weil ich vermuthe, daß euch ein übler Zufall im Schlafe begegnet sey, denn ihr habt mich nun zwey- mahl gerufen! Eberhardmein Sohn! die zu eu- ren Füssen liegenden Knaben aber, schlafen wie die Ratzen. Nein! mein Kind, versetzte der Altvater, ich habe euch mit meinem Wissen nicht gerufen, son- dern sehr vergnügt und wohl geruhet, es muß euch geträumet haben, gehet in GOttes Nahmen wie- derum zu Bette, denn die Sonne wird in drey Stun- den noch nicht auf unsere Jnsul scheinen. Jch ge- horsamete, iedoch etwa eine Stunde hernach, erweck- te mich eben dieselbe Stimme zum drittenmahle. Jch stund wieder auf, ging vor des Altvaters Bet- te fand denselben im süssen Schlummer liegen, trat derowegen an das Fenster, öffnete selbiges und sag- te mit ängstlicher Stimme: Mein GOTT! bin ich denn heute gantz und gar bethöret, es ist ja unmöglich, daß ich dreymahl hinter einander also geträumet ha- be. Hierüber konte endlich der Altvater sein heim- liches Lachen nicht länger verbergen, sondern sagte: Mein Sohn! macht euch keine kümmerenden Ge- dancken, ich bin wahrhafftig unschuldig, aber legt euch noch einmahl stille hin und wachet, so werdet ihr erfahren, wer der Stöhrer eurer Ruhe sey. Jch wuß- te mich auf keinerley Weise aus dem Handel zu fin- den, gehorsamete aber seinem Befehle, legte mich in aller Stille nieder, und blieb munter.
Ehe ich mich nun dessen versahe, ließ sich ober- wehnte Stimme mit eben denselben Worten zum vierten mahle hören, und also kam es endlich her- aus, daß mein schöner Vogel, den ich vor einigen Wochen in des Altvaters Cammer-Fenster ge-
hängt
weil ich vermuthe, daß euch ein uͤbler Zufall im Schlafe begegnet ſey, denn ihr habt mich nun zwey- mahl gerufen! Eberhardmein Sohn! die zu eu- ren Fuͤſſen liegenden Knaben aber, ſchlafen wie die Ratzen. Nein! mein Kind, verſetzte der Altvater, ich habe euch mit meinem Wiſſen nicht gerufen, ſon- dern ſehr vergnuͤgt und wohl geruhet, es muß euch getraͤumet haben, gehet in GOttes Nahmen wie- derum zu Bette, denn die Sonne wird in drey Stun- den noch nicht auf unſere Jnſul ſcheinen. Jch ge- horſamete, iedoch etwa eine Stunde hernach, erweck- te mich eben dieſelbe Stimme zum drittenmahle. Jch ſtund wieder auf, ging vor des Altvaters Bet- te fand denſelben im ſuͤſſen Schlummer liegen, trat derowegen an das Fenſter, oͤffnete ſelbiges und ſag- te mit aͤngſtlicher Stimme: Mein GOTT! bin ich denn heute gantz und gar bethoͤret, es iſt ja unmoͤglich, daß ich dreymahl hinter einander alſo getraͤumet ha- be. Hieruͤber konte endlich der Altvater ſein heim- liches Lachen nicht laͤnger verbergen, ſondern ſagte: Mein Sohn! macht euch keine kuͤmmerenden Ge- dancken, ich bin wahrhafftig unſchuldig, aber legt euch noch einmahl ſtille hin und wachet, ſo werdet ihr erfahren, wer der Stoͤhrer eurer Ruhe ſey. Jch wuß- te mich auf keinerley Weiſe aus dem Handel zu fin- den, gehorſamete aber ſeinem Befehle, legte mich in aller Stille nieder, und blieb munter.
Ehe ich mich nun deſſen verſahe, ließ ſich ober- wehnte Stimme mit eben denſelben Worten zum vierten mahle hoͤren, und alſo kam es endlich her- aus, daß mein ſchoͤner Vogel, den ich vor einigen Wochen in des Altvaters Cammer-Fenſter ge-
haͤngt
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weil ich vermuthe, daß euch ein uͤbler Zufall im
Schlafe begegnet ſey, denn ihr habt mich nun zwey-
mahl gerufen! Eberhard mein Sohn! die zu eu-
ren Fuͤſſen liegenden Knaben aber, ſchlafen wie die
Ratzen. Nein! mein Kind, verſetzte der Altvater,
ich habe euch mit meinem Wiſſen nicht gerufen, ſon-
dern ſehr vergnuͤgt und wohl geruhet, es muß euch
getraͤumet haben, gehet in GOttes Nahmen wie-
derum zu Bette, denn die Sonne wird in drey Stun-
den noch nicht auf unſere Jnſul ſcheinen. Jch ge-
horſamete, iedoch etwa eine Stunde hernach, erweck-
te mich eben dieſelbe Stimme zum drittenmahle.
Jch ſtund wieder auf, ging vor des Altvaters Bet-
te fand denſelben im ſuͤſſen Schlummer liegen, trat
derowegen an das Fenſter, oͤffnete ſelbiges und ſag-
te mit aͤngſtlicher Stimme: Mein GOTT! bin ich
denn heute gantz und gar bethoͤret, es iſt ja unmoͤglich,
daß ich dreymahl hinter einander alſo getraͤumet ha-
be. Hieruͤber konte endlich der Altvater ſein heim-
liches Lachen nicht laͤnger verbergen, ſondern ſagte:
Mein Sohn! macht euch keine kuͤmmerenden Ge-
dancken, ich bin wahrhafftig unſchuldig, aber legt
euch noch einmahl ſtille hin und wachet, ſo werdet ihr
erfahren, wer der Stoͤhrer eurer Ruhe ſey. Jch wuß-
te mich auf keinerley Weiſe aus dem Handel zu fin-
den, gehorſamete aber ſeinem Befehle, legte mich in
aller Stille nieder, und blieb munter.
Ehe ich mich nun deſſen verſahe, ließ ſich ober-
wehnte Stimme mit eben denſelben Worten zum
vierten mahle hoͤren, und alſo kam es endlich her-
aus, daß mein ſchoͤner Vogel, den ich vor einigen
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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/252>, abgerufen am 21.11.2024.
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