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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846.

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An dem Abende, welcher dem Tage folgte, an
dem er durch Dina's plötzliche völlige Erkrankung so
sehr erschreckt worden war, suchte er in seiner großen
Verstimmung gegen Marie früher als gewöhnlich sein
Schlafgemach auf, nicht, um sich zum Schlafe nie-
derzulegen, sondern um, wo möglich, die Aufregung
seines Gemüths durch Lectüre zu beschwichtigen. Er
begab sich, bevor er sich in sein Zimmer zurückzog,
in die Bibliothek des Propheten, wozu dieser ihm den
Schlüssel gelassen hatte, um sich ein Buch zu suchen,
dessen Jnhalt dazu geeignet wäre, ihn auf eine Weile
von seinen Gedanken abzuziehen und beruhigend auf
sein Gemüth zu wirken. Er fand, was er suchte, und
kehrte damit in sein Zimmer zurück, wo er sich neben
dem geöffneten Fenster -- denn der Abend war über-
aus schwül, weil ein Gewitter am Himmel stand --
mit zwei Kerzen vor sich auf dem Tische, zum Lesen
niederließ.

Zu Anfang wollte es nicht recht damit gehen
und seine Gedanken schweiften noch oft über das Buch,
zu der armen Dina hinüber, deren furchtbare Leiden
den lebhaftesten Widerhall in seiner Seele fanden;
nach und nach aber fesselte ihn doch die überaus an-
regende Lectüre und die Stunde der Mitternacht war
bereits vorüber, als er noch immer lesend am geöffne-
ten Fenster saß.

An dem Abende, welcher dem Tage folgte, an
dem er durch Dina’s plötzliche völlige Erkrankung ſo
ſehr erſchreckt worden war, ſuchte er in ſeiner großen
Verſtimmung gegen Marie früher als gewöhnlich ſein
Schlafgemach auf, nicht, um ſich zum Schlafe nie-
derzulegen, ſondern um, wo möglich, die Aufregung
ſeines Gemüths durch Lectüre zu beſchwichtigen. Er
begab ſich, bevor er ſich in ſein Zimmer zurückzog,
in die Bibliothek des Propheten, wozu dieſer ihm den
Schlüſſel gelaſſen hatte, um ſich ein Buch zu ſuchen,
deſſen Jnhalt dazu geeignet wäre, ihn auf eine Weile
von ſeinen Gedanken abzuziehen und beruhigend auf
ſein Gemüth zu wirken. Er fand, was er ſuchte, und
kehrte damit in ſein Zimmer zurück, wo er ſich neben
dem geöffneten Fenſter — denn der Abend war über-
aus ſchwül, weil ein Gewitter am Himmel ſtand —
mit zwei Kerzen vor ſich auf dem Tiſche, zum Leſen
niederließ.

Zu Anfang wollte es nicht recht damit gehen
und ſeine Gedanken ſchweiften noch oft über das Buch,
zu der armen Dina hinüber, deren furchtbare Leiden
den lebhafteſten Widerhall in ſeiner Seele fanden;
nach und nach aber feſſelte ihn doch die überaus an-
regende Lectüre und die Stunde der Mitternacht war
bereits vorüber, als er noch immer leſend am geöffne-
ten Fenſter ſaß.

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[170/0178] An dem Abende, welcher dem Tage folgte, an dem er durch Dina’s plötzliche völlige Erkrankung ſo ſehr erſchreckt worden war, ſuchte er in ſeiner großen Verſtimmung gegen Marie früher als gewöhnlich ſein Schlafgemach auf, nicht, um ſich zum Schlafe nie- derzulegen, ſondern um, wo möglich, die Aufregung ſeines Gemüths durch Lectüre zu beſchwichtigen. Er begab ſich, bevor er ſich in ſein Zimmer zurückzog, in die Bibliothek des Propheten, wozu dieſer ihm den Schlüſſel gelaſſen hatte, um ſich ein Buch zu ſuchen, deſſen Jnhalt dazu geeignet wäre, ihn auf eine Weile von ſeinen Gedanken abzuziehen und beruhigend auf ſein Gemüth zu wirken. Er fand, was er ſuchte, und kehrte damit in ſein Zimmer zurück, wo er ſich neben dem geöffneten Fenſter — denn der Abend war über- aus ſchwül, weil ein Gewitter am Himmel ſtand — mit zwei Kerzen vor ſich auf dem Tiſche, zum Leſen niederließ. Zu Anfang wollte es nicht recht damit gehen und ſeine Gedanken ſchweiften noch oft über das Buch, zu der armen Dina hinüber, deren furchtbare Leiden den lebhafteſten Widerhall in ſeiner Seele fanden; nach und nach aber feſſelte ihn doch die überaus an- regende Lectüre und die Stunde der Mitternacht war bereits vorüber, als er noch immer leſend am geöffne- ten Fenſter ſaß.

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846/178>, abgerufen am 15.05.2024.