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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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EINLEITUNG.
gewiesen werden. Eine der gewöhnlichsten Selbstentschuldi-
gungen für die mangelhafte väterliche Mitwirkung am Erzie-
hungsgeschäfte ist ferner der vorgebliche Mangel an Zeit und
Gelegenheit wegen Berufspflichten und der mancherlei Stellungen
und Verhältnisse zur Aussenwelt. Freilich bleibt dem nach
aussen beschäftigten Vater nicht so viel Zeit für die Familie,
als der Mutter. Aber kann er darum nicht erziehend fort-
wirken auch in den Stunden und Tagen seiner Abwesenheit?
Wenn er seine Stellung und Aufgabe in der Familie richtig
erfasst hat -- allerdings. Der Mann, eben weil er mehr als
die Frau in der Welt und für die Welt gelebt hat, soll auch
an Lebenserfahrung und Menschenkenntniss reicher und des-
halb befähigter sein, einen richtigen, auf vernünftige Grund-
sätze basirten Erziehungsplan zu entwerfen und im Einver-
nehmen mit der Frau festzustellen.*) Die Hauptaufgabe
für die Frau beruht in der treuen Ausführung dieses Planes
und in der Kunst, alle die tausend bunten Einzelnheiten des
Familienlebens mit den Hauptgrundsätzen des Erziehungsplanes
in Einklang zu bringen. Sind die Aeltern über die Haupt-
grundsätze des Erziehungsplanes einig (und dahin müssen sie zu
gelangen suchen; ganz besonders streng ist selbst jeder Schein
von derartiger Uneinigkeit im Beisein der Kinder zu ver-
meiden), so wird ja der erziehende Einfluss des Vaters geistig
fortwirken, auch wenn derselbe ausserhalb des Familienkreises
weilt. Durchschnittlich, wenigstens an den meisten Tagen,
1--2 Stündchen (es ist ja dies die edelste Erholung) wird doch
gewiss selbst der bedrängteste Geschäftsmann seiner Familie
widmen können. Und dies ist, wenn nur einmal die Hauptgrund-
sätze der Erziehung geordnet sind, schon ganz ausreichend,
um theils direct das Seinige zur Erziehung beizutragen, theils
mit liebender Sorgfalt das Ganze zu überwachen, Dieses oder
Jenes aufzufrischen, hier oder da nachzuhelfen, der Mutter

*) Mann und Frau sind offenbar im Kreise ihrer Familie gleichberech-
tigt, nur kommt es immer auf richtige Vertheilung der beiderseitigen Rollen
an. Soweit als der Mann seine Ansicht durch Gründe von nachweisbarer
Richtigkeit unterstützen kann, wird keine vernünftige und wohlwollende Frau
in diesem Falle dem Manne die entscheidende Stimme absprechen wollen.

EINLEITUNG.
gewiesen werden. Eine der gewöhnlichsten Selbstentschuldi-
gungen für die mangelhafte väterliche Mitwirkung am Erzie-
hungsgeschäfte ist ferner der vorgebliche Mangel an Zeit und
Gelegenheit wegen Berufspflichten und der mancherlei Stellungen
und Verhältnisse zur Aussenwelt. Freilich bleibt dem nach
aussen beschäftigten Vater nicht so viel Zeit für die Familie,
als der Mutter. Aber kann er darum nicht erziehend fort-
wirken auch in den Stunden und Tagen seiner Abwesenheit?
Wenn er seine Stellung und Aufgabe in der Familie richtig
erfasst hat — allerdings. Der Mann, eben weil er mehr als
die Frau in der Welt und für die Welt gelebt hat, soll auch
an Lebenserfahrung und Menschenkenntniss reicher und des-
halb befähigter sein, einen richtigen, auf vernünftige Grund-
sätze basirten Erziehungsplan zu entwerfen und im Einver-
nehmen mit der Frau festzustellen.*) Die Hauptaufgabe
für die Frau beruht in der treuen Ausführung dieses Planes
und in der Kunst, alle die tausend bunten Einzelnheiten des
Familienlebens mit den Hauptgrundsätzen des Erziehungsplanes
in Einklang zu bringen. Sind die Aeltern über die Haupt-
grundsätze des Erziehungsplanes einig (und dahin müssen sie zu
gelangen suchen; ganz besonders streng ist selbst jeder Schein
von derartiger Uneinigkeit im Beisein der Kinder zu ver-
meiden), so wird ja der erziehende Einfluss des Vaters geistig
fortwirken, auch wenn derselbe ausserhalb des Familienkreises
weilt. Durchschnittlich, wenigstens an den meisten Tagen,
1—2 Stündchen (es ist ja dies die edelste Erholung) wird doch
gewiss selbst der bedrängteste Geschäftsmann seiner Familie
widmen können. Und dies ist, wenn nur einmal die Hauptgrund-
sätze der Erziehung geordnet sind, schon ganz ausreichend,
um theils direct das Seinige zur Erziehung beizutragen, theils
mit liebender Sorgfalt das Ganze zu überwachen, Dieses oder
Jenes aufzufrischen, hier oder da nachzuhelfen, der Mutter

