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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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VORWORT.
treten, wo die erziehende Entwickelung dürftig, wo Alles oder
das Meiste der Selbstentwickelung überlassen ist; es wird ganz
ausarten, wo die Erziehung eine verkehrte ist. Auch die ge-
legentlichen miterziehenden Einwirkungen des Lebens erlangen
fast durchgehends erst durch die eigentliche Erziehung ihre
zweckdienliche Richtung.

Die Erziehung ist also der eigentliche Wurzelgrund des Le-
bens, von welchem alle der menschlichen Einwirkung in unbe-
rechenbarem Umfange möglichen Richtungen und Gestaltungen
des Einzellebens sowohl wie des Völkerlebens ausgehen, auf wel-
chen sie sich alle mit ihren letzten Fäden zurückführen lassen.
Das tief in der menschlichen Natur begründete Aufwärtsstreben
auf der Entwickelungsbahn zur Schönheit (im weitesten Sinne
des Wortes) und Vollkommenheit führt den prüfend-fragenden
Blick jedes denkenden und fühlenden Menschen immer wieder
zurück auf diesen allgemeinen Ausgangspunkt aller Gestaltun-
gen des menschlichen Lebens. Immer wieder erneuert sich
das Bedürfniss, vor Allem hier zunächst verbessernd und för-
dernd einzuwirken, wenn es gilt, das Hinstreben nach dem
unendlich hohen Ziele des menschlichen Lebens, der geistigen
und sittlichen Veredelung und Vervollkommnung, immer rei-
ner und allgemeiner zu machen.

Aus diesem Gesichtspunkte möge die gegenwärtige Schrift
beurtheilt werden, und die Erscheinung derselben ihre Begrün-
dung finden. Wie aber der gewissenhafte Erzieher an seinem
Zöglinge alle innig zu einem Ganzen vereinigten Seiten der
menschlichen Natur, die körperliche, gemüthliche und geistige,
gleichmässig in's Auge zu fassen hat, so hat auch eine Schrift,
welche die Grund- und Lehrsätze und die naturgemässe Me-
thode der Erziehung als ein abgerundetes Ganzes darlegen
soll, eben diese Allseitigkeit des Umfanges durchaus nothwen-
dig. Denn die Trennung der verschiedenen einzelnen Seiten
der Menschennatur von einander ist ja mehr ein künstlicher
Nothbehelf für unser sprachliches Verständniss. Auf eine ge-
wisse Besonderheit derselben schliessen wir nur aus manchen
Lebensäusserungen und einigen krankhaften Zuständen. Im
gesunden lebenden Organismus sind alle diese einzelnen Sei-

VORWORT.
treten, wo die erziehende Entwickelung dürftig, wo Alles oder
das Meiste der Selbstentwickelung überlassen ist; es wird ganz
ausarten, wo die Erziehung eine verkehrte ist. Auch die ge-
legentlichen miterziehenden Einwirkungen des Lebens erlangen
fast durchgehends erst durch die eigentliche Erziehung ihre
zweckdienliche Richtung.

Die Erziehung ist also der eigentliche Wurzelgrund des Le-
bens, von welchem alle der menschlichen Einwirkung in unbe-
rechenbarem Umfange möglichen Richtungen und Gestaltungen
des Einzellebens sowohl wie des Völkerlebens ausgehen, auf wel-
chen sie sich alle mit ihren letzten Fäden zurückführen lassen.
Das tief in der menschlichen Natur begründete Aufwärtsstreben
auf der Entwickelungsbahn zur Schönheit (im weitesten Sinne
des Wortes) und Vollkommenheit führt den prüfend-fragenden
Blick jedes denkenden und fühlenden Menschen immer wieder
zurück auf diesen allgemeinen Ausgangspunkt aller Gestaltun-
gen des menschlichen Lebens. Immer wieder erneuert sich
das Bedürfniss, vor Allem hier zunächst verbessernd und för-
dernd einzuwirken, wenn es gilt, das Hinstreben nach dem
unendlich hohen Ziele des menschlichen Lebens, der geistigen
und sittlichen Veredelung und Vervollkommnung, immer rei-
ner und allgemeiner zu machen.

