Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

vermochte. Jch hatte mich selbst bisher eben so wenig,
als die Welt außer mir gekannt, ich war mir ein
Räthsel geblieben und war es mir auch jetzt noch.
Nur das Eine wußte ich: daß ich ohne den Geliebten
nicht würde fortleben können. Alle seither mit Gewalt
in meinem Herzen unterdrückte Liebe brach jetzt mit
verdoppelter Macht hervor und richtete sich nur auf
den einen Gegenstand.

Wie schwach, wie hingebend Braun mich unter
diesen Umständen finden mußte, wird man sich vor-
stellen können. Bald hatte ich ihm Nichts mehr zu
verweigern. Ein Jahr, ein volles Jahr dauerte die
Glückseligkeit, die ich in seinen Armen fand, und nur
auf kurze Zeit, nur auf wenige Tage, wo er, wie
er sagte, eine nothwendige Geschäftsreise machen mußte,
wurden unsere Zusammenkünfte unterbrochen.

Braun hatte einen Schlüssel zur Gartenpforte,
er hatte einen zu der nach dem Hofe hinausgehenden
Hinterthür; die meines Zimmers blieb offen, und so
stand es ihm frei, ungehindert zu mir zu kommen,
und er blieb, wie schon gesagt, nur selten aus.

Mein Vater war, Dank sei es den großen Kennt-
nissen und der Kunst seines Arztes, bis auf einige
nachgebliebene Schwäche, völlig wieder hergestellt und
so besuchte Braun am Tage nicht mehr unser Haus;
Niemand konnte also Ahnung von unserm Verhält-

II. 8

vermochte. Jch hatte mich ſelbſt bisher eben ſo wenig,
als die Welt außer mir gekannt, ich war mir ein
Räthſel geblieben und war es mir auch jetzt noch.
Nur das Eine wußte ich: daß ich ohne den Geliebten
nicht würde fortleben können. Alle ſeither mit Gewalt
in meinem Herzen unterdrückte Liebe brach jetzt mit
verdoppelter Macht hervor und richtete ſich nur auf
den einen Gegenſtand.

Wie ſchwach, wie hingebend Braun mich unter
dieſen Umſtänden finden mußte, wird man ſich vor-
ſtellen können. Bald hatte ich ihm Nichts mehr zu
verweigern. Ein Jahr, ein volles Jahr dauerte die
Glückſeligkeit, die ich in ſeinen Armen fand, und nur
auf kurze Zeit, nur auf wenige Tage, wo er, wie
er ſagte, eine nothwendige Geſchäftsreiſe machen mußte,
wurden unſere Zuſammenkünfte unterbrochen.

Braun hatte einen Schlüſſel zur Gartenpforte,
er hatte einen zu der nach dem Hofe hinausgehenden
Hinterthür; die meines Zimmers blieb offen, und ſo
ſtand es ihm frei, ungehindert zu mir zu kommen,
und er blieb, wie ſchon geſagt, nur ſelten aus.

Mein Vater war, Dank ſei es den großen Kennt-
niſſen und der Kunſt ſeines Arztes, bis auf einige
nachgebliebene Schwäche, völlig wieder hergeſtellt und
ſo beſuchte Braun am Tage nicht mehr unſer Haus;
Niemand konnte alſo Ahnung von unſerm Verhält-

II. 8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0119" n="113"/>
vermochte. Jch hatte mich &#x017F;elb&#x017F;t bisher eben &#x017F;o wenig,<lb/>
als die Welt außer mir gekannt, ich war mir ein<lb/>
Räth&#x017F;el geblieben und war es mir auch jetzt noch.<lb/>
Nur das Eine wußte ich: daß ich ohne den Geliebten<lb/>
nicht würde fortleben können. Alle &#x017F;either mit Gewalt<lb/>
in meinem Herzen unterdrückte Liebe brach jetzt mit<lb/>
verdoppelter Macht hervor und richtete &#x017F;ich nur auf<lb/>
den <hi rendition="#g">einen</hi> Gegen&#x017F;tand.</p><lb/>
        <p>Wie &#x017F;chwach, wie hingebend Braun mich unter<lb/>
die&#x017F;en Um&#x017F;tänden finden mußte, wird man &#x017F;ich vor-<lb/>
&#x017F;tellen können. Bald hatte ich ihm Nichts mehr zu<lb/>
verweigern. Ein Jahr, ein volles Jahr dauerte die<lb/>
Glück&#x017F;eligkeit, die ich in &#x017F;einen Armen fand, und nur<lb/>
auf kurze Zeit, nur auf wenige Tage, wo er, wie<lb/>
er &#x017F;agte, eine nothwendige Ge&#x017F;chäftsrei&#x017F;e machen mußte,<lb/>
wurden un&#x017F;ere Zu&#x017F;ammenkünfte unterbrochen.</p><lb/>
        <p>Braun hatte einen Schlü&#x017F;&#x017F;el zur Gartenpforte,<lb/>
er hatte einen zu der nach dem Hofe hinausgehenden<lb/>
Hinterthür; die meines Zimmers blieb offen, und &#x017F;o<lb/>
&#x017F;tand es ihm frei, ungehindert zu mir zu kommen,<lb/>
und er blieb, wie &#x017F;chon ge&#x017F;agt, nur &#x017F;elten aus.</p><lb/>
        <p>Mein Vater war, Dank &#x017F;ei es den großen Kennt-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;en und der Kun&#x017F;t &#x017F;eines Arztes, bis auf einige<lb/>
nachgebliebene Schwäche, völlig wieder herge&#x017F;tellt und<lb/>
&#x017F;o be&#x017F;uchte Braun am Tage nicht mehr un&#x017F;er Haus;<lb/>
Niemand konnte al&#x017F;o Ahnung von un&#x017F;erm Verhält-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II.</hi> 8</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0119] vermochte. Jch hatte mich ſelbſt bisher eben ſo wenig, als die Welt außer mir gekannt, ich war mir ein Räthſel geblieben und war es mir auch jetzt noch. Nur das Eine wußte ich: daß ich ohne den Geliebten nicht würde fortleben können. Alle ſeither mit Gewalt in meinem Herzen unterdrückte Liebe brach jetzt mit verdoppelter Macht hervor und richtete ſich nur auf den einen Gegenſtand. Wie ſchwach, wie hingebend Braun mich unter dieſen Umſtänden finden mußte, wird man ſich vor- ſtellen können. Bald hatte ich ihm Nichts mehr zu verweigern. Ein Jahr, ein volles Jahr dauerte die Glückſeligkeit, die ich in ſeinen Armen fand, und nur auf kurze Zeit, nur auf wenige Tage, wo er, wie er ſagte, eine nothwendige Geſchäftsreiſe machen mußte, wurden unſere Zuſammenkünfte unterbrochen. Braun hatte einen Schlüſſel zur Gartenpforte, er hatte einen zu der nach dem Hofe hinausgehenden Hinterthür; die meines Zimmers blieb offen, und ſo ſtand es ihm frei, ungehindert zu mir zu kommen, und er blieb, wie ſchon geſagt, nur ſelten aus. Mein Vater war, Dank ſei es den großen Kennt- niſſen und der Kunſt ſeines Arztes, bis auf einige nachgebliebene Schwäche, völlig wieder hergeſtellt und ſo beſuchte Braun am Tage nicht mehr unſer Haus; Niemand konnte alſo Ahnung von unſerm Verhält- II. 8

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/119
Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/119>, abgerufen am 04.12.2024.