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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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im Augenblicke stelleten sich alle Gehenckten, Gerä-
derten, Geviertheilten, Gebrandmarckten Gestäup-
ten und dergleichen, vor mein Gesichte, die ich nicht
nur von eben dieser Bande in Paris, sondern auch
von Jugend auf an andern Orten Mord und Dieb-
stahls wegen executiren sehen. Le Pressoir merckte
einige Bestürtzung an mir, sagte derowegen:
Schämet euch, Monsieur! bey so vortrefflichen
Leibs-Gaben ein solch feiges Gemüthe zu haben.
Bedencket doch wer heute bey Tage sein Glück auf
festen Fuß setzen will, muß wahrhafftig viel Geld
haben, die Art, womit wir selbiges zu erwerben su-
chen, scheinet zwar etwas desperat und schimpflich,
allein das letztere zumahl, ist eine leere Einbildung,
weil einige von den grösten Monarchen das Gewer-
be, sich mit Gewalt zu bereichern, öffentlich, wir
armen Schlucker aber dasselbe nur heimlich treiben.
Ach! sprach er noch, es sind viele von unserer Ban-
de hinweg geschlichen, die mit ihrem darbey erwor-
benen Gute, theils in Deutschland, Engelland,
Holland und andern Ländern, sich auf Lebens-Zeit
vergnügte Ruhe-Städte zubereitet haben.

Solche Gespräche führeten wir biß in die Mitter-
Nacht, ich versprach dem le Pressoir, die Sache zu
beschlaffen, und deßfalls Morgen mit dem frühesten
den Schluß zu fassen, ob ich mich ihrem Obristen
wolte praesentiren lassen. Allein mein Sünden-
Maaß lieff ohnedem schon über, und weil die Gött-
liche Barmhertzigkeit vielleicht noch viele Grausam-
keiten zu verhüten, mich aber zu einiger Erkäntniß zu
bringen gesonnen, fügte es dieselbe dergestalt, daß
le Pressoir diese Nacht ausgekundschafft, nebst mir

im

im Augenblicke ſtelleten ſich alle Gehenckten, Geraͤ-
derten, Geviertheilten, Gebrandmarckten Geſtaͤup-
ten und dergleichen, vor mein Geſichte, die ich nicht
nur von eben dieſer Bande in Paris, ſondern auch
von Jugend auf an andern Orten Mord und Dieb-
ſtahls wegen executiren ſehen. Le Preſſoir merckte
einige Beſtuͤrtzung an mir, ſagte derowegen:
Schaͤmet euch, Monſieur! bey ſo vortrefflichen
Leibs-Gaben ein ſolch feiges Gemuͤthe zu haben.
Bedencket doch wer heute bey Tage ſein Gluͤck auf
feſten Fuß ſetzen will, muß wahrhafftig viel Geld
haben, die Art, womit wir ſelbiges zu erwerben ſu-
chen, ſcheinet zwar etwas deſperat und ſchimpflich,
allein das letztere zumahl, iſt eine leere Einbildung,
weil einige von den groͤſten Monarchen das Gewer-
be, ſich mit Gewalt zu bereichern, oͤffentlich, wir
armen Schlucker aber daſſelbe nur heimlich treiben.
Ach! ſprach er noch, es ſind viele von unſerer Ban-
de hinweg geſchlichen, die mit ihrem darbey erwor-
benen Gute, theils in Deutſchland, Engelland,
Holland und andern Laͤndern, ſich auf Lebens-Zeit
vergnuͤgte Ruhe-Staͤdte zubereitet haben.

Solche Geſpraͤche fuͤhreten wir biß in die Mitter-
Nacht, ich verſprach dem le Preſſoir, die Sache zu
beſchlaffen, und deßfalls Morgen mit dem fruͤheſten
den Schluß zu faſſen, ob ich mich ihrem Obriſten
wolte præſentiren laſſen. Allein mein Suͤnden-
Maaß lieff ohnedem ſchon uͤber, und weil die Goͤtt-
liche Barmhertzigkeit vielleicht noch viele Grauſam-
keiten zu verhuͤten, mich aber zu einiger Erkaͤntniß zu
bringen geſonnen, fuͤgte es dieſelbe dergeſtalt, daß
le Preſſoir dieſe Nacht ausgekundſchafft, nebſt mir

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[386/0400] im Augenblicke ſtelleten ſich alle Gehenckten, Geraͤ- derten, Geviertheilten, Gebrandmarckten Geſtaͤup- ten und dergleichen, vor mein Geſichte, die ich nicht nur von eben dieſer Bande in Paris, ſondern auch von Jugend auf an andern Orten Mord und Dieb- ſtahls wegen executiren ſehen. Le Preſſoir merckte einige Beſtuͤrtzung an mir, ſagte derowegen: Schaͤmet euch, Monſieur! bey ſo vortrefflichen Leibs-Gaben ein ſolch feiges Gemuͤthe zu haben. Bedencket doch wer heute bey Tage ſein Gluͤck auf feſten Fuß ſetzen will, muß wahrhafftig viel Geld haben, die Art, womit wir ſelbiges zu erwerben ſu- chen, ſcheinet zwar etwas deſperat und ſchimpflich, allein das letztere zumahl, iſt eine leere Einbildung, weil einige von den groͤſten Monarchen das Gewer- be, ſich mit Gewalt zu bereichern, oͤffentlich, wir armen Schlucker aber daſſelbe nur heimlich treiben. Ach! ſprach er noch, es ſind viele von unſerer Ban- de hinweg geſchlichen, die mit ihrem darbey erwor- benen Gute, theils in Deutſchland, Engelland, Holland und andern Laͤndern, ſich auf Lebens-Zeit vergnuͤgte Ruhe-Staͤdte zubereitet haben. Solche Geſpraͤche fuͤhreten wir biß in die Mitter- Nacht, ich verſprach dem le Preſſoir, die Sache zu beſchlaffen, und deßfalls Morgen mit dem fruͤheſten den Schluß zu faſſen, ob ich mich ihrem Obriſten wolte præſentiren laſſen. Allein mein Suͤnden- Maaß lieff ohnedem ſchon uͤber, und weil die Goͤtt- liche Barmhertzigkeit vielleicht noch viele Grauſam- keiten zu verhuͤten, mich aber zu einiger Erkaͤntniß zu bringen geſonnen, fuͤgte es dieſelbe dergeſtalt, daß le Preſſoir dieſe Nacht ausgekundſchafft, nebſt mir im

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/400>, abgerufen am 27.11.2024.