nichts mehr bekümmern, sondern meine Auflösung in stiller Ruhe abwarteu.
Hierauf segnete der liebe Alt-Vater einem jegli- chen Stamm und alle Anwesenden mit Hertz-bre- chenden Worten, weßwegen fast jedermann weinete, da er aber ins Bette gebracht zu werden begehrete, nahmen alle, biß etliche wenige, ihren Abtrit.
Folgende zwey Tage kamen aus allen Pflantz- Städten Alt und Jung herbey gezogen, und nah- men, ein Geschlecht nach dem andern, mit thränen- den Augen und Küssung seiner Hände beweglichen Abschied von dem Alt-Vater, er aber ertheilete ih- nen den Segen mit frölichen Geberden.
Sonntags Vormittags hielt Hr. Mag. Schmel- tzer den GOttes-Dienst in seinem Zimmer, zu Ende desselben beichtete der Alt-Vater, und empfing das Heil. Abendmahl sehr andächtig, wolte aber nachhero nicht das geringste von Speise und Tranck zu sich nehmen, sondern er ließ sich den gantzen Tag über Wechsels-weise geistliche Lieder und Sterbe- Gebeter vorsingen und lesen. Nach verrichteten GOttes-Dienst unten in der Kirche, verfammle- ten sich die Herrn Geistlichen und Alt- Väter zu ihm, allein, er ließ sich nicht in seiner Andacht stöh- ren, sondern verharrete stets im Beten und Singen.
Eben diesen Sonntag, den 8. Octobr. 1730. Abends gegen Untergang der Sonnen, sing der Sturm an, sich zu legen, welches der Alt-Vater sogleich vermerckte, und mit annoch ziemlich star- cker Stimme sprach: Meine Seele wird noch vor Mitternacht bey GOtt seyn, inzwischen haltet an im Gebet. Die Herren Geistlichen
bete-
[Q 4]
nichts mehr bekuͤmmern, ſondern meine Aufloͤſung in ſtiller Ruhe abwarteu.
Hierauf ſegnete der liebe Alt-Vater einem jegli- chen Stamm und alle Anweſenden mit Hertz-bre- chenden Worten, weßwegen faſt jedermann weinete, da er aber ins Bette gebracht zu werden begehrete, nahmen alle, biß etliche wenige, ihren Abtrit.
Folgende zwey Tage kamen aus allen Pflantz- Staͤdten Alt und Jung herbey gezogen, und nah- men, ein Geſchlecht nach dem andern, mit thraͤnen- den Augen und Kuͤſſung ſeiner Haͤnde beweglichen Abſchied von dem Alt-Vater, er aber ertheilete ih- nen den Segen mit froͤlichen Geberden.
Sonntags Vormittags hielt Hr. Mag. Schmel- tzer den GOttes-Dienſt in ſeinem Zimmer, zu Ende deſſelben beichtete der Alt-Vater, und empfing das Heil. Abendmahl ſehr andaͤchtig, wolte aber nachhero nicht das geringſte von Speiſe und Tranck zu ſich nehmen, ſondern er ließ ſich den gantzen Tag uͤber Wechſels-weiſe geiſtliche Lieder und Sterbe- Gebeter vorſingen und leſen. Nach verrichteten GOttes-Dienſt unten in der Kirche, verfammle- ten ſich die Herrn Geiſtlichen und Alt- Vaͤter zu ihm, allein, er ließ ſich nicht in ſeiner Andacht ſtoͤh- ren, ſondern verharrete ſtets im Beten und Singen.
Eben dieſen Sonntag, den 8. Octobr. 1730. Abends gegen Untergang der Sonnen, ſing der Sturm an, ſich zu legen, welches der Alt-Vater ſogleich vermerckte, und mit annoch ziemlich ſtar- cker Stimme ſprach: Meine Seele wird noch vor Mitternacht bey GOtt ſeyn, inzwiſchen haltet an im Gebet. Die Herren Geiſtlichen
bete-
[Q 4]
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nichts mehr bekuͤmmern, ſondern meine Aufloͤſung
in ſtiller Ruhe abwarteu.
Hierauf ſegnete der liebe Alt-Vater einem jegli-
chen Stamm und alle Anweſenden mit Hertz-bre-
chenden Worten, weßwegen faſt jedermann weinete,
da er aber ins Bette gebracht zu werden begehrete,
nahmen alle, biß etliche wenige, ihren Abtrit.
Folgende zwey Tage kamen aus allen Pflantz-
Staͤdten Alt und Jung herbey gezogen, und nah-
men, ein Geſchlecht nach dem andern, mit thraͤnen-
den Augen und Kuͤſſung ſeiner Haͤnde beweglichen
Abſchied von dem Alt-Vater, er aber ertheilete ih-
nen den Segen mit froͤlichen Geberden.
Sonntags Vormittags hielt Hr. Mag. Schmel-
tzer den GOttes-Dienſt in ſeinem Zimmer, zu Ende
deſſelben beichtete der Alt-Vater, und empfing
das Heil. Abendmahl ſehr andaͤchtig, wolte aber
nachhero nicht das geringſte von Speiſe und Tranck
zu ſich nehmen, ſondern er ließ ſich den gantzen Tag
uͤber Wechſels-weiſe geiſtliche Lieder und Sterbe-
Gebeter vorſingen und leſen. Nach verrichteten
GOttes-Dienſt unten in der Kirche, verfammle-
ten ſich die Herrn Geiſtlichen und Alt- Vaͤter zu
ihm, allein, er ließ ſich nicht in ſeiner Andacht ſtoͤh-
ren, ſondern verharrete ſtets im Beten und Singen.
Eben dieſen Sonntag, den 8. Octobr. 1730.
Abends gegen Untergang der Sonnen, ſing der
Sturm an, ſich zu legen, welches der Alt-Vater
ſogleich vermerckte, und mit annoch ziemlich ſtar-
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bete-
[Q 4]
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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata03_1739/255>, abgerufen am 24.11.2024.
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