Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

wenigstens verfiel ich in eine schwere Krankheit, von
der ich erst nach längerer Zeit genas.

Von diesem Augenblick an fühlte ich mich wahr-
haft unglücklich. Jch war bisher zwar nicht glücklich
gewesen, aber daß ich es nicht sei, davon hatte ich
bis dahin keine Ahnung gehabt, weil ich mein Loos
mit dem anderer, glücklicherer Kinder nicht hatte
vergleichen können, da ich mit Niemanden umgehen
durfte. Unaufhörlich mußte ich an den armen Georg
denken, unaufhörlich um ihn weinen, und erst als ich
ihn in den Schulferien, wo man ihn, gleich andern
Knaben der Anstalt, nach Hause zurücksandte, wieder
sah, ihn heiterer, vergnügter und selbst blühender als
früher fand; erst als er mir sagte, daß er jetzt weit
glücklicher sei, als im Vaterhause, beruhigte ich mich
einigermaßen; ja, ich wurde sogar heiter, als er mir
Dieses und Jenes von dem Leben in der Welt er-
zählte, die mir ganz fremd war und von der ich im
eigentlichsten Verstande nichts kannte, als was unsre
hohe Gartenmauer umschloß.

Georg war ein hübscher, lebhafter, aber, wie
sich später zeigte, zugleich auch etwas leichtsinniger
Knabe. Er besaß schöne Fähigkeiten und lernte leicht;
er hatte das beste Herz von der Welt, war aber
sehr dazu geneigt, muthwillige Streiche zu spielen,
wovon dann die in den Ferien mitgebrachten Censuren

7 *

wenigſtens verfiel ich in eine ſchwere Krankheit, von
der ich erſt nach längerer Zeit genas.

Von dieſem Augenblick an fühlte ich mich wahr-
haft unglücklich. Jch war bisher zwar nicht glücklich
geweſen, aber daß ich es nicht ſei, davon hatte ich
bis dahin keine Ahnung gehabt, weil ich mein Loos
mit dem anderer, glücklicherer Kinder nicht hatte
vergleichen können, da ich mit Niemanden umgehen
durfte. Unaufhörlich mußte ich an den armen Georg
denken, unaufhörlich um ihn weinen, und erſt als ich
ihn in den Schulferien, wo man ihn, gleich andern
Knaben der Anſtalt, nach Hauſe zurückſandte, wieder
ſah, ihn heiterer, vergnügter und ſelbſt blühender als
früher fand; erſt als er mir ſagte, daß er jetzt weit
glücklicher ſei, als im Vaterhauſe, beruhigte ich mich
einigermaßen; ja, ich wurde ſogar heiter, als er mir
Dieſes und Jenes von dem Leben in der Welt er-
zählte, die mir ganz fremd war und von der ich im
eigentlichſten Verſtande nichts kannte, als was unſre
hohe Gartenmauer umſchloß.

Georg war ein hübſcher, lebhafter, aber, wie
ſich ſpäter zeigte, zugleich auch etwas leichtſinniger
Knabe. Er beſaß ſchöne Fähigkeiten und lernte leicht;
er hatte das beſte Herz von der Welt, war aber
ſehr dazu geneigt, muthwillige Streiche zu ſpielen,
wovon dann die in den Ferien mitgebrachten Cenſuren

7 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0105" n="99"/>
wenig&#x017F;tens verfiel ich in eine &#x017F;chwere Krankheit, von<lb/>
der ich er&#x017F;t nach längerer Zeit genas.</p><lb/>
        <p>Von die&#x017F;em Augenblick an fühlte ich mich wahr-<lb/>
haft unglücklich. Jch war bisher zwar nicht glücklich<lb/>
gewe&#x017F;en, aber daß ich es nicht &#x017F;ei, davon hatte ich<lb/>
bis dahin keine Ahnung gehabt, weil ich mein Loos<lb/>
mit dem anderer, glücklicherer Kinder nicht hatte<lb/>
vergleichen können, da ich mit Niemanden umgehen<lb/>
durfte. Unaufhörlich mußte ich an den armen Georg<lb/>
denken, unaufhörlich um ihn weinen, und er&#x017F;t als ich<lb/>
ihn in den Schulferien, wo man ihn, gleich andern<lb/>
Knaben der An&#x017F;talt, nach Hau&#x017F;e zurück&#x017F;andte, wieder<lb/>
&#x017F;ah, ihn heiterer, vergnügter und &#x017F;elb&#x017F;t blühender als<lb/>
früher fand; er&#x017F;t als er mir &#x017F;agte, daß er jetzt weit<lb/>
glücklicher &#x017F;ei, als im Vaterhau&#x017F;e, beruhigte ich mich<lb/>
einigermaßen; ja, ich wurde &#x017F;ogar heiter, als er mir<lb/>
Die&#x017F;es und Jenes von dem Leben in der Welt er-<lb/>
zählte, die mir ganz fremd war und von der ich im<lb/>
eigentlich&#x017F;ten Ver&#x017F;tande nichts kannte, als was un&#x017F;re<lb/>
hohe Gartenmauer um&#x017F;chloß.</p><lb/>
        <p>Georg war ein hüb&#x017F;cher, lebhafter, aber, wie<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;päter zeigte, zugleich auch etwas leicht&#x017F;inniger<lb/>
Knabe. Er be&#x017F;&#x017F;chöne Fähigkeiten und lernte leicht;<lb/>
er hatte das be&#x017F;te Herz von der Welt, war aber<lb/>
&#x017F;ehr dazu geneigt, muthwillige Streiche zu &#x017F;pielen,<lb/>
wovon dann die in den Ferien mitgebrachten Cen&#x017F;uren<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">7 *</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0105] wenigſtens verfiel ich in eine ſchwere Krankheit, von der ich erſt nach längerer Zeit genas. Von dieſem Augenblick an fühlte ich mich wahr- haft unglücklich. Jch war bisher zwar nicht glücklich geweſen, aber daß ich es nicht ſei, davon hatte ich bis dahin keine Ahnung gehabt, weil ich mein Loos mit dem anderer, glücklicherer Kinder nicht hatte vergleichen können, da ich mit Niemanden umgehen durfte. Unaufhörlich mußte ich an den armen Georg denken, unaufhörlich um ihn weinen, und erſt als ich ihn in den Schulferien, wo man ihn, gleich andern Knaben der Anſtalt, nach Hauſe zurückſandte, wieder ſah, ihn heiterer, vergnügter und ſelbſt blühender als früher fand; erſt als er mir ſagte, daß er jetzt weit glücklicher ſei, als im Vaterhauſe, beruhigte ich mich einigermaßen; ja, ich wurde ſogar heiter, als er mir Dieſes und Jenes von dem Leben in der Welt er- zählte, die mir ganz fremd war und von der ich im eigentlichſten Verſtande nichts kannte, als was unſre hohe Gartenmauer umſchloß. Georg war ein hübſcher, lebhafter, aber, wie ſich ſpäter zeigte, zugleich auch etwas leichtſinniger Knabe. Er beſaß ſchöne Fähigkeiten und lernte leicht; er hatte das beſte Herz von der Welt, war aber ſehr dazu geneigt, muthwillige Streiche zu ſpielen, wovon dann die in den Ferien mitgebrachten Cenſuren 7 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/105
Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/105>, abgerufen am 04.12.2024.