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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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lein recht gesunde Vernunfft bey mir spüren ließ,
daß ich mich nicht entschliessen konnte nach Hause zu
reisen, und eine ordentliche Lebens-Art anzufangen,
denn das Hertze wolte mir zum voraus sagen, daß
dergleichen Aufführung endlich ein beklecktes Ende
nehmen würde. Allein solche gute Gedancken wur-
den fast augenblicklich als von einem Sturmwinde
zerstreuet, hergegen kam mir die eingewohnte Wei-
se immer süsser vor, so lange biß ich eines Abends,
ebenfalls des Spiels wegen, in einer Rencontre,
mit zweyen Degens zugleich durchstochen, sonsten
am Leibe auch sehr übel zerhauen wurde.

Man schaffte mich vermittelst einer Sänffte an-
dern Tages in mein Logis, allwo ich die Ehre hatte,
von vielen deutschen Cavaliers besucht zu werden,
weil ein jeder glaubte, ich sey derjenige, vor wel-
chen ich mich ausgab, und weil keine sonderlichen
Schrifften unter meinen Sachen angetroffen wur-
den, so konte deßfalls um so viel weniger verrathen
werden. Es waren ein Medicus und 2. Chirurgi
über mir, welche aber wieder die gewöhnliche Art
der Franzosen, schlechten Trost gaben, derowegen
begunnte mein Gewissen auf einmahl aufzuwachen,
so daß ich vor Angst in gäntzliche Verzweiffelung
gefallen wäre, wenn nicht ein gewisser Cavalier
meine Hertzens-Bangigkeit gemerckt, und mir die-
serwegen den Prediger eines gewissen Lutherischen
Abgesandtens zugebracht hätte. Selbiges war ein
ungemeiner Mann, der mein Gewissen solcherge-
stalt zu rühren wuste, daß ich ihm endlich, wie fast
alle Zeichen meines heran nahenden Todes vorhan-
den waren, ein offenhertziges Bekänntniß meiner

bißhe-

lein recht geſunde Vernunfft bey mir ſpuͤren ließ,
daß ich mich nicht entſchlieſſen konnte nach Hauſe zu
reiſen, und eine ordentliche Lebens-Art anzufangen,
denn das Hertze wolte mir zum voraus ſagen, daß
dergleichen Auffuͤhrung endlich ein beklecktes Ende
nehmen wuͤrde. Allein ſolche gute Gedancken wur-
den faſt augenblicklich als von einem Sturmwinde
zerſtreuet, hergegen kam mir die eingewohnte Wei-
ſe immer ſuͤſſer vor, ſo lange biß ich eines Abends,
ebenfalls des Spiels wegen, in einer Rencontre,
mit zweyen Degens zugleich durchſtochen, ſonſten
am Leibe auch ſehr uͤbel zerhauen wurde.

Man ſchaffte mich vermittelſt einer Saͤnffte an-
dern Tages in mein Logis, allwo ich die Ehre hatte,
von vielen deutſchen Cavaliers beſucht zu werden,
weil ein jeder glaubte, ich ſey derjenige, vor wel-
chen ich mich ausgab, und weil keine ſonderlichen
Schrifften unter meinen Sachen angetroffen wur-
den, ſo konte deßfalls um ſo viel weniger verrathen
werden. Es waren ein Medicus und 2. Chirurgi
uͤber mir, welche aber wieder die gewoͤhnliche Art
der Franzoſen, ſchlechten Troſt gaben, derowegen
begunnte mein Gewiſſen auf einmahl aufzuwachen,
ſo daß ich vor Angſt in gaͤntzliche Verzweiffelung
gefallen waͤre, wenn nicht ein gewiſſer Cavalier
meine Hertzens-Bangigkeit gemerckt, und mir die-
ſerwegen den Prediger eines gewiſſen Lutheriſchen
Abgeſandtens zugebracht haͤtte. Selbiges war ein
ungemeiner Mann, der mein Gewiſſen ſolcherge-
ſtalt zu ruͤhren wuſte, daß ich ihm endlich, wie faſt
alle Zeichen meines heran nahenden Todes vorhan-
den waren, ein offenhertziges Bekaͤnntniß meiner

bißhe-
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[380/0394] lein recht geſunde Vernunfft bey mir ſpuͤren ließ, daß ich mich nicht entſchlieſſen konnte nach Hauſe zu reiſen, und eine ordentliche Lebens-Art anzufangen, denn das Hertze wolte mir zum voraus ſagen, daß dergleichen Auffuͤhrung endlich ein beklecktes Ende nehmen wuͤrde. Allein ſolche gute Gedancken wur- den faſt augenblicklich als von einem Sturmwinde zerſtreuet, hergegen kam mir die eingewohnte Wei- ſe immer ſuͤſſer vor, ſo lange biß ich eines Abends, ebenfalls des Spiels wegen, in einer Rencontre, mit zweyen Degens zugleich durchſtochen, ſonſten am Leibe auch ſehr uͤbel zerhauen wurde. Man ſchaffte mich vermittelſt einer Saͤnffte an- dern Tages in mein Logis, allwo ich die Ehre hatte, von vielen deutſchen Cavaliers beſucht zu werden, weil ein jeder glaubte, ich ſey derjenige, vor wel- chen ich mich ausgab, und weil keine ſonderlichen Schrifften unter meinen Sachen angetroffen wur- den, ſo konte deßfalls um ſo viel weniger verrathen werden. Es waren ein Medicus und 2. Chirurgi uͤber mir, welche aber wieder die gewoͤhnliche Art der Franzoſen, ſchlechten Troſt gaben, derowegen begunnte mein Gewiſſen auf einmahl aufzuwachen, ſo daß ich vor Angſt in gaͤntzliche Verzweiffelung gefallen waͤre, wenn nicht ein gewiſſer Cavalier meine Hertzens-Bangigkeit gemerckt, und mir die- ſerwegen den Prediger eines gewiſſen Lutheriſchen Abgeſandtens zugebracht haͤtte. Selbiges war ein ungemeiner Mann, der mein Gewiſſen ſolcherge- ſtalt zu ruͤhren wuſte, daß ich ihm endlich, wie faſt alle Zeichen meines heran nahenden Todes vorhan- den waren, ein offenhertziges Bekaͤnntniß meiner bißhe-

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/394>, abgerufen am 27.11.2024.