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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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17. -- 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. GEISTIGE SEITE.
Erziehung gegeben worden sein, wenn aus dem Jünglinge ein
ächter Mann werden soll, allein die volle Ausbildung zum
Manne gibt ihm erst die Welt, der Kreis des grossen Lebens.
Hier erst kann sich jene volle probehaltige Energie des Cha-
rakters und der Thatkraft entwickeln, die für alle Zeiten als
die schönste Zierde des Mannes gilt. Der Jüngling und Mann
soll die Stürme des Lebens nicht frevelnd suchen, wohl aber
dann, wenn sie seine Bahn nach edlen Zielen durchkreuzen,
ihnen straff und muthig die Stirn bieten, was auch immer da-
bei auf dem Spiele stehe. Ja, erst durch sie gelangt der
männliche Charakter zu seiner vollen Reife. -- Während der
Jungfrau in der Regel nur ausnahmsweise kleine selbständige
Ausflüge in die Welt zugänglich und dienlich sind, soll der
Jüngling vorzugsweise dem grossen Lebenskreise angehören,
ohne sich jedoch deshalb seiner Familie, an welche er durch
das Band der Liebe und Dankbarkeit für immer geknüpft ist,
zu entfremden. Der Jüngling muss hinaus und Tausende von
Gefahren mannhaft bestehen lernen, welche seine Würde, seine
Biederkeit, seine Keuschheit von vielen Seiten bedrohen --
Gefahren, welche der Jungfrau grösstentheils fern bleiben. Er
soll frisch und frei in und mit der Welt leben und dennoch
seine selbständige Festigkeit sich wahren.

Der richtig gebildete Jüngling bringt Ideale mit in die
Welt, mögen sie nach dieser oder jener Seite des Lebens ge-
richtet sein. Das Gegentheil verriethe geistige Armuth und
Schwäche. Aber nur hüte er sich, dass diese Ideale für ihn
nicht zu Klippen werden! Er soll seine Ideale, dafern sie edle
und vernünftige sind, festhalten für immer und mit Besonnen-
heit verfolgen, denn um das Erreichbare zu erreichen, muss
nach dem unerreichbaren Höchsten gestrebt werden. Dies ist
als ein wichtiges Gesetz des Lebens zu betrachten und geeig-
net, den Menschen in der Kraft der Demuth zu bewahren.
Diesem schliesst sich ein zweites an: das eines gewissen Gra-
des von Unvollkommenheit aller menschlichen Dinge, in des-
sen Anerkennung wir nach Erschöpfung unseres Strebens Be-
ruhigung finden sollen. Der Jüngling hat ferner wohl zu er-
wägen, dass hohen Idealen nicht im Sturme, sondern nur ge-

17. — 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. GEISTIGE SEITE.
Erziehung gegeben worden sein, wenn aus dem Jünglinge ein
ächter Mann werden soll, allein die volle Ausbildung zum
Manne gibt ihm erst die Welt, der Kreis des grossen Lebens.
Hier erst kann sich jene volle probehaltige Energie des Cha-
rakters und der Thatkraft entwickeln, die für alle Zeiten als
die schönste Zierde des Mannes gilt. Der Jüngling und Mann
soll die Stürme des Lebens nicht frevelnd suchen, wohl aber
dann, wenn sie seine Bahn nach edlen Zielen durchkreuzen,
ihnen straff und muthig die Stirn bieten, was auch immer da-
bei auf dem Spiele stehe. Ja, erst durch sie gelangt der
männliche Charakter zu seiner vollen Reife. — Während der
Jungfrau in der Regel nur ausnahmsweise kleine selbständige
Ausflüge in die Welt zugänglich und dienlich sind, soll der
Jüngling vorzugsweise dem grossen Lebenskreise angehören,
ohne sich jedoch deshalb seiner Familie, an welche er durch
das Band der Liebe und Dankbarkeit für immer geknüpft ist,
zu entfremden. Der Jüngling muss hinaus und Tausende von
Gefahren mannhaft bestehen lernen, welche seine Würde, seine
Biederkeit, seine Keuschheit von vielen Seiten bedrohen —
Gefahren, welche der Jungfrau grösstentheils fern bleiben. Er
soll frisch und frei in und mit der Welt leben und dennoch
seine selbständige Festigkeit sich wahren.

