eigenes Schicksal räglich beweine, denn ihr wisset, daß ich bin einmahl wie immer.
Eure Getreue.
Wiewohl ich nun von Liebes-Intriquen wenige oder gar keine Wissenschafft hatte, so verursachte mir doch dieses Schreiben ein schmertzhafftes Nachsin- nen, da es aber schon ziemlich späte, legte ich mich gleich zu Bette, und war erstlich so glücklich, daß mir ein baldiger süsser Schlaff die unruhigen Ge- dancken vertrieb, hernach so unglücklich, daß die Hand einer Manns-Person zum ersten mahle mei- ne Brust begriff, worauf so gleich ein Kuß folgte. Jch fuhr so gleich in die Höhe, und fing an zu schreyen, konte aber vor Angst keinen lauten Thon von mir geben. Jndem nahm mich jemand bey der Hand, und sagte: Um Gottes willen, Mademoiselle, schrey- en sie nicht, ich bin Dero allergetreuester Knecht, und habe mich in diese Gefahr bloß allein darum gewagt, ihnen ein Geheimniß zu eröffnen, worauf die Glückseeligkeit ihres gantzen Lebens beruhet. Nunmehro erkannte ich wohl an der Sprache, daß es niemand anders sey, als unser Handels-Diener Rackhuysen, riß derowegen meine Hand zurück, und sagte: Welcher Satan hat euch Verwegenen in meine Cammer geführet? Kein Satan, antwor- te er, sondern die Treue und Redlichkeit gegen ihre Person und gantze Familie; wo habe ich anders Gelegenheit finden können, mit ihnen ohne Ver- dacht in Geheim zu sprechen, und ihnen mit Wahr- heit zu offenbaren: Daß ihr Liebster, mit dem sie
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eigenes Schickſal raͤglich beweine, denn ihr wiſſet, daß ich bin einmahl wie immer.
Eure Getreue.
Wiewohl ich nun von Liebes-Intriquen wenige oder gar keine Wiſſenſchafft hatte, ſo verurſachte mir doch dieſes Schreiben ein ſchmertzhafftes Nachſin- nen, da es aber ſchon ziemlich ſpaͤte, legte ich mich gleich zu Bette, und war erſtlich ſo gluͤcklich, daß mir ein baldiger ſuͤſſer Schlaff die unruhigen Ge- dancken vertrieb, hernach ſo ungluͤcklich, daß die Hand einer Manns-Perſon zum erſten mahle mei- ne Bruſt begriff, worauf ſo gleich ein Kuß folgte. Jch fuhr ſo gleich in die Hoͤhe, und fing an zu ſchreyen, konte aber vor Angſt keinen lauten Thon von mir geben. Jndem nahm mich jemand bey der Hand, und ſagte: Um Gottes willen, Mademoiſelle, ſchrey- en ſie nicht, ich bin Dero allergetreueſter Knecht, und habe mich in dieſe Gefahr bloß allein darum gewagt, ihnen ein Geheimniß zu eroͤffnen, worauf die Gluͤckſeeligkeit ihres gantzen Lebens beruhet. Nunmehro erkannte ich wohl an der Sprache, daß es niemand anders ſey, als unſer Handels-Diener Rackhuyſen, riß derowegen meine Hand zuruͤck, und ſagte: Welcher Satan hat euch Verwegenen in meine Cammer gefuͤhret? Kein Satan, antwor- te er, ſondern die Treue und Redlichkeit gegen ihre Perſon und gantze Familie; wo habe ich anders Gelegenheit finden koͤnnen, mit ihnen ohne Ver- dacht in Geheim zu ſprechen, und ihnen mit Wahr- heit zu offenbaren: Daß ihr Liebſter, mit dem ſie
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eigenes Schickſal raͤglich beweine, denn ihr
wiſſet, daß ich bin einmahl wie immer.
Eure
Getreue.
Wiewohl ich nun von Liebes-Intriquen wenige
oder gar keine Wiſſenſchafft hatte, ſo verurſachte mir
doch dieſes Schreiben ein ſchmertzhafftes Nachſin-
nen, da es aber ſchon ziemlich ſpaͤte, legte ich mich
gleich zu Bette, und war erſtlich ſo gluͤcklich, daß
mir ein baldiger ſuͤſſer Schlaff die unruhigen Ge-
dancken vertrieb, hernach ſo ungluͤcklich, daß die
Hand einer Manns-Perſon zum erſten mahle mei-
ne Bruſt begriff, worauf ſo gleich ein Kuß folgte. Jch
fuhr ſo gleich in die Hoͤhe, und fing an zu ſchreyen,
konte aber vor Angſt keinen lauten Thon von mir
geben. Jndem nahm mich jemand bey der Hand,
und ſagte: Um Gottes willen, Mademoiſelle, ſchrey-
en ſie nicht, ich bin Dero allergetreueſter Knecht,
und habe mich in dieſe Gefahr bloß allein darum
gewagt, ihnen ein Geheimniß zu eroͤffnen, worauf
die Gluͤckſeeligkeit ihres gantzen Lebens beruhet.
Nunmehro erkannte ich wohl an der Sprache, daß
es niemand anders ſey, als unſer Handels-Diener
Rackhuyſen, riß derowegen meine Hand zuruͤck, und
ſagte: Welcher Satan hat euch Verwegenen in
meine Cammer gefuͤhret? Kein Satan, antwor-
te er, ſondern die Treue und Redlichkeit gegen ihre
Perſon und gantze Familie; wo habe ich anders
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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata03_1739/164>, abgerufen am 24.11.2024.
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