17. -- 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. GEISTIGE SEITE.
messenen Schrittes zugestrebt werden kann, wenn nicht Kraft und Gelingen vernichtet werden soll.
Fasst der Jüngling seine Ideale anders auf, so ist ihre endliche Wirkung nach beiden Richtungen hin eine Körper und Geist zerrüttende, alle Lebenstüchtigkeit vernichtende. Entweder er schiesst über sein Ziel hinaus und verliert sich in bodenloser Schwärmerei, oder, hat sich der Adler an der Sonne die Flügel verbrannt und fällt nun herab in die nackte Wirklichkeit, so zieht diese ihn, den machtlosen, niederwärts in ihre Schlünde.
In Betreff einer der nächstliegenden Richtungen der Jüng- lings-Ideale ist aber nicht zu verkennen, dass in vielen Le- bensverhältnissen, besonders der höheren Berufsarten, von der Wirklichkeit in der That zu wenig Gelegenheit geboten ist, um das jedem Jünglinge natürliche Bedürfniss zu befriedigen. Ich meine das Bedürfniss, dem Ideale der Männlichkeit zuzustre- ben, Muth und Thatkraft zu erproben und zu üben und so zum Manne zu erstarken. Kein Wunder daher, wenn sich dieser edle Geist und Trieb, da ihm die Wege des natürlichen Ausgährens verschlossen sind, in der verschiedensten Weise verirrt und verwirft.
Von vielen wollen wir nur ein Beispiel aus dem Leben herausgreifen.
Auf vielen deutschen Universitäten ist die Unsitte des Duelles noch immer in vollem Schwunge. Alljährlich eine Unzahl von Duellen wird daselbst in der Stille geschlagen trotz Wachsamkeit und Strafe. Mancher Einzelne hat 20, 30 und noch mehr während seiner Studienzeit bestandene Duelle nachzuweisen. Geht man dem Sinne des Duelles tiefer auf den Grund, so ist es kein anderer, als jenes natürliche Be- dürfniss der männlichen Jugend in Muthproben sich zu be- währen, der an sich edle Drang, der Idee, der Ueberzeugung oder der Ehre, wenn es gilt Alles zu opfern -- derselbe Sinn, welcher bei unseren Vorfahren die Turniere erhielt. Die Ehrenstreitigkeiten unserer studirenden Jugend sind dabei mei- stens Nebensache, nur die äussere Folie. Innere Feindselig- keit der Duellanten ist sogar eine wahre Seltenheit. Ja zu-
17. — 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. GEISTIGE SEITE.
messenen Schrittes zugestrebt werden kann, wenn nicht Kraft und Gelingen vernichtet werden soll.
Fasst der Jüngling seine Ideale anders auf, so ist ihre endliche Wirkung nach beiden Richtungen hin eine Körper und Geist zerrüttende, alle Lebenstüchtigkeit vernichtende. Entweder er schiesst über sein Ziel hinaus und verliert sich in bodenloser Schwärmerei, oder, hat sich der Adler an der Sonne die Flügel verbrannt und fällt nun herab in die nackte Wirklichkeit, so zieht diese ihn, den machtlosen, niederwärts in ihre Schlünde.
In Betreff einer der nächstliegenden Richtungen der Jüng- lings-Ideale ist aber nicht zu verkennen, dass in vielen Le- bensverhältnissen, besonders der höheren Berufsarten, von der Wirklichkeit in der That zu wenig Gelegenheit geboten ist, um das jedem Jünglinge natürliche Bedürfniss zu befriedigen. Ich meine das Bedürfniss, dem Ideale der Männlichkeit zuzustre- ben, Muth und Thatkraft zu erproben und zu üben und so zum Manne zu erstarken. Kein Wunder daher, wenn sich dieser edle Geist und Trieb, da ihm die Wege des natürlichen Ausgährens verschlossen sind, in der verschiedensten Weise verirrt und verwirft.
Von vielen wollen wir nur ein Beispiel aus dem Leben herausgreifen.
Auf vielen deutschen Universitäten ist die Unsitte des Duelles noch immer in vollem Schwunge. Alljährlich eine Unzahl von Duellen wird daselbst in der Stille geschlagen trotz Wachsamkeit und Strafe. Mancher Einzelne hat 20, 30 und noch mehr während seiner Studienzeit bestandene Duelle nachzuweisen. Geht man dem Sinne des Duelles tiefer auf den Grund, so ist es kein anderer, als jenes natürliche Be- dürfniss der männlichen Jugend in Muthproben sich zu be- währen, der an sich edle Drang, der Idee, der Ueberzeugung oder der Ehre, wenn es gilt Alles zu opfern — derselbe Sinn, welcher bei unseren Vorfahren die Turniere erhielt. Die Ehrenstreitigkeiten unserer studirenden Jugend sind dabei mei- stens Nebensache, nur die äussere Folie. Innere Feindselig- keit der Duellanten ist sogar eine wahre Seltenheit. Ja zu-
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17. — 20. JAHR. ÜBERGANG ZUR SELBSTÄNDIGKEIT. GEISTIGE SEITE.
messenen Schrittes zugestrebt werden kann, wenn nicht Kraft
und Gelingen vernichtet werden soll.
Fasst der Jüngling seine Ideale anders auf, so ist ihre
endliche Wirkung nach beiden Richtungen hin eine Körper
und Geist zerrüttende, alle Lebenstüchtigkeit vernichtende.
Entweder er schiesst über sein Ziel hinaus und verliert sich
in bodenloser Schwärmerei, oder, hat sich der Adler an der
Sonne die Flügel verbrannt und fällt nun herab in die nackte
Wirklichkeit, so zieht diese ihn, den machtlosen, niederwärts
in ihre Schlünde.
In Betreff einer der nächstliegenden Richtungen der Jüng-
lings-Ideale ist aber nicht zu verkennen, dass in vielen Le-
bensverhältnissen, besonders der höheren Berufsarten, von der
Wirklichkeit in der That zu wenig Gelegenheit geboten ist, um
das jedem Jünglinge natürliche Bedürfniss zu befriedigen. Ich
meine das Bedürfniss, dem Ideale der Männlichkeit zuzustre-
ben, Muth und Thatkraft zu erproben und zu üben und so
zum Manne zu erstarken. Kein Wunder daher, wenn sich
dieser edle Geist und Trieb, da ihm die Wege des natürlichen
Ausgährens verschlossen sind, in der verschiedensten Weise
verirrt und verwirft.
Von vielen wollen wir nur ein Beispiel aus dem Leben
herausgreifen.
Auf vielen deutschen Universitäten ist die Unsitte des
Duelles noch immer in vollem Schwunge. Alljährlich eine
Unzahl von Duellen wird daselbst in der Stille geschlagen
trotz Wachsamkeit und Strafe. Mancher Einzelne hat 20, 30
und noch mehr während seiner Studienzeit bestandene Duelle
nachzuweisen. Geht man dem Sinne des Duelles tiefer auf
den Grund, so ist es kein anderer, als jenes natürliche Be-
dürfniss der männlichen Jugend in Muthproben sich zu be-
währen, der an sich edle Drang, der Idee, der Ueberzeugung
oder der Ehre, wenn es gilt Alles zu opfern — derselbe
Sinn, welcher bei unseren Vorfahren die Turniere erhielt. Die
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keit der Duellanten ist sogar eine wahre Seltenheit. Ja zu-
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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/300>, abgerufen am 23.06.2024.
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