lag, welches meine Mutter, so bald ich dasselbe mit grossem Bedacht gelesen, wieder zu sich nahm, und in 1000 Stücken zerriß.
Das gröste Wunder war bey dieser Sache, daß, ohngeachtet der Couffre binnen 24. Stun- den fast zu Staub und Asche worden, jedennoch die Brieffschafften darinnen unversehrt geblieben wa- ren, mithin hatten wir noch ein schönes Capital ein- zuheben, welches zum Theil vielleicht auch noch vie- le Weitläuftigkeiten, unserm Bedüncken nach, ver- ursachen möchte.
Jedoch die eigentliche und Haupt-Sache war diese: zu erfahren, ob unser Vater noch am Leben, oder bereits todt wäre; derowegen schickte erstlich meine Mutter verschiedene Kundschaffer aus, und als sie binnen wenig Tagen durch getreue Leute mit schweren Kosten endlich so viel vernommen, als was, so zu sagen, in ihren Kram dienete, warff sie sich abermahls in Manns-Kleider, ließ 2. von unsern Be- dienten nach unserer ordinairen Livree gantz neu kleiden, und begab sich mit ihnen mehrentheils bey Nachts-Zeit auf den Weg, bath darbey uns zu- rück im Logis bleibenden, jederzeitein andächtiges Gebet vor ihre Person gen Himmel zu schicken.
Mir war angst und bange, meine Mutter von uns gehen zu sehen, jedoch, da ich mich endlich be- griff, und bedachte, daß sie nicht allein einen durch- dringenden Verstand, sondern auch dabey ein Manns-ja ein recht Löwen-Hertz im Leibe hätte, setzte ich mein Vertrauen auf die göttliche Hülffe, und ließ sie unter vielen 1000. Glückwünschungen so wohl, als Vergiessung häuffiger Thränen hin-
gehen,
(o) 4
lag, welches meine Mutter, ſo bald ich daſſelbe mit groſſem Bedacht geleſen, wieder zu ſich nahm, und in 1000 Stuͤcken zerriß.
Das groͤſte Wunder war bey dieſer Sache, daß, ohngeachtet der Couffre binnen 24. Stun- den faſt zu Staub und Aſche worden, jedennoch die Brieffſchafften darinnen unverſehrt geblieben wa- ren, mithin hatten wir noch ein ſchoͤnes Capital ein- zuheben, welches zum Theil vielleicht auch noch vie- le Weitlaͤuftigkeiten, unſerm Beduͤncken nach, ver- urſachen moͤchte.
Jedoch die eigentliche und Haupt-Sache war dieſe: zu erfahren, ob unſer Vater noch am Leben, oder bereits todt waͤre; derowegen ſchickte erſtlich meine Mutter verſchiedene Kundſchaffer aus, und als ſie binnen wenig Tagen durch getreue Leute mit ſchweren Koſten endlich ſo viel vernommen, als was, ſo zu ſagen, in ihren Kram dienete, warff ſie ſich abermahls in Manns-Kleider, ließ 2. von unſern Be- dienten nach unſerer ordinairen Livree gantz neu kleiden, und begab ſich mit ihnen mehrentheils bey Nachts-Zeit auf den Weg, bath darbey uns zu- ruͤck im Logis bleibenden, jederzeitein andaͤchtiges Gebet vor ihre Perſon gen Himmel zu ſchicken.
