Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

solchen empfindlichen Begebenheit, so gelassen auf-
führen würde, als ich gethan. Jhr dürfft auch
nicht vermeynen, daß ich etwa par Interesse, oder
anderer Ursachen wegen, ein guter Mann seyn wol-
te oder müste. Nein! mein Herr! sondern lasst
euch eine Geschicht erzählen: Diese Dame und ich
haben einander aus gewissen Ursachen nach dem
absoluten Willen des Königs heyrathen müssen,
und zwar zu der Zeit, da Sie noch nicht 15. ich aber
noch nicht 19. Jahr vor voll alt waren. Es fiel uns
dieses auf beyden Seiten sehr schmertzlich, weil wir,
eins so wohl als das andere, unsere Hertzen schon
anderwerts verschenckt hatten, mithin einander
nicht nur gar nicht lieben konten, sondern auch einen
würcklichen Abscheu vor einander bekamen. Unsere
Freunde wusten dieses, und der König erfuhr es
auch, allein, ein jeder meynte, das alles würde sich
schon geben, wenn wir nur erstlich zusammen kä-
men; allein, weit gesehlt, denn ob ich gleich wuste,
daß ich eine schöne Frau bekommen, auch sonsten
an ihren gantzen Wesen nichts auszusetzen hatte, so
war mir doch so wenig als ihr möglich, beysam-
men in einem Bette zu liegen, und noch vielweniger
einander ehelich zu berühren. Wie ich sie ausser-
dem aber im Hause wohl leiden konte, so wurde
zu einem wahrhafften Mitleiden bewegt, da ich sie
beständig weinend antraff, derowegen konte mich
endlich länger nicht enthalten, sie eines Abends also
anzureden: Madame! es jammert mich hertzlich,
euch alle Tage und Stunden, so offt ich euch nur
zu Hause antreffe, betrübt und weinend zu finden,
ich weiß, daß es euch unmöglich fällt, euer Hertze

von

ſolchen empfindlichen Begebenheit, ſo gelaſſen auf-
fuͤhren wuͤrde, als ich gethan. Jhr duͤrfft auch
nicht vermeynen, daß ich etwa par Intereſſe, oder
anderer Urſachen wegen, ein guter Mann ſeyn wol-
te oder muͤſte. Nein! mein Herr! ſondern laſſt
euch eine Geſchicht erzaͤhlen: Dieſe Dame und ich
haben einander aus gewiſſen Urſachen nach dem
abſoluten Willen des Koͤnigs heyrathen muͤſſen,
und zwar zu der Zeit, da Sie noch nicht 15. ich aber
noch nicht 19. Jahr vor voll alt waren. Es fiel uns
dieſes auf beyden Seiten ſehr ſchmertzlich, weil wir,
eins ſo wohl als das andere, unſere Hertzen ſchon
anderwerts verſchenckt hatten, mithin einander
nicht nur gar nicht lieben konten, ſondern auch einen
wuͤrcklichen Abſcheu vor einander bekamen. Unſere
Freunde wuſten dieſes, und der Koͤnig erfuhr es
auch, allein, ein jeder meynte, das alles wuͤrde ſich
ſchon geben, wenn wir nur erſtlich zuſammen kaͤ-
men; allein, weit geſehlt, denn ob ich gleich wuſte,
daß ich eine ſchoͤne Frau bekommen, auch ſonſten
an ihren gantzen Weſen nichts auszuſetzen hatte, ſo
war mir doch ſo wenig als ihr moͤglich, beyſam-
men in einem Bette zu liegen, und noch vielweniger
einander ehelich zu beruͤhren. Wie ich ſie auſſer-
dem aber im Hauſe wohl leiden konte, ſo wurde
zu einem wahrhafften Mitleiden bewegt, da ich ſie
beſtaͤndig weinend antraff, derowegen konte mich
endlich laͤnger nicht enthalten, ſie eines Abends alſo
anzureden: Madame! es jammert mich hertzlich,
euch alle Tage und Stunden, ſo offt ich euch nur
zu Hauſe antreffe, betruͤbt und weinend zu finden,
ich weiß, daß es euch unmoͤglich faͤllt, euer Hertze

