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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822.

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Schönheit, daß man die Möglichkeit eines solchen
Jrrthums leicht begreift.

Ein weiter dunkelblauer Mantel umgibt im
herrlichsten Faltenwurf die schöne Gestalt, wahr-
scheinlich das Porträt einer edlen noch jugendlichen
Frau. Nichts kann einfacher und dabei doch herz-
ergreifender gedacht werden, als der tiefe Aus-
druck unendlichen Schmerzes in den schönen Zügen
dieses Gesichts. Und doch ist über dem Ganzen
eine so unbeschreibliche Anmuth verbreitet, daß
wir dabei eine Art wehmüthiger Freude empfinden
ein solches Leid so getragen zu sehen. Sie weint
nicht mehr, denn alle ihre Thränen sind längst
vergoßen, sie klagt nicht, denn ihr Schmerz ist
zu groß für jede Klage. Sie weiß, es gibt
keinen Trost mehr für sie auf Erden, aber sie
hat sich darein ergeben, nicht aus weichlicher
Schwäche, sondern im festen Vertrauen in Gott
und seinen Willen. Die Linke der schönen Hände
ruht auf der noch schmerzlich wogenden Brust, die
Rechte ist erhoben, als deute sie auf einen Gegen-
stand ausserhalb dem Bilde, zu welchem das Gegen-

II. Bd. 12

Schönheit, daß man die Möglichkeit eines ſolchen
Jrrthums leicht begreift.

Ein weiter dunkelblauer Mantel umgibt im
herrlichſten Faltenwurf die ſchöne Geſtalt, wahr-
ſcheinlich das Porträt einer edlen noch jugendlichen
Frau. Nichts kann einfacher und dabei doch herz-
ergreifender gedacht werden, als der tiefe Aus-
druck unendlichen Schmerzes in den ſchönen Zügen
dieſes Geſichts. Und doch iſt über dem Ganzen
eine ſo unbeſchreibliche Anmuth verbreitet, daß
wir dabei eine Art wehmüthiger Freude empfinden
ein ſolches Leid ſo getragen zu ſehen. Sie weint
nicht mehr, denn alle ihre Thränen ſind längſt
vergoßen, ſie klagt nicht, denn ihr Schmerz iſt
zu groß für jede Klage. Sie weiß, es gibt
keinen Troſt mehr für ſie auf Erden, aber ſie
hat ſich darein ergeben, nicht aus weichlicher
Schwäche, ſondern im feſten Vertrauen in Gott
und ſeinen Willen. Die Linke der ſchönen Hände
ruht auf der noch ſchmerzlich wogenden Bruſt, die
Rechte iſt erhoben, als deute ſie auf einen Gegen-
ſtand auſſerhalb dem Bilde, zu welchem das Gegen-

II. Bd. 12
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[177/0185] Schönheit, daß man die Möglichkeit eines ſolchen Jrrthums leicht begreift. Ein weiter dunkelblauer Mantel umgibt im herrlichſten Faltenwurf die ſchöne Geſtalt, wahr- ſcheinlich das Porträt einer edlen noch jugendlichen Frau. Nichts kann einfacher und dabei doch herz- ergreifender gedacht werden, als der tiefe Aus- druck unendlichen Schmerzes in den ſchönen Zügen dieſes Geſichts. Und doch iſt über dem Ganzen eine ſo unbeſchreibliche Anmuth verbreitet, daß wir dabei eine Art wehmüthiger Freude empfinden ein ſolches Leid ſo getragen zu ſehen. Sie weint nicht mehr, denn alle ihre Thränen ſind längſt vergoßen, ſie klagt nicht, denn ihr Schmerz iſt zu groß für jede Klage. Sie weiß, es gibt keinen Troſt mehr für ſie auf Erden, aber ſie hat ſich darein ergeben, nicht aus weichlicher Schwäche, ſondern im feſten Vertrauen in Gott und ſeinen Willen. Die Linke der ſchönen Hände ruht auf der noch ſchmerzlich wogenden Bruſt, die Rechte iſt erhoben, als deute ſie auf einen Gegen- ſtand auſſerhalb dem Bilde, zu welchem das Gegen- II. Bd. 12

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Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822/185>, abgerufen am 21.11.2024.