Augenblik fordert, und vergas dabei wohl zuweilen der Rücksicht auf das einzig lobenswerthe der byzan- tinischen Kunst, auf die Regel symmetrischer Grup- pirung. Doch die unglaubliche Naivetät und Wahr- heit, die unaussprechliche Anmuth und höchste Ab- sichtlosigkeit in der Zusammenstellung seiner Figuren, die Art mit der sie sich bewegen, geben ihnen einen unbeschreiblichen Reiz, und der aus Allem hervor- leuchtende reine würdige Sinn ersetzt reichlich was die strenge Regel sonst noch fordern könnte. Wie weit entfernt Johann van Eyck von jeder der Natur sich entfremdenden Künstelei war, zeigt be- sonders die Art wie er das Fleisch malte; weder grüne, noch graue, noch violette Töne herrschen vor, es athmet und lebt wie das Leben selbst. Nichts ist der Ausführlichkeit zu vergleichen, mit welcher er Alles vom Größten bis zum Kleinsten bis in fast unsichtbare Einzelnheiten zu behandeln wußte; Alles ist Porträt, Alles vollendet wie die feinste Miniaturmalerei, kein Gegenstand auf einer seiner Tafeln, der nicht die genaueste Untersuchung durch die Lupe ertrüge, und dennoch ist nirgend
Augenblik fordert, und vergas dabei wohl zuweilen der Rückſicht auf das einzig lobenswerthe der byzan- tiniſchen Kunſt, auf die Regel ſymmetriſcher Grup- pirung. Doch die unglaubliche Naivetät und Wahr- heit, die unausſprechliche Anmuth und höchſte Ab- ſichtloſigkeit in der Zuſammenſtellung ſeiner Figuren, die Art mit der ſie ſich bewegen, geben ihnen einen unbeſchreiblichen Reiz, und der aus Allem hervor- leuchtende reine würdige Sinn erſetzt reichlich was die ſtrenge Regel ſonſt noch fordern könnte. Wie weit entfernt Johann van Eyck von jeder der Natur ſich entfremdenden Künſtelei war, zeigt be- ſonders die Art wie er das Fleiſch malte; weder grüne, noch graue, noch violette Töne herrſchen vor, es athmet und lebt wie das Leben ſelbſt. Nichts iſt der Ausführlichkeit zu vergleichen, mit welcher er Alles vom Größten bis zum Kleinſten bis in faſt unſichtbare Einzelnheiten zu behandeln wußte; Alles iſt Porträt, Alles vollendet wie die feinſte Miniaturmalerei, kein Gegenſtand auf einer ſeiner Tafeln, der nicht die genaueſte Unterſuchung durch die Lupe ertrüge, und dennoch iſt nirgend
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[28/0040]
Augenblik fordert, und vergas dabei wohl zuweilen
der Rückſicht auf das einzig lobenswerthe der byzan-
tiniſchen Kunſt, auf die Regel ſymmetriſcher Grup-
pirung. Doch die unglaubliche Naivetät und Wahr-
heit, die unausſprechliche Anmuth und höchſte Ab-
ſichtloſigkeit in der Zuſammenſtellung ſeiner Figuren,
die Art mit der ſie ſich bewegen, geben ihnen einen
unbeſchreiblichen Reiz, und der aus Allem hervor-
leuchtende reine würdige Sinn erſetzt reichlich
was die ſtrenge Regel ſonſt noch fordern könnte.
Wie weit entfernt Johann van Eyck von jeder der
Natur ſich entfremdenden Künſtelei war, zeigt be-
ſonders die Art wie er das Fleiſch malte; weder
grüne, noch graue, noch violette Töne herrſchen
vor, es athmet und lebt wie das Leben ſelbſt.
Nichts iſt der Ausführlichkeit zu vergleichen, mit
welcher er Alles vom Größten bis zum Kleinſten
bis in faſt unſichtbare Einzelnheiten zu behandeln
wußte; Alles iſt Porträt, Alles vollendet wie die
feinſte Miniaturmalerei, kein Gegenſtand auf einer
ſeiner Tafeln, der nicht die genaueſte Unterſuchung
durch die Lupe ertrüge, und dennoch iſt nirgend
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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/40>, abgerufen am 21.11.2024.
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