Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

ihm eine Ader öffnete, und nachhero bey Untersu-
chung der Wunde eine Bley-Kugel in dem Stirn-
Beine steckend fand. Ob nun schon dieselbe mit
grosser Mühe heraus gebracht und sonsten alles zu
seiner Lebens-Erhaltung angewendet wurde; so
merckte doch ein jeder bald, daß ihm diese Blessur
den Todt verursachen würde, denn er lag ohne
Verstand mit halb eröffneten Augen beständig als
in einem tieffen Schlaffe, holete aber doch starck
Athem darinnen. Aller Anwesenden Urtheile nach,
war die Mord-Kugel aus einer Wind-Büchse,
und zwar etwa durch ein Dach-Fenster des gegen
über liegenden Gast-Hauses herab geschossen wor-
den, und würde ohnfehlbar meinem Herrn biß ins
Gehirne eingedrungen seyn, wenn sie nicht vorhe-
ro ein Stück vom Fenster-Rahmen hinweg genom-
men, mithin sich ermattet gehabt. Es wurde bey
dem Gast-Wirthe eine scharffe Nachfrage ange-
stellet, jedoch nichts heraus gebracht, denn dieser
gestund zwar, daß seit etlichen Tagen einige frem-
de Personen in seinem obersten Stock-Werck lo-
gi
rt, da sie ihn aber das Logis voraus bezahlt,
hätte er sich um ihren Ausgang nicht bekümmert,
jedoch kein Schieß-Gewehr, viel weniger eine Wind-
Büchse bey ihnen gesehen. Das war es alles,
was man des Thäters wegen erfahren konte, dem-
nach muste mein Herr behalten, was er hatte, aus-
genommen das Leben. Doch ehe er dieses einbüs-
sete, kam in der 4ten Nacht nach der empfangenen
Blessur sein Verstand auf einmahl plötzlich wieder/
und blieb gantzer 8. Stunden bey ihm, weßwegen
die Aertzte, und sonderlich wir, seine Bediente, sehr

freu-

ihm eine Ader oͤffnete, und nachhero bey Unterſu-
chung der Wunde eine Bley-Kugel in dem Stirn-
Beine ſteckend fand. Ob nun ſchon dieſelbe mit
groſſer Muͤhe heraus gebracht und ſonſten alles zu
ſeiner Lebens-Erhaltung angewendet wurde; ſo
merckte doch ein jeder bald, daß ihm dieſe Bleſſur
den Todt verurſachen wuͤrde, denn er lag ohne
Verſtand mit halb eroͤffneten Augen beſtaͤndig als
in einem tieffen Schlaffe, holete aber doch ſtarck
Athem darinnen. Aller Anweſenden Urtheile nach,
war die Mord-Kugel aus einer Wind-Buͤchſe,
und zwar etwa durch ein Dach-Fenſter des gegen
uͤber liegenden Gaſt-Hauſes herab geſchoſſen wor-
den, und wuͤrde ohnfehlbar meinem Herrn biß ins
Gehirne eingedrungen ſeyn, wenn ſie nicht vorhe-
ro ein Stuͤck vom Fenſter-Rahmen hinweg genom-
men, mithin ſich ermattet gehabt. Es wurde bey
dem Gaſt-Wirthe eine ſcharffe Nachfrage ange-
ſtellet, jedoch nichts heraus gebracht, denn dieſer
geſtund zwar, daß ſeit etlichen Tagen einige frem-
de Perſonen in ſeinem oberſten Stock-Werck lo-
gi
rt, da ſie ihn aber das Logis voraus bezahlt,
haͤtte er ſich um ihren Ausgang nicht bekuͤmmert,
jedoch kein Schieß-Gewehr, viel weniger eine Wind-
Buͤchſe bey ihnen geſehen. Das war es alles,
was man des Thaͤters wegen erfahren konte, dem-
nach muſte mein Herr behalten, was er hatte, aus-
genommen das Leben. Doch ehe er dieſes einbuͤſ-
ſete, kam in der 4ten Nacht nach der empfangenen
Bleſſur ſein Verſtand auf einmahl ploͤtzlich wieder/
und blieb gantzer 8. Stunden bey ihm, weßwegen
die Aertzte, und ſonderlich wir, ſeine Bediente, ſehr