Aus diesem Gesichtspunkte möge die gegenwärtige Schrift
beurtheilt werden, und die Erscheinung derselben ihre Begrün-
dung finden. Wie aber der gewissenhafte Erzieher an seinem
Zöglinge alle innig zu einem Ganzen vereinigten Seiten der
menschlichen Natur, die körperliche, gemüthliche und geistige,
gleichmässig in's Auge zu fassen hat, so hat auch eine Schrift,
welche die Grund- und Lehrsätze und die naturgemässe Me-
thode der Erziehung als ein abgerundetes Ganzes darlegen
soll, eben diese Allseitigkeit des Umfanges durchaus nothwen-
dig. Denn die Trennung der verschiedenen einzelnen Seiten
der Menschennatur von einander ist ja mehr ein künstlicher
Nothbehelf für unser sprachliches Verständniss. Auf eine ge-
wisse Besonderheit derselben schliessen wir nur aus manchen
Lebensäusserungen und einigen krankhaften Zuständen. Im
gesunden lebenden Organismus sind alle diese einzelnen Sei-

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[VI/0010] VORWORT. treten, wo die erziehende Entwickelung dürftig, wo Alles oder das Meiste der Selbstentwickelung überlassen ist; es wird ganz ausarten, wo die Erziehung eine verkehrte ist. Auch die ge- legentlichen miterziehenden Einwirkungen des Lebens erlangen fast durchgehends erst durch die eigentliche Erziehung ihre zweckdienliche Richtung. Die Erziehung ist also der eigentliche Wurzelgrund des Le- bens, von welchem alle der menschlichen Einwirkung in unbe- rechenbarem Umfange möglichen Richtungen und Gestaltungen des Einzellebens sowohl wie des Völkerlebens ausgehen, auf wel- chen sie sich alle mit ihren letzten Fäden zurückführen lassen. Das tief in der menschlichen Natur begründete Aufwärtsstreben auf der Entwickelungsbahn zur Schönheit (im weitesten Sinne des Wortes) und Vollkommenheit führt den prüfend-fragenden Blick jedes denkenden und fühlenden Menschen immer wieder zurück auf diesen allgemeinen Ausgangspunkt aller Gestaltun- gen des menschlichen Lebens. Immer wieder erneuert sich das Bedürfniss, vor Allem hier zunächst verbessernd und för- dernd einzuwirken, wenn es gilt, das Hinstreben nach dem unendlich hohen Ziele des menschlichen Lebens, der geistigen und sittlichen Veredelung und Vervollkommnung, immer rei- ner und allgemeiner zu machen. Aus diesem Gesichtspunkte möge die gegenwärtige Schrift beurtheilt werden, und die Erscheinung derselben ihre Begrün- dung finden. Wie aber der gewissenhafte Erzieher an seinem Zöglinge alle innig zu einem Ganzen vereinigten Seiten der menschlichen Natur, die körperliche, gemüthliche und geistige, gleichmässig in's Auge zu fassen hat, so hat auch eine Schrift, welche die Grund- und Lehrsätze und die naturgemässe Me- thode der Erziehung als ein abgerundetes Ganzes darlegen soll, eben diese Allseitigkeit des Umfanges durchaus nothwen- dig. Denn die Trennung der verschiedenen einzelnen Seiten der Menschennatur von einander ist ja mehr ein künstlicher Nothbehelf für unser sprachliches Verständniss. Auf eine ge- wisse Besonderheit derselben schliessen wir nur aus manchen Lebensäusserungen und einigen krankhaften Zuständen. Im gesunden lebenden Organismus sind alle diese einzelnen Sei-

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/10>, abgerufen am 21.11.2024.