Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

Bild:
<< vorherige Seite

und mein Bruder bereits gewöhnet worden, gantz
besondere Streiffereyen zu thun, und abends in der
bestimmten Bettel-Herberge einzutreffen. Die ver-
fluchte Schind-Mähre, nemlich das Pferd unsers
Stief-Vaters, verfraß fast mehr als wir sämtlich
erbetteln konten, und dennoch ließ sein Hochmuth
nicht zu, selbiges zu verkauffen, endlich aber, da der
Klapper-Storch bey meiner Mutter einkehren wol-
te, und sie fast nicht mehr fort kommen konte, blieben
wir ohnweit Zörbig in einem Dorffe, Radegast ge-
nannt, liegen, allwo der Stieff-Vater sein Pferd an
einen Bauer vor 11. Thlr. verkauffte, sich nebst uns
in ein klein Bauer-Haus einmiethete, und nebst mei-
ner Mutter das Korbmacher Handwerck anfieng,
als in welchem er ziemlich erfahren zu seyn schien.
Wenige Zeit hernach kam meine Mutter in die Wo-
chen, und wie ich hörete, so setzte es, noch ehe das neu-
gebohrne Schwesterlein gebohren wurde, bey dem
Pfarrer ziemliche Verdrießlichkeiten, des Trau-
Scheins wegen, jedoch weil sich meine Eltern, ich
weiß nicht auf was vor Art, zu entschuldigen wußten,
wurde zwar endlich das Kind getaufft, ihnen aber
auferlegt, entweder binnen 6. Wochen ihren Trau-
Schein und andere gute Zeugnisse zu schaffen, oder
sich aus dem Dorffe zu packen. Meine Mutter
gab vor, so bald es ihre Kräffte zuliessen, selbst eine
Reise nach Magdeburg zu thun, und von dar die
Zeugnisse ihres ehrlichen Lebens und Wandels, un-
terwegs auch einen neuen Trau-Schein, von dem-
jenigen Dorff-Priester, der sie getrauet, abzuholen,
weil sie den ersten ohngefehr verlohren hätte. Je-
doch weil es noch vor Weyhnachten u. also im härte-

sten
g g 3

und mein Bruder bereits gewoͤhnet worden, gantz
beſondere Streiffereyen zu thun, und abends in der
beſtimmten Bettel-Herberge einzutreffen. Die ver-
fluchte Schind-Maͤhre, nemlich das Pferd unſers
Stief-Vaters, verfraß faſt mehr als wir ſaͤmtlich
erbetteln konten, und dennoch ließ ſein Hochmuth
nicht zu, ſelbiges zu verkauffen, endlich aber, da der
Klapper-Storch bey meiner Mutter einkehren wol-
te, und ſie faſt nicht mehr fort kommen konte, blieben
wir ohnweit Zoͤrbig in einem Dorffe, Radegaſt ge-
nannt, liegen, allwo der Stieff-Vater ſein Pferd an
einen Bauer vor 11. Thlr. verkauffte, ſich nebſt uns
in ein klein Bauer-Haus einmiethete, und nebſt mei-
ner Mutter das Korbmacher Handwerck anfieng,
als in welchem er ziemlich erfahren zu ſeyn ſchien.
Wenige Zeit hernach kam meine Mutter in die Wo-
chen, und wie ich hoͤrete, ſo ſetzte es, noch ehe das neu-
gebohrne Schweſterlein gebohren wurde, bey dem
Pfarrer ziemliche Verdrießlichkeiten, des Trau-
Scheins wegen, jedoch weil ſich meine Eltern, ich
weiß nicht auf was vor Art, zu entſchuldigen wußten,
wurde zwar endlich das Kind getaufft, ihnen aber
auferlegt, entweder binnen 6. Wochen ihren Trau-
Schein und andere gute Zeugniſſe zu ſchaffen, oder
ſich aus dem Dorffe zu packen. Meine Mutter
gab vor, ſo bald es ihre Kraͤffte zulieſſen, ſelbſt eine
Reiſe nach Magdeburg zu thun, und von dar die
Zeugniſſe ihres ehrlichen Lebens und Wandels, un-
terwegs auch einen neuen Trau-Schein, von dem-
jenigen Dorff-Prieſter, der ſie getrauet, abzuholen,
weil ſie den erſten ohngefehr verlohren haͤtte. Je-
doch weil es noch vor Weyhnachten u. alſo im haͤrte-