Mir war angſt und bange, meine Mutter von uns gehen zu ſehen, jedoch, da ich mich endlich be- griff, und bedachte, daß ſie nicht allein einen durch- dringenden Verſtand, ſondern auch dabey ein Manns-ja ein recht Loͤwen-Hertz im Leibe haͤtte, ſetzte ich mein Vertrauen auf die goͤttliche Huͤlffe, und ließ ſie unter vielen 1000. Gluͤckwuͤnſchungen ſo wohl, als Vergieſſung haͤuffiger Thraͤnen hin-
gehen,
(o) 4
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0225"n="215"/>
lag, welches meine Mutter, ſo bald ich daſſelbe<lb/>
mit groſſem Bedacht geleſen, wieder zu ſich nahm,<lb/>
und in 1000 Stuͤcken zerriß.</p><lb/><p>Das groͤſte Wunder war bey dieſer Sache,<lb/>
daß, ohngeachtet der <hirendition="#aq">Couffre</hi> binnen 24. Stun-<lb/>
den faſt zu Staub und Aſche worden, jedennoch die<lb/>
Brieffſchafften darinnen unverſehrt geblieben wa-<lb/>
ren, mithin hatten wir noch ein ſchoͤnes <hirendition="#aq">Capital</hi> ein-<lb/>
zuheben, welches zum Theil vielleicht auch noch vie-<lb/>
le Weitlaͤuftigkeiten, unſerm Beduͤncken nach, ver-<lb/>
urſachen moͤchte.</p><lb/><p>Jedoch die eigentliche und Haupt-Sache war<lb/>
dieſe: zu erfahren, ob unſer Vater noch am Leben,<lb/>
oder bereits todt waͤre; derowegen ſchickte erſtlich<lb/>
meine Mutter verſchiedene Kundſchaffer aus, und<lb/>
als ſie binnen wenig Tagen durch getreue Leute mit<lb/>ſchweren Koſten endlich ſo viel vernommen, als was,<lb/>ſo zu ſagen, in ihren Kram dienete, warff ſie ſich<lb/>
abermahls in Manns-Kleider, ließ 2. von unſern Be-<lb/>
dienten nach unſerer <hirendition="#aq">ordinair</hi>en <hirendition="#aq">Livree</hi> gantz neu<lb/>
kleiden, und begab ſich mit ihnen mehrentheils bey<lb/>
Nachts-Zeit auf den Weg, bath darbey uns zu-<lb/>
ruͤck im <hirendition="#aq">Logis</hi> bleibenden, jederzeitein andaͤchtiges<lb/>
Gebet vor ihre Perſon gen Himmel zu ſchicken.</p><lb/><p>Mir war angſt und bange, meine Mutter von<lb/>
uns gehen zu ſehen, jedoch, da ich mich endlich be-<lb/>
griff, und bedachte, daß ſie nicht allein einen durch-<lb/>
dringenden Verſtand, ſondern auch dabey ein<lb/>
Manns-ja ein recht Loͤwen-Hertz im Leibe haͤtte,<lb/>ſetzte ich mein Vertrauen auf die goͤttliche Huͤlffe,<lb/>
und ließ ſie unter vielen 1000. Gluͤckwuͤnſchungen<lb/>ſo wohl, als Vergieſſung haͤuffiger Thraͤnen hin-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">(o) 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">gehen,</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[215/0225]
lag, welches meine Mutter, ſo bald ich daſſelbe
mit groſſem Bedacht geleſen, wieder zu ſich nahm,
und in 1000 Stuͤcken zerriß.
Das groͤſte Wunder war bey dieſer Sache,
daß, ohngeachtet der Couffre binnen 24. Stun-
den faſt zu Staub und Aſche worden, jedennoch die
Brieffſchafften darinnen unverſehrt geblieben wa-
ren, mithin hatten wir noch ein ſchoͤnes Capital ein-
zuheben, welches zum Theil vielleicht auch noch vie-
le Weitlaͤuftigkeiten, unſerm Beduͤncken nach, ver-
urſachen moͤchte.
Jedoch die eigentliche und Haupt-Sache war
dieſe: zu erfahren, ob unſer Vater noch am Leben,
oder bereits todt waͤre; derowegen ſchickte erſtlich
meine Mutter verſchiedene Kundſchaffer aus, und
als ſie binnen wenig Tagen durch getreue Leute mit
ſchweren Koſten endlich ſo viel vernommen, als was,
ſo zu ſagen, in ihren Kram dienete, warff ſie ſich
abermahls in Manns-Kleider, ließ 2. von unſern Be-
dienten nach unſerer ordinairen Livree gantz neu
kleiden, und begab ſich mit ihnen mehrentheils bey
Nachts-Zeit auf den Weg, bath darbey uns zu-
ruͤck im Logis bleibenden, jederzeitein andaͤchtiges
Gebet vor ihre Perſon gen Himmel zu ſchicken.
Mir war angſt und bange, meine Mutter von
uns gehen zu ſehen, jedoch, da ich mich endlich be-
griff, und bedachte, daß ſie nicht allein einen durch-
dringenden Verſtand, ſondern auch dabey ein
Manns-ja ein recht Loͤwen-Hertz im Leibe haͤtte,
ſetzte ich mein Vertrauen auf die goͤttliche Huͤlffe,
und ließ ſie unter vielen 1000. Gluͤckwuͤnſchungen
ſo wohl, als Vergieſſung haͤuffiger Thraͤnen hin-
gehen,
(o) 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 4. Nordhausen, 1743, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata04_1743/225>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.