Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754.

Bild:
<< vorherige Seite

Sc
ren unsere ehrliche Alten viel hatten, gegeben wor-
den; unter der Bedingung aber, niemanden seine
Tochter zu verheyrathen, als wer auf diesem Trink-
horne
einen Ton herausbringen würde. Es war,
wie man muthmaßet, von Golde: denn was von
Geistern kömmt, muß wohl gut seyn. Rustefeil
bestimmte also einen Tag; er ließ ausrufen: daß,
wer dieses wunderwürdige Horn würde blasen,
und Mathilden, so hieß seine Tochter, das schön-
ste Mährchen erzählen können: der sollte die
Braut heimführen; wer hingegen ungeschickt wä-
re, der sollte sich, Ritter und Freyen, seiner
Strafe unterwerfen. Allein, wer achtet die Ge-
fahr, wenn man um ein solches Kleinod kämpfet?

Der Tag erschien, und die Kämpfer noch vor
Tage: Heyden, Juden und Christen, und ver-
sammelten sich auf dem Kampfplatze. Die Schö-
ne erschien auch. Sie ward von ihrem Vater ge-
führet, und setzte sich auf eine kleine Erhöhung, von
der man sowohl die Braut, als das versprochene
Land, sehen konnte. Mops war zu ihren Füßen,
und die Heerde lag um den Hügel her. Wie man
leicht denken kann: ihr Zeug war nicht kostbar;
doch war sie so gekleidet, daß ihre Kleidung ihre
Glieder erhob; und diese von jener nicht zu sehr
verstecket wurden. Jn der Rechten hielt sie das
fürchterliche Horn; in der Linken ein Buch mit
Mähren.

Der erste, der sich ihr näherte, war zwar ein
ganz wohlgezogener Jüngling; der sich aber bunter
gekleidet hatte, als es sich für einen künftigen

Schäfer

Sc
ren unſere ehrliche Alten viel hatten, gegeben wor-
den; unter der Bedingung aber, niemanden ſeine
Tochter zu verheyrathen, als wer auf dieſem Trink-
horne
einen Ton herausbringen wuͤrde. Es war,
wie man muthmaßet, von Golde: denn was von
Geiſtern koͤmmt, muß wohl gut ſeyn. Ruſtefeil
beſtimmte alſo einen Tag; er ließ ausrufen: daß,
wer dieſes wunderwuͤrdige Horn wuͤrde blaſen,
und Mathilden, ſo hieß ſeine Tochter, das ſchoͤn-
ſte Maͤhrchen erzaͤhlen koͤnnen: der ſollte die
Braut heimfuͤhren; wer hingegen ungeſchickt waͤ-
re, der ſollte ſich, Ritter und Freyen, ſeiner
Strafe unterwerfen. Allein, wer achtet die Ge-
fahr, wenn man um ein ſolches Kleinod kaͤmpfet?

Der Tag erſchien, und die Kaͤmpfer noch vor
Tage: Heyden, Juden und Chriſten, und ver-
ſammelten ſich auf dem Kampfplatze. Die Schoͤ-
ne erſchien auch. Sie ward von ihrem Vater ge-
fuͤhret, und ſetzte ſich auf eine kleine Erhoͤhung, von
der man ſowohl die Braut, als das verſprochene
Land, ſehen konnte. Mops war zu ihren Fuͤßen,
und die Heerde lag um den Huͤgel her. Wie man
leicht denken kann: ihr Zeug war nicht koſtbar;
doch war ſie ſo gekleidet, daß ihre Kleidung ihre
Glieder erhob; und dieſe von jener nicht zu ſehr
verſtecket wurden. Jn der Rechten hielt ſie das
fuͤrchterliche Horn; in der Linken ein Buch mit
Maͤhren.

Der erſte, der ſich ihr naͤherte, war zwar ein
ganz wohlgezogener Juͤngling; der ſich aber bunter
gekleidet hatte, als es ſich fuͤr einen kuͤnftigen