*) Mann und Frau sind offenbar im Kreise ihrer Familie gleichberech-
tigt, nur kommt es immer auf richtige Vertheilung der beiderseitigen Rollen
an. Soweit als der Mann seine Ansicht durch Gründe von nachweisbarer
Richtigkeit unterstützen kann, wird keine vernünftige und wohlwollende Frau
in diesem Falle dem Manne die entscheidende Stimme absprechen wollen.
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[31/0035] EINLEITUNG. gewiesen werden. Eine der gewöhnlichsten Selbstentschuldi- gungen für die mangelhafte väterliche Mitwirkung am Erzie- hungsgeschäfte ist ferner der vorgebliche Mangel an Zeit und Gelegenheit wegen Berufspflichten und der mancherlei Stellungen und Verhältnisse zur Aussenwelt. Freilich bleibt dem nach aussen beschäftigten Vater nicht so viel Zeit für die Familie, als der Mutter. Aber kann er darum nicht erziehend fort- wirken auch in den Stunden und Tagen seiner Abwesenheit? Wenn er seine Stellung und Aufgabe in der Familie richtig erfasst hat — allerdings. Der Mann, eben weil er mehr als die Frau in der Welt und für die Welt gelebt hat, soll auch an Lebenserfahrung und Menschenkenntniss reicher und des- halb befähigter sein, einen richtigen, auf vernünftige Grund- sätze basirten Erziehungsplan zu entwerfen und im Einver- nehmen mit der Frau festzustellen. *) Die Hauptaufgabe für die Frau beruht in der treuen Ausführung dieses Planes und in der Kunst, alle die tausend bunten Einzelnheiten des Familienlebens mit den Hauptgrundsätzen des Erziehungsplanes in Einklang zu bringen. Sind die Aeltern über die Haupt- grundsätze des Erziehungsplanes einig (und dahin müssen sie zu gelangen suchen; ganz besonders streng ist selbst jeder Schein von derartiger Uneinigkeit im Beisein der Kinder zu ver- meiden), so wird ja der erziehende Einfluss des Vaters geistig fortwirken, auch wenn derselbe ausserhalb des Familienkreises weilt. Durchschnittlich, wenigstens an den meisten Tagen, 1—2 Stündchen (es ist ja dies die edelste Erholung) wird doch gewiss selbst der bedrängteste Geschäftsmann seiner Familie widmen können. Und dies ist, wenn nur einmal die Hauptgrund- sätze der Erziehung geordnet sind, schon ganz ausreichend, um theils direct das Seinige zur Erziehung beizutragen, theils mit liebender Sorgfalt das Ganze zu überwachen, Dieses oder Jenes aufzufrischen, hier oder da nachzuhelfen, der Mutter *) Mann und Frau sind offenbar im Kreise ihrer Familie gleichberech- tigt, nur kommt es immer auf richtige Vertheilung der beiderseitigen Rollen an. Soweit als der Mann seine Ansicht durch Gründe von nachweisbarer Richtigkeit unterstützen kann, wird keine vernünftige und wohlwollende Frau in diesem Falle dem Manne die entscheidende Stimme absprechen wollen.

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/35>, abgerufen am 09.11.2024.