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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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ein jedweder, und zwar nicht ohne trifftige Ursachen,
vor einen einfältigen, ja sehr tummen Jungen hielt,
und vermeinete, ich härte das grosse Buch etwa an
den Rector zu bringen, so wiese man mich in Prima,
allwo ich nach zweymahligen Anklopfen, die Thüre
selbst eröffnete, mit barfüssen Beinen und abge-
nommener Mütze hinein trat, den Rector aber
gantz dreiste und ohne alle Weitläufftigkeit, mit die-
sen Worten anredete: Guten Tag, Herr! die Leu-
te haben mir gesagt, daß ihr der oberste Schulmei-
ster seyd, und den Jungens mehr lernet, als die an-
dern kleinen Schulmeisters, darum wolte ich
euch bitten, ihr soltet mir vor Geld und gute
Worte lesen lernen, denn ich habe mir 5. Gro-
schen weniger einen Dreyer Geld gesammlet, das
will ich doch dran wagen, wenn es fein bald gesche-
hen kan, weil ich nicht viel Zeit drauf wenden kan,
denn mein Vater braucht mich alle Tage nothwen-
dig, daß ich ihm muß helffen Steine auslesen, und in
den Schubkarn schmeissen. Die in der Classe si-
tzenden grossen Kerls, fingen über meine kauderwel-
sche Rede, greulich zu lachen an, jedoch nachdem ih-
nen der Rector mit einer ernsthafften Gebärde das
Stillschweigen auferlegt, fragte er mich sehr freund-
lich: Mein Sohn, wer hat dich hergeschickt? Es hat
mich niemand hergeschickt, gab ich zur Antwort, son-
dern ich bin von mir selbst gekommen, weil ich Lust
habe, vor Geld und gute Worte in diesem Buch le-
sen zu lernen. Es ist gut, mein Sohn, versetzte der
Rector, allein gehe hin, und bringe erstlichen ein klei-
nes A. B. C.-Buch her, so will ich vor dich sorgen,

daß
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ein jedweder, und zwar nicht ohne trifftige Urſachen,
vor einen einfaͤltigen, ja ſehr tummen Jungen hielt,
und vermeinete, ich haͤrte das groſſe Buch etwa an
den Rector zu bringen, ſo wieſe man mich in Prima,
allwo ich nach zweymahligen Anklopfen, die Thuͤre
ſelbſt eroͤffnete, mit barfuͤſſen Beinen und abge-
nommener Muͤtze hinein trat, den Rector aber
gantz dreiſte und ohne alle Weitlaͤufftigkeit, mit die-
ſen Worten anredete: Guten Tag, Herr! die Leu-
te haben mir geſagt, daß ihr der oberſte Schulmei-
ſter ſeyd, und den Jungens mehr lernet, als die an-
dern kleinen Schulmeiſters, darum wolte ich
euch bitten, ihr ſoltet mir vor Geld und gute
Worte leſen lernen, denn ich habe mir 5. Gro-
ſchen weniger einen Dreyer Geld geſammlet, das
will ich doch dran wagen, wenn es fein bald geſche-
hen kan, weil ich nicht viel Zeit drauf wenden kan,
denn mein Vater braucht mich alle Tage nothwen-
dig, daß ich ihm muß helffen Steine ausleſen, und in
den Schubkarn ſchmeiſſen. Die in der Claſſe ſi-
tzenden groſſen Kerls, fingen uͤber meine kauderwel-
ſche Rede, greulich zu lachen an, jedoch nachdem ih-
nen der Rector mit einer ernſthafften Gebaͤrde das
Stillſchweigen auferlegt, fragte er mich ſehr freund-
lich: Mein Sohn, wer hat dich hergeſchickt? Es hat
mich niemand hergeſchickt, gab ich zur Antwort, ſon-
dern ich bin von mir ſelbſt gekommen, weil ich Luſt
habe, vor Geld und gute Worte in dieſem Buch le-
ſen zu lernen. Es iſt gut, mein Sohn, verſetzte der
Rector, allein gehe hin, und bringe erſtlichen ein klei-
nes A. B. C.-Buch her, ſo will ich vor dich ſorgen,

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[403/0417] ein jedweder, und zwar nicht ohne trifftige Urſachen, vor einen einfaͤltigen, ja ſehr tummen Jungen hielt, und vermeinete, ich haͤrte das groſſe Buch etwa an den Rector zu bringen, ſo wieſe man mich in Prima, allwo ich nach zweymahligen Anklopfen, die Thuͤre ſelbſt eroͤffnete, mit barfuͤſſen Beinen und abge- nommener Muͤtze hinein trat, den Rector aber gantz dreiſte und ohne alle Weitlaͤufftigkeit, mit die- ſen Worten anredete: Guten Tag, Herr! die Leu- te haben mir geſagt, daß ihr der oberſte Schulmei- ſter ſeyd, und den Jungens mehr lernet, als die an- dern kleinen Schulmeiſters, darum wolte ich euch bitten, ihr ſoltet mir vor Geld und gute Worte leſen lernen, denn ich habe mir 5. Gro- ſchen weniger einen Dreyer Geld geſammlet, das will ich doch dran wagen, wenn es fein bald geſche- hen kan, weil ich nicht viel Zeit drauf wenden kan, denn mein Vater braucht mich alle Tage nothwen- dig, daß ich ihm muß helffen Steine ausleſen, und in den Schubkarn ſchmeiſſen. Die in der Claſſe ſi- tzenden groſſen Kerls, fingen uͤber meine kauderwel- ſche Rede, greulich zu lachen an, jedoch nachdem ih- nen der Rector mit einer ernſthafften Gebaͤrde das Stillſchweigen auferlegt, fragte er mich ſehr freund- lich: Mein Sohn, wer hat dich hergeſchickt? Es hat mich niemand hergeſchickt, gab ich zur Antwort, ſon- dern ich bin von mir ſelbſt gekommen, weil ich Luſt habe, vor Geld und gute Worte in dieſem Buch le- ſen zu lernen. Es iſt gut, mein Sohn, verſetzte der Rector, allein gehe hin, und bringe erſtlichen ein klei- nes A. B. C.-Buch her, ſo will ich vor dich ſorgen, daß c c 2

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 403. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/417>, abgerufen am 29.11.2024.