Schaͤfer
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0396" n="370"/><fw place="top" type="header">Sc</fw><lb/>
ren un&#x017F;ere ehrliche Alten viel hatten, gegeben wor-<lb/>
den; unter der Bedingung aber, niemanden &#x017F;eine<lb/>
Tochter zu verheyrathen, als wer auf die&#x017F;em <hi rendition="#fr">Trink-<lb/>
horne</hi> einen Ton herausbringen wu&#x0364;rde. Es war,<lb/>
wie man muthmaßet, von <hi rendition="#fr">Golde:</hi> denn was von<lb/>
Gei&#x017F;tern ko&#x0364;mmt, muß wohl gut &#x017F;eyn. <hi rendition="#fr">Ru&#x017F;tefeil</hi><lb/>
be&#x017F;timmte al&#x017F;o einen Tag; er ließ ausrufen: daß,<lb/>
wer die&#x017F;es wunderwu&#x0364;rdige <hi rendition="#fr">Horn</hi> wu&#x0364;rde bla&#x017F;en,<lb/>
und <hi rendition="#fr">Mathilden,</hi> &#x017F;o hieß &#x017F;eine Tochter, das &#x017F;cho&#x0364;n-<lb/>
&#x017F;te <hi rendition="#fr">Ma&#x0364;hrchen erza&#x0364;hlen</hi> ko&#x0364;nnen: der &#x017F;ollte die<lb/>
Braut heimfu&#x0364;hren; wer hingegen unge&#x017F;chickt wa&#x0364;-<lb/>
re, der &#x017F;ollte &#x017F;ich, <hi rendition="#fr">Ritter</hi> und <hi rendition="#fr">Freyen,</hi> &#x017F;einer<lb/>
Strafe unterwerfen. Allein, wer achtet die Ge-<lb/>
fahr, wenn man um ein &#x017F;olches Kleinod ka&#x0364;mpfet?</p><lb/>
              <p>Der Tag er&#x017F;chien, und die Ka&#x0364;mpfer noch vor<lb/>
Tage: <hi rendition="#fr">Heyden, Juden</hi> und <hi rendition="#fr">Chri&#x017F;ten,</hi> und ver-<lb/>
&#x017F;ammelten &#x017F;ich auf dem Kampfplatze. Die Scho&#x0364;-<lb/>
ne er&#x017F;chien auch. Sie ward von ihrem Vater ge-<lb/>
fu&#x0364;hret, und &#x017F;etzte &#x017F;ich auf eine kleine Erho&#x0364;hung, von<lb/>
der man &#x017F;owohl die Braut, als das ver&#x017F;prochene<lb/>
Land, &#x017F;ehen konnte. <hi rendition="#fr">Mops</hi> war zu ihren Fu&#x0364;ßen,<lb/>
und die Heerde lag um den Hu&#x0364;gel her. Wie man<lb/>
leicht denken kann: ihr Zeug war nicht ko&#x017F;tbar;<lb/>
doch war &#x017F;ie &#x017F;o gekleidet, daß ihre Kleidung ihre<lb/>
Glieder erhob; und die&#x017F;e von jener nicht zu &#x017F;ehr<lb/>
ver&#x017F;tecket wurden. Jn der Rechten hielt &#x017F;ie das<lb/>
fu&#x0364;rchterliche <hi rendition="#fr">Horn;</hi> in der Linken ein Buch mit<lb/><hi rendition="#fr">Ma&#x0364;hren.</hi></p><lb/>
              <p>Der <hi rendition="#fr">er&#x017F;te,</hi> der &#x017F;ich ihr na&#x0364;herte, war zwar ein<lb/>
ganz wohlgezogener Ju&#x0364;ngling; der &#x017F;ich aber bunter<lb/>
gekleidet hatte, als es &#x017F;ich fu&#x0364;r einen ku&#x0364;nftigen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Scha&#x0364;fer</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[370/0396] Sc ren unſere ehrliche Alten viel hatten, gegeben wor- den; unter der Bedingung aber, niemanden ſeine Tochter zu verheyrathen, als wer auf dieſem Trink- horne einen Ton herausbringen wuͤrde. Es war, wie man muthmaßet, von Golde: denn was von Geiſtern koͤmmt, muß wohl gut ſeyn. Ruſtefeil beſtimmte alſo einen Tag; er ließ ausrufen: daß, wer dieſes wunderwuͤrdige Horn wuͤrde blaſen, und Mathilden, ſo hieß ſeine Tochter, das ſchoͤn- ſte Maͤhrchen erzaͤhlen koͤnnen: der ſollte die Braut heimfuͤhren; wer hingegen ungeſchickt waͤ- re, der ſollte ſich, Ritter und Freyen, ſeiner Strafe unterwerfen. Allein, wer achtet die Ge- fahr, wenn man um ein ſolches Kleinod kaͤmpfet? Der Tag erſchien, und die Kaͤmpfer noch vor Tage: Heyden, Juden und Chriſten, und ver- ſammelten ſich auf dem Kampfplatze. Die Schoͤ- ne erſchien auch. Sie ward von ihrem Vater ge- fuͤhret, und ſetzte ſich auf eine kleine Erhoͤhung, von der man ſowohl die Braut, als das verſprochene Land, ſehen konnte. Mops war zu ihren Fuͤßen, und die Heerde lag um den Huͤgel her. Wie man leicht denken kann: ihr Zeug war nicht koſtbar; doch war ſie ſo gekleidet, daß ihre Kleidung ihre Glieder erhob; und dieſe von jener nicht zu ſehr verſtecket wurden. Jn der Rechten hielt ſie das fuͤrchterliche Horn; in der Linken ein Buch mit Maͤhren. Der erſte, der ſich ihr naͤherte, war zwar ein ganz wohlgezogener Juͤngling; der ſich aber bunter gekleidet hatte, als es ſich fuͤr einen kuͤnftigen Schaͤfer

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/396
Zitationshilfe: Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/396>, abgerufen am 22.11.2024.