Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

und das kam mir zu statten. Bald fand er eine Art
von Erheiterung, wenigstens eine angemessene Beschäf-
tigung, darin, für meine Bildung zu sorgen und so
erwarb ich mir nach und nach nicht nur mancherlei
Kenntnisse, die man sonst nicht bei Frauen anzutreffen
pflegt, sondern bildete auch meine Anlagen für Musik
und Malerei unter seiner Anleitung aus.

Heimlich unterrichtete ich dann wieder meinen
armen kleinen Bruder, um den sich im Grunde Rie-
mand bekümmerte; denn auch Brigitte -- so hieß
die alte Person, welche unserm Hauswesen allein vor-
stand -- hegte, von meinem Vater in die schmerz-
lichen Geheimnisse seines ehelichen Verhältnisses einge-
weiht, weit eher Ab- denn Zuneigung gegen das un-
glückliche Kind und so würde dasselbe ohne mich gänz-
lich vernachläßigt worden seyn.

Als Georg -- diesen Namen hatte man mei-
nem Bruder gegeben -- sieben Jahre alt geworden
war, entzog man ihn meiner schwesterlichen Liebe und
Sorgfalt, indem er in Pension gethan wurde, und
raubte mir dadurch mein einziges Glück, den einzigen
Gegenstand, den ich mit der ganzen Kraft meines
Herzens liebte. Dieser Schlag traf mich um so här-
ter, ja um so vernichtender, da er mich völlig un-
vorbereitet traf, und er hätte mich fast getödtet;

und das kam mir zu ſtatten. Bald fand er eine Art
von Erheiterung, wenigſtens eine angemeſſene Beſchäf-
tigung, darin, für meine Bildung zu ſorgen und ſo
erwarb ich mir nach und nach nicht nur mancherlei
Kenntniſſe, die man ſonſt nicht bei Frauen anzutreffen
pflegt, ſondern bildete auch meine Anlagen für Muſik
und Malerei unter ſeiner Anleitung aus.

Heimlich unterrichtete ich dann wieder meinen
armen kleinen Bruder, um den ſich im Grunde Rie-
mand bekümmerte; denn auch Brigitte — ſo hieß
die alte Perſon, welche unſerm Hausweſen allein vor-
ſtand — hegte, von meinem Vater in die ſchmerz-
lichen Geheimniſſe ſeines ehelichen Verhältniſſes einge-
weiht, weit eher Ab- denn Zuneigung gegen das un-
glückliche Kind und ſo würde daſſelbe ohne mich gänz-
lich vernachläßigt worden ſeyn.

Als Georg — dieſen Namen hatte man mei-
nem Bruder gegeben — ſieben Jahre alt geworden
war, entzog man ihn meiner ſchweſterlichen Liebe und
Sorgfalt, indem er in Penſion gethan wurde, und
raubte mir dadurch mein einziges Glück, den einzigen
Gegenſtand, den ich mit der ganzen Kraft meines
Herzens liebte. Dieſer Schlag traf mich um ſo här-
ter, ja um ſo vernichtender, da er mich völlig un-
vorbereitet traf, und er hätte mich faſt getödtet;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0104" n="98"/>
und das kam mir zu &#x017F;tatten. Bald fand er eine Art<lb/>
von Erheiterung, wenig&#x017F;tens eine angeme&#x017F;&#x017F;ene Be&#x017F;chäf-<lb/>
tigung, darin, für meine Bildung zu &#x017F;orgen und &#x017F;o<lb/>
erwarb ich mir nach und nach nicht nur mancherlei<lb/>
Kenntni&#x017F;&#x017F;e, die man &#x017F;on&#x017F;t nicht bei Frauen anzutreffen<lb/>
pflegt, &#x017F;ondern bildete auch meine Anlagen für Mu&#x017F;ik<lb/>
und Malerei unter &#x017F;einer Anleitung aus.</p><lb/>
        <p>Heimlich unterrichtete ich dann wieder meinen<lb/>
armen kleinen Bruder, um den &#x017F;ich im Grunde Rie-<lb/>
mand bekümmerte; denn auch <hi rendition="#g">Brigitte</hi> &#x2014; &#x017F;o hieß<lb/>
die alte Per&#x017F;on, welche un&#x017F;erm Hauswe&#x017F;en allein vor-<lb/>
&#x017F;tand &#x2014; hegte, von meinem Vater in die &#x017F;chmerz-<lb/>
lichen Geheimni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;eines ehelichen Verhältni&#x017F;&#x017F;es einge-<lb/>
weiht, weit eher Ab- denn Zuneigung gegen das un-<lb/>
glückliche Kind und &#x017F;o würde da&#x017F;&#x017F;elbe ohne mich gänz-<lb/>
lich vernachläßigt worden &#x017F;eyn.</p><lb/>
        <p>Als <hi rendition="#g">Georg</hi> &#x2014; die&#x017F;en Namen hatte man mei-<lb/>
nem Bruder gegeben &#x2014; &#x017F;ieben Jahre alt geworden<lb/>
war, entzog man ihn meiner &#x017F;chwe&#x017F;terlichen Liebe und<lb/>
Sorgfalt, indem er in Pen&#x017F;ion gethan wurde, und<lb/>
raubte mir dadurch mein einziges Glück, den einzigen<lb/>
Gegen&#x017F;tand, den ich mit der ganzen Kraft meines<lb/>
Herzens liebte. Die&#x017F;er Schlag traf mich um &#x017F;o här-<lb/>
ter, ja um &#x017F;o vernichtender, da er mich völlig un-<lb/>
vorbereitet traf, und er hätte mich fa&#x017F;t getödtet;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0104] und das kam mir zu ſtatten. Bald fand er eine Art von Erheiterung, wenigſtens eine angemeſſene Beſchäf- tigung, darin, für meine Bildung zu ſorgen und ſo erwarb ich mir nach und nach nicht nur mancherlei Kenntniſſe, die man ſonſt nicht bei Frauen anzutreffen pflegt, ſondern bildete auch meine Anlagen für Muſik und Malerei unter ſeiner Anleitung aus. Heimlich unterrichtete ich dann wieder meinen armen kleinen Bruder, um den ſich im Grunde Rie- mand bekümmerte; denn auch Brigitte — ſo hieß die alte Perſon, welche unſerm Hausweſen allein vor- ſtand — hegte, von meinem Vater in die ſchmerz- lichen Geheimniſſe ſeines ehelichen Verhältniſſes einge- weiht, weit eher Ab- denn Zuneigung gegen das un- glückliche Kind und ſo würde daſſelbe ohne mich gänz- lich vernachläßigt worden ſeyn. Als Georg — dieſen Namen hatte man mei- nem Bruder gegeben — ſieben Jahre alt geworden war, entzog man ihn meiner ſchweſterlichen Liebe und Sorgfalt, indem er in Penſion gethan wurde, und raubte mir dadurch mein einziges Glück, den einzigen Gegenſtand, den ich mit der ganzen Kraft meines Herzens liebte. Dieſer Schlag traf mich um ſo här- ter, ja um ſo vernichtender, da er mich völlig un- vorbereitet traf, und er hätte mich faſt getödtet;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/104
Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/104>, abgerufen am 04.12.2024.