Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.Verwirrung, die er durch seine Blicke in mir hervor- -- "Sind Sie denn erst seit so kurzer Zeit hier, -- "Jch bin hier geboren und aufgewachsen," -- "So kamen Sie nie unter die Menschen?" Unwillkürlich wandten sich bei diesen Worten meine Verwirrung, die er durch ſeine Blicke in mir hervor- — „Sind Sie denn erſt ſeit ſo kurzer Zeit hier, — „Jch bin hier geboren und aufgewachſen,“ — „So kamen Sie nie unter die Menſchen?“ Unwillkürlich wandten ſich bei dieſen Worten meine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0111" n="105"/> Verwirrung, die er durch ſeine Blicke in mir hervor-<lb/> brachte. Jch zitterte zugleich vor Furcht und Verlan-<lb/> gen, dieſen Blicken mit den meinigen zu begegnen;<lb/> ich war völlig außer mir und hatte alle Haltung,<lb/> jegliche Beſonnenheit dieſem Manne gegenüber ver-<lb/> loren, ja, ich möchte ſagen, jegliche Erinnerung an<lb/> die Vergangenheit, jeglichen Gedanken an die Zukunft;<lb/> mein ganzes Daſeyn concentrirte ſich in dem gegen-<lb/> wärtigen Augenblick.</p><lb/> <p>— „Sind Sie denn erſt ſeit ſo kurzer Zeit hier,<lb/> daß ich noch nie von Jhnen reden hörte?“ fuhr er,<lb/> ohne Rückſicht auf den Kranken zu nehmen, fort, nach-<lb/> dem er ſich einige Augenblicke an meiner ſich mit je-<lb/> der Minute ſteigernden Verwirrung ergötzt hatte.</p><lb/> <p>— „Jch bin hier geboren und aufgewachſen,“<lb/> antwortete ich ihm, allen meinen Muth zuſammen-<lb/> nehmend, mit bebender Stimme.</p><lb/> <p>— „So kamen Sie nie unter die Menſchen?“<lb/> fragte er weiter; „ſo ſah Sie kein anderes Auge, als<lb/> das Jhres Vaters und das halb blinde der alten Wär-<lb/> terin? denn ſonſt vermöchte ich mir nicht zu erklä-<lb/> ren, daß man mir nie von Jhnen redete, daß Keiner<lb/> gegen mich eine Schönheit pries, die ſelbſt das käl-<lb/> teſte Herz entzünden und einen Stoiker zum Lobe<lb/> hätte begeiſtern müſſen.“</p><lb/> <p>Unwillkürlich wandten ſich bei dieſen Worten meine<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [105/0111]
Verwirrung, die er durch ſeine Blicke in mir hervor-
brachte. Jch zitterte zugleich vor Furcht und Verlan-
gen, dieſen Blicken mit den meinigen zu begegnen;
ich war völlig außer mir und hatte alle Haltung,
jegliche Beſonnenheit dieſem Manne gegenüber ver-
loren, ja, ich möchte ſagen, jegliche Erinnerung an
die Vergangenheit, jeglichen Gedanken an die Zukunft;
mein ganzes Daſeyn concentrirte ſich in dem gegen-
wärtigen Augenblick.
— „Sind Sie denn erſt ſeit ſo kurzer Zeit hier,
daß ich noch nie von Jhnen reden hörte?“ fuhr er,
ohne Rückſicht auf den Kranken zu nehmen, fort, nach-
dem er ſich einige Augenblicke an meiner ſich mit je-
der Minute ſteigernden Verwirrung ergötzt hatte.
— „Jch bin hier geboren und aufgewachſen,“
antwortete ich ihm, allen meinen Muth zuſammen-
nehmend, mit bebender Stimme.
— „So kamen Sie nie unter die Menſchen?“
fragte er weiter; „ſo ſah Sie kein anderes Auge, als
das Jhres Vaters und das halb blinde der alten Wär-
terin? denn ſonſt vermöchte ich mir nicht zu erklä-
ren, daß man mir nie von Jhnen redete, daß Keiner
gegen mich eine Schönheit pries, die ſelbſt das käl-
teſte Herz entzünden und einen Stoiker zum Lobe
hätte begeiſtern müſſen.“
Unwillkürlich wandten ſich bei dieſen Worten meine
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