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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.

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trotz aller seiner Menschenkenntniß und Lebenserfah-
rung, nicht klug aus diesem jungen Manne werden,
der, so wie er ihn zu fassen, zu durchschauen glaubte,
ihm wieder entschlüpfte; der in gewisser Hinsicht sich
ganz offen, aber doch auch wieder versteckt gegen ihn
zeigte und den er, was ihm noch niemals begegnet
war, trotz unausgesetzter Bemühung, nicht für sich
zu gewinnen vermochte. Er konnte sich kein deutliches
Bild von diesem Character machen, und das beun-
ruhigte, ja, es ängstigte ihn sogar zu Zeiten, da,
seltsam genug, eben dieser junge Mann, trotz seines
schroffen, ihn abstoßenden Wesens ihm gegenüber, eine
Anziehungskraft für ihn hatte, die ihm selbst räthsel-
haft war. Mit jedem Andern, der sich ihm so ge-
genüber gestellt hätte, wie Arnold, wäre er leicht fer-
tig geworden und hätte ihn entweder fallen lassen
oder vernichtet, jenachdem es die Umstände oder sein
Vortheil geboten. Das aber vermochte er bei Jenem
nicht und das Jnteresse, das er wider seinen Willen
an Arnolden nehmen mußte, grenzte fast an Liebe.
Der Blick seines Auges, der Ton seiner Stimme, sein
Lächeln hatten etwas so Anziehendes für ihn, etwas
so Bekanntes, ihn an frühere Zeiten unwillkürlich Er-
innerndes, daß er ihm gewogen bleiben, sich fort-
während mit ihm beschäftigen mußte. Was würde er
nicht darum gegeben haben, das Vertrauen, die Zu-

trotz aller ſeiner Menſchenkenntniß und Lebenserfah-
rung, nicht klug aus dieſem jungen Manne werden,
der, ſo wie er ihn zu faſſen, zu durchſchauen glaubte,
ihm wieder entſchlüpfte; der in gewiſſer Hinſicht ſich
ganz offen, aber doch auch wieder verſteckt gegen ihn
zeigte und den er, was ihm noch niemals begegnet
war, trotz unausgeſetzter Bemühung, nicht für ſich
zu gewinnen vermochte. Er konnte ſich kein deutliches
Bild von dieſem Character machen, und das beun-
ruhigte, ja, es ängſtigte ihn ſogar zu Zeiten, da,
ſeltſam genug, eben dieſer junge Mann, trotz ſeines
ſchroffen, ihn abſtoßenden Weſens ihm gegenüber, eine
Anziehungskraft für ihn hatte, die ihm ſelbſt räthſel-
haft war. Mit jedem Andern, der ſich ihm ſo ge-
genüber geſtellt hätte, wie Arnold, wäre er leicht fer-
tig geworden und hätte ihn entweder fallen laſſen
oder vernichtet, jenachdem es die Umſtände oder ſein
Vortheil geboten. Das aber vermochte er bei Jenem
nicht und das Jntereſſe, das er wider ſeinen Willen
an Arnolden nehmen mußte, grenzte faſt an Liebe.
Der Blick ſeines Auges, der Ton ſeiner Stimme, ſein
Lächeln hatten etwas ſo Anziehendes für ihn, etwas
ſo Bekanntes, ihn an frühere Zeiten unwillkürlich Er-
innerndes, daß er ihm gewogen bleiben, ſich fort-
während mit ihm beſchäftigen mußte. Was würde er
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[88/0094] trotz aller ſeiner Menſchenkenntniß und Lebenserfah- rung, nicht klug aus dieſem jungen Manne werden, der, ſo wie er ihn zu faſſen, zu durchſchauen glaubte, ihm wieder entſchlüpfte; der in gewiſſer Hinſicht ſich ganz offen, aber doch auch wieder verſteckt gegen ihn zeigte und den er, was ihm noch niemals begegnet war, trotz unausgeſetzter Bemühung, nicht für ſich zu gewinnen vermochte. Er konnte ſich kein deutliches Bild von dieſem Character machen, und das beun- ruhigte, ja, es ängſtigte ihn ſogar zu Zeiten, da, ſeltſam genug, eben dieſer junge Mann, trotz ſeines ſchroffen, ihn abſtoßenden Weſens ihm gegenüber, eine Anziehungskraft für ihn hatte, die ihm ſelbſt räthſel- haft war. Mit jedem Andern, der ſich ihm ſo ge- genüber geſtellt hätte, wie Arnold, wäre er leicht fer- tig geworden und hätte ihn entweder fallen laſſen oder vernichtet, jenachdem es die Umſtände oder ſein Vortheil geboten. Das aber vermochte er bei Jenem nicht und das Jntereſſe, das er wider ſeinen Willen an Arnolden nehmen mußte, grenzte faſt an Liebe. Der Blick ſeines Auges, der Ton ſeiner Stimme, ſein Lächeln hatten etwas ſo Anziehendes für ihn, etwas ſo Bekanntes, ihn an frühere Zeiten unwillkürlich Er- innerndes, daß er ihm gewogen bleiben, ſich fort- während mit ihm beſchäftigen mußte. Was würde er nicht darum gegeben haben, das Vertrauen, die Zu-

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/94>, abgerufen am 21.11.2024.