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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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terhaltung ist hierbei um so bedeutender, als der eine
Arm geradezu in entgegengesetzter Richtung, nach un-
ten, seine Bewegungen auszuführen hat.

e) Dagegen ist es ein grundloses Vorurtheil, wenn
manche Mütter ihren Töchtern von dem sogenannten
Uebersichgreifen oder Hochgreifen, wie es z. B.
mit dem Aufstecken von Gardinen und vielen ähn-
lichen Beschäftigungen verbunden ist, ängstlich abra-
then. Die damit verbundene sanfte Dehnung des Kör-
pers nach oben ist dem jungen Körper eher vortheil-
haft, als nachtheilig, sobald nur dabei auf gleichmässi-
ges Hochstehen beider Arme gehalten wird. Derartige
Beschäftigungen können als Ausgleichungsmittel für
viele andere, durch entgegengesetzte Körperstellung,
durch Zusammendrückung des Oberkörpers nachthei-
lige Beschäftigungen gelten. Fordert nicht das Jedem
bekannte natürliche Bedürfniss dazu auf, sich von Zeit
zu Zeit, besonders nach längerem Sitzen, kräftig nach
oben zu dehnen und zu strecken und die gepresste
Brust zu erweitern? An ein sogenanntes Schadenthun
durch solche Situationen ist durchaus nicht zu denken.

f) Das Selbstflechten der weiblichen Kopf-
haare
muss abwechselnd ebenso oft auf rechter wie
linker Seite geschehen, weil bei jedem einzelnen Male
eine ungleiche Stellung der Schultern unvermeidlich ist.

g) Das Zeichnen oder Malen an der Staffelei
hat vermöge der beträchtlichen Ungleichhaltung der
Schultern, und weil eine Abwechselung dabei nicht
thunlich ist, zuweilen (wenn nicht auf andere Weise
Ausgleichung geschieht) sogar noch bei Erwachsenen
Schiefbildung des Körpers zur Folge, ist daher vor
Beendung des Wachsthumes von um so entschiedenerem
nachtheiligen Einflusse.

Nach den hier aufgestellten Grundsätzen und Analogien
wird man nun auch alle anderen Beschäftigungen im häusli-
chen und wirthschaftlichen Leben, bei Handwerken und in
Fabriken, wozu Kinder vielfach verwendet werden, und die

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terhaltung ist hierbei um so bedeutender, als der eine
Arm geradezu in entgegengesetzter Richtung, nach un-
ten, seine Bewegungen auszuführen hat.

e) Dagegen ist es ein grundloses Vorurtheil, wenn
manche Mütter ihren Töchtern von dem sogenannten
Uebersichgreifen oder Hochgreifen, wie es z. B.
mit dem Aufstecken von Gardinen und vielen ähn-
lichen Beschäftigungen verbunden ist, ängstlich abra-
then. Die damit verbundene sanfte Dehnung des Kör-
pers nach oben ist dem jungen Körper eher vortheil-
haft, als nachtheilig, sobald nur dabei auf gleichmässi-
ges Hochstehen beider Arme gehalten wird. Derartige
Beschäftigungen können als Ausgleichungsmittel für
viele andere, durch entgegengesetzte Körperstellung,
durch Zusammendrückung des Oberkörpers nachthei-
lige Beschäftigungen gelten. Fordert nicht das Jedem
bekannte natürliche Bedürfniss dazu auf, sich von Zeit
zu Zeit, besonders nach längerem Sitzen, kräftig nach
oben zu dehnen und zu strecken und die gepresste
Brust zu erweitern? An ein sogenanntes Schadenthun
durch solche Situationen ist durchaus nicht zu denken.

f) Das Selbstflechten der weiblichen Kopf-
haare
muss abwechselnd ebenso oft auf rechter wie
linker Seite geschehen, weil bei jedem einzelnen Male
eine ungleiche Stellung der Schultern unvermeidlich ist.

g) Das Zeichnen oder Malen an der Staffelei
hat vermöge der beträchtlichen Ungleichhaltung der
Schultern, und weil eine Abwechselung dabei nicht
thunlich ist, zuweilen (wenn nicht auf andere Weise
Ausgleichung geschieht) sogar noch bei Erwachsenen
Schiefbildung des Körpers zur Folge, ist daher vor
Beendung des Wachsthumes von um so entschiedenerem
nachtheiligen Einflusse.

Nach den hier aufgestellten Grundsätzen und Analogien
wird man nun auch alle anderen Beschäftigungen im häusli-
chen und wirthschaftlichen Leben, bei Handwerken und in
Fabriken, wozu Kinder vielfach verwendet werden, und die

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[213/0217] 8. — 16. JAHR. KÖRPERL. SEITE. KÖRPER-FORM, HALTUNGEN U. GEWOHNHEITEN. terhaltung ist hierbei um so bedeutender, als der eine Arm geradezu in entgegengesetzter Richtung, nach un- ten, seine Bewegungen auszuführen hat. e) Dagegen ist es ein grundloses Vorurtheil, wenn manche Mütter ihren Töchtern von dem sogenannten Uebersichgreifen oder Hochgreifen, wie es z. B. mit dem Aufstecken von Gardinen und vielen ähn- lichen Beschäftigungen verbunden ist, ängstlich abra- then. Die damit verbundene sanfte Dehnung des Kör- pers nach oben ist dem jungen Körper eher vortheil- haft, als nachtheilig, sobald nur dabei auf gleichmässi- ges Hochstehen beider Arme gehalten wird. Derartige Beschäftigungen können als Ausgleichungsmittel für viele andere, durch entgegengesetzte Körperstellung, durch Zusammendrückung des Oberkörpers nachthei- lige Beschäftigungen gelten. Fordert nicht das Jedem bekannte natürliche Bedürfniss dazu auf, sich von Zeit zu Zeit, besonders nach längerem Sitzen, kräftig nach oben zu dehnen und zu strecken und die gepresste Brust zu erweitern? An ein sogenanntes Schadenthun durch solche Situationen ist durchaus nicht zu denken. f) Das Selbstflechten der weiblichen Kopf- haare muss abwechselnd ebenso oft auf rechter wie linker Seite geschehen, weil bei jedem einzelnen Male eine ungleiche Stellung der Schultern unvermeidlich ist. g) Das Zeichnen oder Malen an der Staffelei hat vermöge der beträchtlichen Ungleichhaltung der Schultern, und weil eine Abwechselung dabei nicht thunlich ist, zuweilen (wenn nicht auf andere Weise Ausgleichung geschieht) sogar noch bei Erwachsenen Schiefbildung des Körpers zur Folge, ist daher vor Beendung des Wachsthumes von um so entschiedenerem nachtheiligen Einflusse. Nach den hier aufgestellten Grundsätzen und Analogien wird man nun auch alle anderen Beschäftigungen im häusli- chen und wirthschaftlichen Leben, bei Handwerken und in Fabriken, wozu Kinder vielfach verwendet werden, und die

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/217>, abgerufen am 21.11.2024.