Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

der Zeit einer Minute um zehn Jahre älter ge-
worden.

Arnold, der sie aufmerksam beobachtet hatte,
wußte nicht, wie er sich die Veränderungen, die auf
Dinas Gesichte vorgegangen waren, erklären, wie sie
sich deuten sollte: er befand sich hier einem Räthsel
gegenüber, das ihn peinigte.

-- "Wie ist dir heute, Dina?" fragte sie der
Prophet mit dem Tone der innigsten Theilnahme und
sah sie dabei liebevoll an, als sie zu ihm trat und
ihm den Kaffee präsentirte. "Man macht uns Vor-
würfe," fügte er, auf den Gast blickend, mit dem
vorigen Tone hinzu, "daß wir dich, die sichtbar lei-
det, nicht zu Bett schicken; was sagst du dazu?"

-- "Jch sage, daß mir lange, lange nicht so
wohl gewesen ist, wie in dieser Stunde," betheuerte
Dina, die Hand auf ihr Herz legend; "o, seit Jah-
ren nicht, Sir!" fügte sie mit einem unaussprech-
lichen Blicke auf den Propheten hinzu.

-- "Du bringst uns aber durch deinen Eigen-
sinn in üble Nachrede," nahm Marie mit schmollen-
dem Tone das Wort; "man sieht dir an, daß du
leidend bist und trotz dem willst du dich nicht zur Ruhe
begeben, dich nicht schonen, nicht pflegen lassen; was
aber soll man von uns denken, daß wir von einer
Kranken fortwährend noch Dienstleistungen dulden?"

der Zeit einer Minute um zehn Jahre älter ge-
worden.

Arnold, der ſie aufmerkſam beobachtet hatte,
wußte nicht, wie er ſich die Veränderungen, die auf
Dinas Geſichte vorgegangen waren, erklären, wie ſie
ſich deuten ſollte: er befand ſich hier einem Räthſel
gegenüber, das ihn peinigte.

— „Wie iſt dir heute, Dina?“ fragte ſie der
Prophet mit dem Tone der innigſten Theilnahme und
ſah ſie dabei liebevoll an, als ſie zu ihm trat und
ihm den Kaffee präſentirte. „Man macht uns Vor-
würfe,“ fügte er, auf den Gaſt blickend, mit dem
vorigen Tone hinzu, „daß wir dich, die ſichtbar lei-
det, nicht zu Bett ſchicken; was ſagſt du dazu?“

— „Jch ſage, daß mir lange, lange nicht ſo
wohl geweſen iſt, wie in dieſer Stunde,“ betheuerte
Dina, die Hand auf ihr Herz legend; „o, ſeit Jah-
ren nicht, Sir!“ fügte ſie mit einem unausſprech-
lichen Blicke auf den Propheten hinzu.

— „Du bringſt uns aber durch deinen Eigen-
ſinn in üble Nachrede,“ nahm Marie mit ſchmollen-
dem Tone das Wort; „man ſieht dir an, daß du
leidend biſt und trotz dem willſt du dich nicht zur Ruhe
begeben, dich nicht ſchonen, nicht pflegen laſſen; was
aber ſoll man von uns denken, daß wir von einer
Kranken fortwährend noch Dienſtleiſtungen dulden?“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0125" n="117"/>
der Zeit <hi rendition="#g">einer</hi> Minute um zehn Jahre älter ge-<lb/>
worden.</p><lb/>
        <p>Arnold, der &#x017F;ie aufmerk&#x017F;am beobachtet hatte,<lb/>
wußte nicht, wie er &#x017F;ich die Veränderungen, die auf<lb/>
Dinas Ge&#x017F;ichte vorgegangen waren, erklären, wie &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich deuten &#x017F;ollte: er befand &#x017F;ich hier einem Räth&#x017F;el<lb/>
gegenüber, das ihn peinigte.</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;Wie i&#x017F;t dir heute, Dina?&#x201C; fragte &#x017F;ie der<lb/>
Prophet mit dem Tone der innig&#x017F;ten Theilnahme und<lb/>
&#x017F;ah &#x017F;ie dabei liebevoll an, als &#x017F;ie zu ihm trat und<lb/>
ihm den Kaffee prä&#x017F;entirte. &#x201E;Man macht uns Vor-<lb/>
würfe,&#x201C; fügte er, auf den Ga&#x017F;t blickend, mit dem<lb/>
vorigen Tone hinzu, &#x201E;daß wir dich, die &#x017F;ichtbar lei-<lb/>
det, nicht zu Bett &#x017F;chicken; was &#x017F;ag&#x017F;t du dazu?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;Jch &#x017F;age, daß mir lange, lange nicht &#x017F;o<lb/>
wohl gewe&#x017F;en i&#x017F;t, wie in die&#x017F;er Stunde,&#x201C; betheuerte<lb/>
Dina, die Hand auf ihr Herz legend; &#x201E;o, &#x017F;eit Jah-<lb/>
ren nicht, Sir!&#x201C; fügte &#x017F;ie mit einem unaus&#x017F;prech-<lb/>
lichen Blicke auf den Propheten hinzu.</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;Du bring&#x017F;t uns aber durch deinen Eigen-<lb/>
&#x017F;inn in üble Nachrede,&#x201C; nahm Marie mit &#x017F;chmollen-<lb/>
dem Tone das Wort; &#x201E;man &#x017F;ieht dir an, daß du<lb/>
leidend bi&#x017F;t und trotz dem will&#x017F;t du dich nicht zur Ruhe<lb/>
begeben, dich nicht &#x017F;chonen, nicht pflegen la&#x017F;&#x017F;en; was<lb/>
aber &#x017F;oll man von uns denken, daß wir von einer<lb/>
Kranken fortwährend noch Dien&#x017F;tlei&#x017F;tungen dulden?&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0125] der Zeit einer Minute um zehn Jahre älter ge- worden. Arnold, der ſie aufmerkſam beobachtet hatte, wußte nicht, wie er ſich die Veränderungen, die auf Dinas Geſichte vorgegangen waren, erklären, wie ſie ſich deuten ſollte: er befand ſich hier einem Räthſel gegenüber, das ihn peinigte. — „Wie iſt dir heute, Dina?“ fragte ſie der Prophet mit dem Tone der innigſten Theilnahme und ſah ſie dabei liebevoll an, als ſie zu ihm trat und ihm den Kaffee präſentirte. „Man macht uns Vor- würfe,“ fügte er, auf den Gaſt blickend, mit dem vorigen Tone hinzu, „daß wir dich, die ſichtbar lei- det, nicht zu Bett ſchicken; was ſagſt du dazu?“ — „Jch ſage, daß mir lange, lange nicht ſo wohl geweſen iſt, wie in dieſer Stunde,“ betheuerte Dina, die Hand auf ihr Herz legend; „o, ſeit Jah- ren nicht, Sir!“ fügte ſie mit einem unausſprech- lichen Blicke auf den Propheten hinzu. — „Du bringſt uns aber durch deinen Eigen- ſinn in üble Nachrede,“ nahm Marie mit ſchmollen- dem Tone das Wort; „man ſieht dir an, daß du leidend biſt und trotz dem willſt du dich nicht zur Ruhe begeben, dich nicht ſchonen, nicht pflegen laſſen; was aber ſoll man von uns denken, daß wir von einer Kranken fortwährend noch Dienſtleiſtungen dulden?“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846/125
Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846/125>, abgerufen am 04.12.2024.