Der richtig gebildete Jüngling bringt Ideale mit in die
Welt, mögen sie nach dieser oder jener Seite des Lebens ge-
richtet sein. Das Gegentheil verriethe geistige Armuth und
Schwäche. Aber nur hüte er sich, dass diese Ideale für ihn
nicht zu Klippen werden! Er soll seine Ideale, dafern sie edle
und vernünftige sind, festhalten für immer und mit Besonnen-
heit verfolgen, denn um das Erreichbare zu erreichen, muss
nach dem unerreichbaren Höchsten gestrebt werden. Dies ist
als ein wichtiges Gesetz des Lebens zu betrachten und geeig-
net, den Menschen in der Kraft der Demuth zu bewahren.
Diesem schliesst sich ein zweites an: das eines gewissen Gra-
des von Unvollkommenheit aller menschlichen Dinge, in des-
sen Anerkennung wir nach Erschöpfung unseres Strebens Be-
ruhigung finden sollen. Der Jüngling hat ferner wohl zu er-
wägen, dass hohen Idealen nicht im Sturme, sondern nur ge-

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[295/0299] 17. — 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. GEISTIGE SEITE. Erziehung gegeben worden sein, wenn aus dem Jünglinge ein ächter Mann werden soll, allein die volle Ausbildung zum Manne gibt ihm erst die Welt, der Kreis des grossen Lebens. Hier erst kann sich jene volle probehaltige Energie des Cha- rakters und der Thatkraft entwickeln, die für alle Zeiten als die schönste Zierde des Mannes gilt. Der Jüngling und Mann soll die Stürme des Lebens nicht frevelnd suchen, wohl aber dann, wenn sie seine Bahn nach edlen Zielen durchkreuzen, ihnen straff und muthig die Stirn bieten, was auch immer da- bei auf dem Spiele stehe. Ja, erst durch sie gelangt der männliche Charakter zu seiner vollen Reife. — Während der Jungfrau in der Regel nur ausnahmsweise kleine selbständige Ausflüge in die Welt zugänglich und dienlich sind, soll der Jüngling vorzugsweise dem grossen Lebenskreise angehören, ohne sich jedoch deshalb seiner Familie, an welche er durch das Band der Liebe und Dankbarkeit für immer geknüpft ist, zu entfremden. Der Jüngling muss hinaus und Tausende von Gefahren mannhaft bestehen lernen, welche seine Würde, seine Biederkeit, seine Keuschheit von vielen Seiten bedrohen — Gefahren, welche der Jungfrau grösstentheils fern bleiben. Er soll frisch und frei in und mit der Welt leben und dennoch seine selbständige Festigkeit sich wahren. Der richtig gebildete Jüngling bringt Ideale mit in die Welt, mögen sie nach dieser oder jener Seite des Lebens ge- richtet sein. Das Gegentheil verriethe geistige Armuth und Schwäche. Aber nur hüte er sich, dass diese Ideale für ihn nicht zu Klippen werden! Er soll seine Ideale, dafern sie edle und vernünftige sind, festhalten für immer und mit Besonnen- heit verfolgen, denn um das Erreichbare zu erreichen, muss nach dem unerreichbaren Höchsten gestrebt werden. Dies ist als ein wichtiges Gesetz des Lebens zu betrachten und geeig- net, den Menschen in der Kraft der Demuth zu bewahren. Diesem schliesst sich ein zweites an: das eines gewissen Gra- des von Unvollkommenheit aller menschlichen Dinge, in des- sen Anerkennung wir nach Erschöpfung unseres Strebens Be- ruhigung finden sollen. Der Jüngling hat ferner wohl zu er- wägen, dass hohen Idealen nicht im Sturme, sondern nur ge-

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/299>, abgerufen am 24.11.2024.