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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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8. -- 16. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. BEKLEIDUNG.
Missbrauch, welcher mit dem Tragen der Schnürbrust ge-
trieben wird. Es ist unerklärlich, dass bei dem immerwähren-
den Wechsel der Kleidermoden, bei dem steten Hin- und
Herziehen ihrer Formen von dem einen Extreme zum anderen,
und trotz unaufhörlicher Ermahnungen von Seiten der Aerzte
und Menschenfreunde doch gerade diese Ausgeburt der Mode
durch alle Wechselfälle des Zeitgeschmackes hindurch unver-
ändert sich erhalten hat. Die vermeintlich schöne d. h. über
den Hüften zusammengepresste Taille ist der unheilbringende
Götze des weiblichen Kleidungsgeschmackes geblieben. Wir
müssen auch hier diesen oft schon gerügten Missbrauch etwas
näher beleuchten.

Das Tragen einer Schnürbrust hat überhaupt nur Sinn
beim erwachsenen weiblichen Körper, insofern es zum Zu-
sammenhalten des Busens dient, und ist auch da nur insoweit
als unschädlich zu betrachten, als dabei sämmtliche Rippen
ihren vollkommen freien Spielraum bei der Athmungsbewe-
gung behalten. Die Schnürbrust darf also nur sanft und
lose
den Körper umschliessen. Wird sie aber, wie es leider
mehr oder weniger allgemeiner Brauch ist, dazu benutzt, die
Umrisslinien des Körpers zu verändern, den Körper gerade
da, wo er sich nach dem Ideale weiblicher Schönheit*) sanft
wölben soll (dicht über den Hüftknochen), zusammenzupressen
und wespenähnlich einzuschneiden, so wird Veränderung der
Form und der Verbindung der Rumpfknochen, Verbildung
und Verkümmerung der edelsten Organe der Brust und des
Unterleibes mit den zahllosen, früher oder später eintretenden
lebensgefährlichen Folgen nothwendig daraus hervorgehen müs-
sen. Wer nur einmal den normalen Bau des weiblichen Kör-
pers an naturwahren Statuen betrachtet hat, wird auf den
ersten Blick das grell Naturwidrige jener Unsitte erkennen
und die Häufigkeit ihrer bösen Folgen, welche von der ärzt-
lichen Erfahrung zur Genüge nachgewiesen sind, leicht erklär-
lich und selbstverständlich finden.

*) Nur am männlichen Körper ist der normale Bau der Art, dass die
seitlichen Umrisslinien von der Brust nach der Hüfte zu merklich enger
zusammenlaufen, durchaus aber nicht am weiblichen Körper.

8. — 16. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. BEKLEIDUNG.
Missbrauch, welcher mit dem Tragen der Schnürbrust ge-
trieben wird. Es ist unerklärlich, dass bei dem immerwähren-
den Wechsel der Kleidermoden, bei dem steten Hin- und
Herziehen ihrer Formen von dem einen Extreme zum anderen,
und trotz unaufhörlicher Ermahnungen von Seiten der Aerzte
und Menschenfreunde doch gerade diese Ausgeburt der Mode
durch alle Wechselfälle des Zeitgeschmackes hindurch unver-
ändert sich erhalten hat. Die vermeintlich schöne d. h. über
den Hüften zusammengepresste Taille ist der unheilbringende
Götze des weiblichen Kleidungsgeschmackes geblieben. Wir
müssen auch hier diesen oft schon gerügten Missbrauch etwas
näher beleuchten.