ſten
g g 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0485" n="469"/>
und mein Bruder bereits gewo&#x0364;hnet worden, gantz<lb/>
be&#x017F;ondere Streiffereyen zu thun, und abends in der<lb/>
be&#x017F;timmten Bettel-Herberge einzutreffen. Die ver-<lb/>
fluchte Schind-Ma&#x0364;hre, nemlich das Pferd un&#x017F;ers<lb/>
Stief-Vaters, verfraß fa&#x017F;t mehr als wir &#x017F;a&#x0364;mtlich<lb/>
erbetteln konten, und dennoch ließ &#x017F;ein Hochmuth<lb/>
nicht zu, &#x017F;elbiges zu verkauffen, endlich aber, da der<lb/>
Klapper-Storch bey meiner Mutter einkehren wol-<lb/>
te, und &#x017F;ie fa&#x017F;t nicht mehr fort kommen konte, blieben<lb/>
wir ohnweit Zo&#x0364;rbig in einem Dorffe, Radega&#x017F;t ge-<lb/>
nannt, liegen, allwo der Stieff-Vater &#x017F;ein Pferd an<lb/>
einen Bauer vor 11. Thlr. verkauffte, &#x017F;ich neb&#x017F;t uns<lb/>
in ein klein Bauer-Haus einmiethete, und neb&#x017F;t mei-<lb/>
ner Mutter das Korbmacher Handwerck anfieng,<lb/>
als in welchem er ziemlich erfahren zu &#x017F;eyn &#x017F;chien.<lb/>
Wenige Zeit hernach kam meine Mutter in die Wo-<lb/>
chen, und wie ich ho&#x0364;rete, &#x017F;o &#x017F;etzte es, noch ehe das neu-<lb/>
gebohrne Schwe&#x017F;terlein gebohren wurde, bey dem<lb/>
Pfarrer ziemliche Verdrießlichkeiten, des Trau-<lb/>
Scheins wegen, jedoch weil &#x017F;ich meine Eltern, ich<lb/>
weiß nicht auf was vor Art, zu ent&#x017F;chuldigen wußten,<lb/>
wurde zwar endlich das Kind getaufft, ihnen aber<lb/>
auferlegt, entweder binnen 6. Wochen ihren Trau-<lb/>
Schein und andere gute Zeugni&#x017F;&#x017F;e zu &#x017F;chaffen, oder<lb/>
&#x017F;ich aus dem Dorffe zu packen. Meine Mutter<lb/>
gab vor, &#x017F;o bald es ihre Kra&#x0364;ffte zulie&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;elb&#x017F;t eine<lb/>
Rei&#x017F;e nach Magdeburg zu thun, und von dar die<lb/>
Zeugni&#x017F;&#x017F;e ihres ehrlichen Lebens und Wandels, un-<lb/>
terwegs auch einen neuen Trau-Schein, von dem-<lb/>
jenigen Dorff-Prie&#x017F;ter, der &#x017F;ie getrauet, abzuholen,<lb/>
weil &#x017F;ie den er&#x017F;ten ohngefehr verlohren ha&#x0364;tte. Je-<lb/>
doch weil es noch vor Weyhnachten u. al&#x017F;o im ha&#x0364;rte-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">g g 3</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ten</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[469/0485] und mein Bruder bereits gewoͤhnet worden, gantz beſondere Streiffereyen zu thun, und abends in der beſtimmten Bettel-Herberge einzutreffen. Die ver- fluchte Schind-Maͤhre, nemlich das Pferd unſers Stief-Vaters, verfraß faſt mehr als wir ſaͤmtlich erbetteln konten, und dennoch ließ ſein Hochmuth nicht zu, ſelbiges zu verkauffen, endlich aber, da der Klapper-Storch bey meiner Mutter einkehren wol- te, und ſie faſt nicht mehr fort kommen konte, blieben wir ohnweit Zoͤrbig in einem Dorffe, Radegaſt ge- nannt, liegen, allwo der Stieff-Vater ſein Pferd an einen Bauer vor 11. Thlr. verkauffte, ſich nebſt uns in ein klein Bauer-Haus einmiethete, und nebſt mei- ner Mutter das Korbmacher Handwerck anfieng, als in welchem er ziemlich erfahren zu ſeyn ſchien. Wenige Zeit hernach kam meine Mutter in die Wo- chen, und wie ich hoͤrete, ſo ſetzte es, noch ehe das neu- gebohrne Schweſterlein gebohren wurde, bey dem Pfarrer ziemliche Verdrießlichkeiten, des Trau- Scheins wegen, jedoch weil ſich meine Eltern, ich weiß nicht auf was vor Art, zu entſchuldigen wußten, wurde zwar endlich das Kind getaufft, ihnen aber auferlegt, entweder binnen 6. Wochen ihren Trau- Schein und andere gute Zeugniſſe zu ſchaffen, oder ſich aus dem Dorffe zu packen. Meine Mutter gab vor, ſo bald es ihre Kraͤffte zulieſſen, ſelbſt eine Reiſe nach Magdeburg zu thun, und von dar die Zeugniſſe ihres ehrlichen Lebens und Wandels, un- terwegs auch einen neuen Trau-Schein, von dem- jenigen Dorff-Prieſter, der ſie getrauet, abzuholen, weil ſie den erſten ohngefehr verlohren haͤtte. Je- doch weil es noch vor Weyhnachten u. alſo im haͤrte- ſten g g 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/485
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/485>, abgerufen am 22.11.2024.