freu-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0424" n="416"/>
ihm eine Ader o&#x0364;ffnete, und nachhero bey Unter&#x017F;u-<lb/>
chung der Wunde eine Bley-Kugel in dem Stirn-<lb/>
Beine &#x017F;teckend fand. Ob nun &#x017F;chon die&#x017F;elbe mit<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;er Mu&#x0364;he heraus gebracht und &#x017F;on&#x017F;ten alles zu<lb/>
&#x017F;einer Lebens-Erhaltung angewendet wurde; &#x017F;o<lb/>
merckte doch ein jeder bald, daß ihm die&#x017F;e <hi rendition="#aq">Ble&#x017F;&#x017F;ur</hi><lb/>
den Todt verur&#x017F;achen wu&#x0364;rde, denn er lag ohne<lb/>
Ver&#x017F;tand mit halb ero&#x0364;ffneten Augen be&#x017F;ta&#x0364;ndig als<lb/>
in einem tieffen Schlaffe, holete aber doch &#x017F;tarck<lb/>
Athem darinnen. Aller Anwe&#x017F;enden Urtheile nach,<lb/>
war die Mord-Kugel aus einer Wind-Bu&#x0364;ch&#x017F;e,<lb/>
und zwar etwa durch ein Dach-Fen&#x017F;ter des gegen<lb/>
u&#x0364;ber liegenden Ga&#x017F;t-Hau&#x017F;es herab ge&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en wor-<lb/>
den, und wu&#x0364;rde ohnfehlbar meinem Herrn biß ins<lb/>
Gehirne eingedrungen &#x017F;eyn, wenn &#x017F;ie nicht vorhe-<lb/>
ro ein Stu&#x0364;ck vom Fen&#x017F;ter-Rahmen hinweg genom-<lb/>
men, mithin &#x017F;ich ermattet gehabt. Es wurde bey<lb/>
dem Ga&#x017F;t-Wirthe eine &#x017F;charffe Nachfrage ange-<lb/>
&#x017F;tellet, jedoch nichts heraus gebracht, denn die&#x017F;er<lb/>
ge&#x017F;tund zwar, daß &#x017F;eit etlichen Tagen einige frem-<lb/>
de Per&#x017F;onen in &#x017F;einem ober&#x017F;ten Stock-Werck <hi rendition="#aq">lo-<lb/>
gi</hi>rt, da &#x017F;ie ihn aber das <hi rendition="#aq">Logis</hi> voraus bezahlt,<lb/>
ha&#x0364;tte er &#x017F;ich um ihren Ausgang nicht beku&#x0364;mmert,<lb/>
jedoch kein Schieß-Gewehr, viel weniger eine Wind-<lb/>
Bu&#x0364;ch&#x017F;e bey ihnen ge&#x017F;ehen. Das war es alles,<lb/>
was man des Tha&#x0364;ters wegen erfahren konte, dem-<lb/>
nach mu&#x017F;te mein Herr behalten, was er hatte, aus-<lb/>
genommen das Leben. Doch ehe er die&#x017F;es einbu&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;ete, kam in der 4ten Nacht nach der empfangenen<lb/><hi rendition="#aq">Ble&#x017F;&#x017F;ur</hi> &#x017F;ein Ver&#x017F;tand auf einmahl plo&#x0364;tzlich wieder/<lb/>
und blieb gantzer 8. Stunden bey ihm, weßwegen<lb/>
die Aertzte, und &#x017F;onderlich wir, &#x017F;eine Bediente, &#x017F;ehr<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">freu-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[416/0424] ihm eine Ader oͤffnete, und nachhero bey Unterſu- chung der Wunde eine Bley-Kugel in dem Stirn- Beine ſteckend fand. Ob nun ſchon dieſelbe mit groſſer Muͤhe heraus gebracht und ſonſten alles zu ſeiner Lebens-Erhaltung angewendet wurde; ſo merckte doch ein jeder bald, daß ihm dieſe Bleſſur den Todt verurſachen wuͤrde, denn er lag ohne Verſtand mit halb eroͤffneten Augen beſtaͤndig als in einem tieffen Schlaffe, holete aber doch ſtarck Athem darinnen. Aller Anweſenden Urtheile nach, war die Mord-Kugel aus einer Wind-Buͤchſe, und zwar etwa durch ein Dach-Fenſter des gegen uͤber liegenden Gaſt-Hauſes herab geſchoſſen wor- den, und wuͤrde ohnfehlbar meinem Herrn biß ins Gehirne eingedrungen ſeyn, wenn ſie nicht vorhe- ro ein Stuͤck vom Fenſter-Rahmen hinweg genom- men, mithin ſich ermattet gehabt. Es wurde bey dem Gaſt-Wirthe eine ſcharffe Nachfrage ange- ſtellet, jedoch nichts heraus gebracht, denn dieſer geſtund zwar, daß ſeit etlichen Tagen einige frem- de Perſonen in ſeinem oberſten Stock-Werck lo- girt, da ſie ihn aber das Logis voraus bezahlt, haͤtte er ſich um ihren Ausgang nicht bekuͤmmert, jedoch kein Schieß-Gewehr, viel weniger eine Wind- Buͤchſe bey ihnen geſehen. Das war es alles, was man des Thaͤters wegen erfahren konte, dem- nach muſte mein Herr behalten, was er hatte, aus- genommen das Leben. Doch ehe er dieſes einbuͤſ- ſete, kam in der 4ten Nacht nach der empfangenen Bleſſur ſein Verſtand auf einmahl ploͤtzlich wieder/ und blieb gantzer 8. Stunden bey ihm, weßwegen die Aertzte, und ſonderlich wir, ſeine Bediente, ſehr freu-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata03_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata03_1739/424
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata03_1739/424>, abgerufen am 25.11.2024.