Das Tragen einer Schnürbrust hat überhaupt nur Sinn
beim erwachsenen weiblichen Körper, insofern es zum Zu-
sammenhalten des Busens dient, und ist auch da nur insoweit
als unschädlich zu betrachten, als dabei sämmtliche Rippen
ihren vollkommen freien Spielraum bei der Athmungsbewe-
gung behalten. Die Schnürbrust darf also nur sanft und
lose
den Körper umschliessen. Wird sie aber, wie es leider
mehr oder weniger allgemeiner Brauch ist, dazu benutzt, die
Umrisslinien des Körpers zu verändern, den Körper gerade
da, wo er sich nach dem Ideale weiblicher Schönheit*) sanft
wölben soll (dicht über den Hüftknochen), zusammenzupressen
und wespenähnlich einzuschneiden, so wird Veränderung der
Form und der Verbindung der Rumpfknochen, Verbildung
und Verkümmerung der edelsten Organe der Brust und des
Unterleibes mit den zahllosen, früher oder später eintretenden
lebensgefährlichen Folgen nothwendig daraus hervorgehen müs-
sen. Wer nur einmal den normalen Bau des weiblichen Kör-
pers an naturwahren Statuen betrachtet hat, wird auf den
ersten Blick das grell Naturwidrige jener Unsitte erkennen
und die Häufigkeit ihrer bösen Folgen, welche von der ärzt-
lichen Erfahrung zur Genüge nachgewiesen sind, leicht erklär-
lich und selbstverständlich finden.

*) Nur am männlichen Körper ist der normale Bau der Art, dass die
seitlichen Umrisslinien von der Brust nach der Hüfte zu merklich enger
zusammenlaufen, durchaus aber nicht am weiblichen Körper.
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[190/0194] 8. — 16. JAHR. KÖRPERLICHE SEITE. BEKLEIDUNG. Missbrauch, welcher mit dem Tragen der Schnürbrust ge- trieben wird. Es ist unerklärlich, dass bei dem immerwähren- den Wechsel der Kleidermoden, bei dem steten Hin- und Herziehen ihrer Formen von dem einen Extreme zum anderen, und trotz unaufhörlicher Ermahnungen von Seiten der Aerzte und Menschenfreunde doch gerade diese Ausgeburt der Mode durch alle Wechselfälle des Zeitgeschmackes hindurch unver- ändert sich erhalten hat. Die vermeintlich schöne d. h. über den Hüften zusammengepresste Taille ist der unheilbringende Götze des weiblichen Kleidungsgeschmackes geblieben. Wir müssen auch hier diesen oft schon gerügten Missbrauch etwas näher beleuchten. Das Tragen einer Schnürbrust hat überhaupt nur Sinn beim erwachsenen weiblichen Körper, insofern es zum Zu- sammenhalten des Busens dient, und ist auch da nur insoweit als unschädlich zu betrachten, als dabei sämmtliche Rippen ihren vollkommen freien Spielraum bei der Athmungsbewe- gung behalten. Die Schnürbrust darf also nur sanft und lose den Körper umschliessen. Wird sie aber, wie es leider mehr oder weniger allgemeiner Brauch ist, dazu benutzt, die Umrisslinien des Körpers zu verändern, den Körper gerade da, wo er sich nach dem Ideale weiblicher Schönheit *) sanft wölben soll (dicht über den Hüftknochen), zusammenzupressen und wespenähnlich einzuschneiden, so wird Veränderung der Form und der Verbindung der Rumpfknochen, Verbildung und Verkümmerung der edelsten Organe der Brust und des Unterleibes mit den zahllosen, früher oder später eintretenden lebensgefährlichen Folgen nothwendig daraus hervorgehen müs- sen. Wer nur einmal den normalen Bau des weiblichen Kör- pers an naturwahren Statuen betrachtet hat, wird auf den ersten Blick das grell Naturwidrige jener Unsitte erkennen und die Häufigkeit ihrer bösen Folgen, welche von der ärzt- lichen Erfahrung zur Genüge nachgewiesen sind, leicht erklär- lich und selbstverständlich finden. *) Nur am männlichen Körper ist der normale Bau der Art, dass die seitlichen Umrisslinien von der Brust nach der Hüfte zu merklich enger zusammenlaufen, durchaus aber nicht am weiblichen Körper.

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/194>, abgerufen am 21.11.2024.