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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.

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Meldung thaten und ihm, außerdem daß er schon in
der Schule bestraft worden war, die grausamsten Züch-
tigungen zuzogen; denn unser Vater war nicht ge-
neigt, Nachsicht und Milde gegen ihn zu üben.

Einmal, als ich mich schon herzlich auf seine
Ankunft in den Ferien gefreut, blieb er aus. Mein
Vater, welcher glauben mochte, man habe ihn, zur
Bestrafung eines neuen Muthwillens, in der Anstalt
zurückbehalten, bekümmerte sich nicht um sein Aus-
bleiben und ich wagte es nicht, ihn nach der Ursache
zu befragen, so besorgt ich auch, so schwer mir auch
das Herz war.

Etwa acht Tage nach Ablauf der Ferien traf ein
Brief von dem Vorsteher der Anstalt ein, worin die-
ser sich bei meinem Vater erkundigte: ob Georg wohl
erkrankt, da er noch nicht zurückgekehrt sei? Also
war mein Bruder nicht in der Pension geblieben?
Bei uns war er auch nicht angelangt; wo also war
er? Jch habe es nie erfahren und nie wieder Etwas
von ihm gehört. Wahrscheinlich hatte er aus Furcht
vor der ihn zu Haus erwartenden Strafe die Flucht
ergriffen; vielleicht Dienste auf einem Seeschiffe ge-
nommen; vielleicht gar in der Verzweiflung seinem
Daseyn ein Ende gemacht?

Armer Georg! noch jetzt fließen meine Thränen

Meldung thaten und ihm, außerdem daß er ſchon in
der Schule beſtraft worden war, die grauſamſten Züch-
tigungen zuzogen; denn unſer Vater war nicht ge-
neigt, Nachſicht und Milde gegen ihn zu üben.

Einmal, als ich mich ſchon herzlich auf ſeine
Ankunft in den Ferien gefreut, blieb er aus. Mein
Vater, welcher glauben mochte, man habe ihn, zur
Beſtrafung eines neuen Muthwillens, in der Anſtalt
zurückbehalten, bekümmerte ſich nicht um ſein Aus-
bleiben und ich wagte es nicht, ihn nach der Urſache
zu befragen, ſo beſorgt ich auch, ſo ſchwer mir auch
das Herz war.

Etwa acht Tage nach Ablauf der Ferien traf ein
Brief von dem Vorſteher der Anſtalt ein, worin die-
ſer ſich bei meinem Vater erkundigte: ob Georg wohl
erkrankt, da er noch nicht zurückgekehrt ſei? Alſo
war mein Bruder nicht in der Penſion geblieben?
Bei uns war er auch nicht angelangt; wo alſo war
er? Jch habe es nie erfahren und nie wieder Etwas
von ihm gehört. Wahrſcheinlich hatte er aus Furcht
vor der ihn zu Haus erwartenden Strafe die Flucht
ergriffen; vielleicht Dienſte auf einem Seeſchiffe ge-
nommen; vielleicht gar in der Verzweiflung ſeinem
Daſeyn ein Ende gemacht?

Armer Georg! noch jetzt fließen meine Thränen

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[100/0106] Meldung thaten und ihm, außerdem daß er ſchon in der Schule beſtraft worden war, die grauſamſten Züch- tigungen zuzogen; denn unſer Vater war nicht ge- neigt, Nachſicht und Milde gegen ihn zu üben. Einmal, als ich mich ſchon herzlich auf ſeine Ankunft in den Ferien gefreut, blieb er aus. Mein Vater, welcher glauben mochte, man habe ihn, zur Beſtrafung eines neuen Muthwillens, in der Anſtalt zurückbehalten, bekümmerte ſich nicht um ſein Aus- bleiben und ich wagte es nicht, ihn nach der Urſache zu befragen, ſo beſorgt ich auch, ſo ſchwer mir auch das Herz war. Etwa acht Tage nach Ablauf der Ferien traf ein Brief von dem Vorſteher der Anſtalt ein, worin die- ſer ſich bei meinem Vater erkundigte: ob Georg wohl erkrankt, da er noch nicht zurückgekehrt ſei? Alſo war mein Bruder nicht in der Penſion geblieben? Bei uns war er auch nicht angelangt; wo alſo war er? Jch habe es nie erfahren und nie wieder Etwas von ihm gehört. Wahrſcheinlich hatte er aus Furcht vor der ihn zu Haus erwartenden Strafe die Flucht ergriffen; vielleicht Dienſte auf einem Seeſchiffe ge- nommen; vielleicht gar in der Verzweiflung ſeinem Daſeyn ein Ende gemacht? Armer Georg! noch jetzt fließen meine Thränen

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/106>, abgerufen am 17.05.2024.