugend an<lb/>
deſto eifriger auf die Buͤcher erpicht, und mein ge-<lb/>
treuer <hirendition="#aq">Informator,</hi> gab ſich ſo wohl, als mein leibli-<lb/>
cher Vater, die aͤuſſerſte Muͤhe, ſo bald ich nur das<lb/>
deutliche Reden erlernet, mir zu gleich mit der teut-<lb/>ſchen, |auch die lateiniſche Sprache ſo zu ſagen in der<lb/>
Mutter-Milch einzufloͤſſen. Weiln ich nun die<lb/>
Grund-Regeln derſelben nach und nach recht ſpie-<lb/>
lend faſſete, ſo ſetzten mich meine treuen <hirendition="#aq">Præcepto-<lb/>
res</hi> auf dem Elbinger <hirendition="#aq">Gymnaſio</hi> in meinem 13ten<lb/>
Jahre mit in <hirendition="#aq">Selectam,</hi> wodurch mein beſtaͤndiger<lb/>
Fleiß um ſo viel deſto mehr angefriſchet wurde. Auſ-<lb/>ſer dieſem widmete ich meine Frey-Stunden der<lb/><hirendition="#aq">Choral-</hi>und <hirendition="#aq">Inſtrumental-Muſic,</hi> und brachte es<lb/>
durch unermuͤdete Luſt und Liebe, ziemlich weit dar-<lb/>
innen. Weiln aber auſſer dem Geld-Beutel mei-<lb/>
ner lieben Mutter, die doch nebſt denen noch uͤbrigen<lb/>
5. Kindern, ſelbſt von der Schnure zehren mußte, we-<lb/>
nige Beyhuͤlffe zu ſuchen wußte, indem unſere alte<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Frau</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[10/0024]
den Sterbe-Fall noch eine ziemliche Erbſchafft zu
hoffen hatte. Mein aͤlteſter Bruder, welcher keine
Luſt zum Studiren, hingegen deſto groͤſſere zur Chi-
rurgie und Barbier-Kunſt bezeigte, wurde alſo in
ſeinem 16ten Jahre zu einem beruͤhmten Meiſter, die-
ſer Profeßion gebracht. Er reiſete nach ausgeſtan-
denen 3. Lehr-Jahren in die Welt, kam nach 6. jaͤh-
riger Abweſenheit wieder zu Hauſe, nahm aber bald
darauf Dienſte auf der Schwediſchen Flotte unter
dem Schout bey Nacht Ehrenſchild, da aber ein
Theil gedachter Flotte am 27. Jul. 1714. von den
Ruſſen geſchlagen wurde, hatte mein ehrlicher Bru-
der auch das Ungluͤck, ſein junges Leben darbey zu
verliehren. Jch meines Theils, war von Jugend an
deſto eifriger auf die Buͤcher erpicht, und mein ge-
treuer Informator, gab ſich ſo wohl, als mein leibli-
cher Vater, die aͤuſſerſte Muͤhe, ſo bald ich nur das
deutliche Reden erlernet, mir zu gleich mit der teut-
ſchen, |auch die lateiniſche Sprache ſo zu ſagen in der
Mutter-Milch einzufloͤſſen. Weiln ich nun die
Grund-Regeln derſelben nach und nach recht ſpie-
lend faſſete, ſo ſetzten mich meine treuen Præcepto-
res auf dem Elbinger Gymnaſio in meinem 13ten
Jahre mit in Selectam, wodurch mein beſtaͤndiger
Fleiß um ſo viel deſto mehr angefriſchet wurde. Auſ-
ſer dieſem widmete ich meine Frey-Stunden der
Choral-und Inſtrumental-Muſic, und brachte es
durch unermuͤdete Luſt und Liebe, ziemlich weit dar-
innen. Weiln aber auſſer dem Geld-Beutel mei-
ner lieben Mutter, die doch nebſt denen noch uͤbrigen
5. Kindern, ſelbſt von der Schnure zehren mußte, we-
nige Beyhuͤlffe zu ſuchen wußte, indem unſere alte
Frau
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/24>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.