von
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0404" n="396"/>
&#x017F;olchen empfindlichen Begebenheit, &#x017F;o gela&#x017F;&#x017F;en auf-<lb/>
fu&#x0364;hren wu&#x0364;rde, als ich gethan. Jhr du&#x0364;rfft auch<lb/>
nicht vermeynen, daß ich etwa <hi rendition="#aq">par Intere&#x017F;&#x017F;e,</hi> oder<lb/>
anderer Ur&#x017F;achen wegen, ein guter Mann &#x017F;eyn wol-<lb/>
te oder mu&#x0364;&#x017F;te. Nein! mein Herr! &#x017F;ondern la&#x017F;&#x017F;t<lb/>
euch eine Ge&#x017F;chicht erza&#x0364;hlen: Die&#x017F;e <hi rendition="#aq">Dame</hi> und ich<lb/>
haben einander aus gewi&#x017F;&#x017F;en Ur&#x017F;achen nach dem<lb/><hi rendition="#aq">ab&#x017F;olut</hi>en Willen des Ko&#x0364;nigs heyrathen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und zwar zu der Zeit, da Sie noch nicht 15. ich aber<lb/>
noch nicht 19. Jahr vor voll alt waren. Es fiel uns<lb/>
die&#x017F;es auf beyden Seiten &#x017F;ehr &#x017F;chmertzlich, weil wir,<lb/>
eins &#x017F;o wohl als das andere, un&#x017F;ere Hertzen &#x017F;chon<lb/>
anderwerts ver&#x017F;chenckt hatten, mithin einander<lb/>
nicht nur gar nicht lieben konten, &#x017F;ondern auch einen<lb/>
wu&#x0364;rcklichen Ab&#x017F;cheu vor einander bekamen. Un&#x017F;ere<lb/>
Freunde wu&#x017F;ten die&#x017F;es, und der Ko&#x0364;nig erfuhr es<lb/>
auch, allein, ein jeder meynte, das alles wu&#x0364;rde &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;chon geben, wenn wir nur er&#x017F;tlich zu&#x017F;ammen ka&#x0364;-<lb/>
men; allein, weit ge&#x017F;ehlt, denn ob ich gleich wu&#x017F;te,<lb/>
daß ich eine &#x017F;cho&#x0364;ne Frau bekommen, auch &#x017F;on&#x017F;ten<lb/>
an ihren gantzen We&#x017F;en nichts auszu&#x017F;etzen hatte, &#x017F;o<lb/>
war mir doch &#x017F;o wenig als ihr mo&#x0364;glich, bey&#x017F;am-<lb/>
men in einem Bette zu liegen, und noch vielweniger<lb/>
einander ehelich zu beru&#x0364;hren. Wie ich &#x017F;ie au&#x017F;&#x017F;er-<lb/>
dem aber im Hau&#x017F;e wohl leiden konte, &#x017F;o wurde<lb/>
zu einem wahrhafften Mitleiden bewegt, da ich &#x017F;ie<lb/>
be&#x017F;ta&#x0364;ndig weinend antraff, derowegen konte mich<lb/>
endlich la&#x0364;nger nicht enthalten, &#x017F;ie eines Abends al&#x017F;o<lb/>
anzureden: <hi rendition="#aq">Madame!</hi> es jammert mich hertzlich,<lb/>
euch alle Tage und Stunden, &#x017F;o offt ich euch nur<lb/>
zu Hau&#x017F;e antreffe, betru&#x0364;bt und weinend zu finden,<lb/>
ich weiß, daß es euch unmo&#x0364;glich fa&#x0364;llt, euer Hertze<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">von</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[396/0404] ſolchen empfindlichen Begebenheit, ſo gelaſſen auf- fuͤhren wuͤrde, als ich gethan. Jhr duͤrfft auch nicht vermeynen, daß ich etwa par Intereſſe, oder anderer Urſachen wegen, ein guter Mann ſeyn wol- te oder muͤſte. Nein! mein Herr! ſondern laſſt euch eine Geſchicht erzaͤhlen: Dieſe Dame und ich haben einander aus gewiſſen Urſachen nach dem abſoluten Willen des Koͤnigs heyrathen muͤſſen, und zwar zu der Zeit, da Sie noch nicht 15. ich aber noch nicht 19. Jahr vor voll alt waren. Es fiel uns dieſes auf beyden Seiten ſehr ſchmertzlich, weil wir, eins ſo wohl als das andere, unſere Hertzen ſchon anderwerts verſchenckt hatten, mithin einander nicht nur gar nicht lieben konten, ſondern auch einen wuͤrcklichen Abſcheu vor einander bekamen. Unſere Freunde wuſten dieſes, und der Koͤnig erfuhr es auch, allein, ein jeder meynte, das alles wuͤrde ſich ſchon geben, wenn wir nur erſtlich zuſammen kaͤ- men; allein, weit geſehlt, denn ob ich gleich wuſte, daß ich eine ſchoͤne Frau bekommen, auch ſonſten an ihren gantzen Weſen nichts auszuſetzen hatte, ſo war mir doch ſo wenig als ihr moͤglich, beyſam- men in einem Bette zu liegen, und noch vielweniger einander ehelich zu beruͤhren. Wie ich ſie auſſer- dem aber im Hauſe wohl leiden konte, ſo wurde zu einem wahrhafften Mitleiden bewegt, da ich ſie beſtaͤndig weinend antraff, derowegen konte mich endlich laͤnger nicht enthalten, ſie eines Abends alſo anzureden: Madame! es jammert mich hertzlich, euch alle Tage und Stunden, ſo offt ich euch nur zu Hauſe antreffe, betruͤbt und weinend zu finden, ich weiß, daß es euch unmoͤglich faͤllt, euer Hertze von

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata03_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata03_1739/404
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata03_1739/404>, abgerufen am 23.11.2024.