Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

EINLEITUNG.
bürdeerleichternd oder in ihren etwaigen Schwächen gegen
die Kinder wieder einlenkend beizustehen.

Wenn hier Schwächen der Mütter gegen die Kinder er-
wähnt werden, so sind diese allerdings oft vom verderblich-
sten Einflusse für die Kinder, aber vom Standpunkte der
Mütter aus betrachtet die verzeihlichsten, weil die mancherlei
mit richtiger Erziehung nothwendig verbundeneu Selbstüber-
windungen den Müttern viel schwerer fallen, als uns Vätern.
Darum ist es eben unsere, der Väter, wichtige Aufgabe, den
Müttern in dieser Beziehung kräftigend nachzuhelfen. Wir haben
keine Ursache, uns etwa deshalb über das andere Geschlecht er-
heben zu wollen, denn auch wir, selbst die reinsten von uns, haben
manche Schwächen, die uns viel übler stehen, als der Frau die
mütterlichen Schwächen. Oder wie, sind es nicht Schwächen,
wenn wir Dieses oder Jenes von häuslichen Angelegenheiten,
was gemeinschaftlich getragen oder durchgeführt werden sollte,
auf den Schultern der Frau oder anderer Glieder des Hauses
allein liegen lassen; oder wenn wir im Hause stets und auch
in Nebendingen auf Kosten höherer Rücksichten unser Ich,
unsere persönliche Neigung, Bequemlichkeit u. dgl. obenan-
gestellt wissen wollen; oder wenn wir aus Zerstreuungssucht,
aus vermeintlich nothwendigen socialen Rücksichten ernstere
Pflichten gegen die Familie hintansetzen u. s. w.? Wer von
uns Vätern könnte sich von allen diesen Schwächen vollkom-
men freisprechen? Blicke Jeder auf sein Leben zurük und --
die Hand auf's Herz -- wir müssen alle mehr oder weniger
ein derartiges "Schuldig" über uns aussprechen.

Mann und Frau müssen sich, wie überhaupt, so ganz be-
sonders bei Leitung der Kindererziehung, gegenseitig ergänzen.
Der Vater übertrage der Mutter von seiner Willenskraft und
Festigkeit, die Mutter dem Vater von ihrer Sanftmuth, Geduld
und -- Selbstverläugnung.

Wo also eine planmässige, auf Grundsätzen ruhende Er-
ziehung gedeihen soll, da muss vor Allem der Vater die Zügel
der Erziehung in der Hand haben. Prüft man genau und un-
parteiisch, so muss man die Hauptverantwortlichkeit für das
gesammte Erziehungsresultat stets dem Vater zuerkennen. Denn

EINLEITUNG.
bürdeerleichternd oder in ihren etwaigen Schwächen gegen
die Kinder wieder einlenkend beizustehen.

Wenn hier Schwächen der Mütter gegen die Kinder er-
wähnt werden, so sind diese allerdings oft vom verderblich-
sten Einflusse für die Kinder, aber vom Standpunkte der
Mütter aus betrachtet die verzeihlichsten, weil die mancherlei
mit richtiger Erziehung nothwendig verbundeneu Selbstüber-
windungen den Müttern viel schwerer fallen, als uns Vätern.
Darum ist es eben unsere, der Väter, wichtige Aufgabe, den
Müttern in dieser Beziehung kräftigend nachzuhelfen. Wir haben
keine Ursache, uns etwa deshalb über das andere Geschlecht er-
heben zu wollen, denn auch wir, selbst die reinsten von uns, haben
manche Schwächen, die uns viel übler stehen, als der Frau die
mütterlichen Schwächen. Oder wie, sind es nicht Schwächen,
wenn wir Dieses oder Jenes von häuslichen Angelegenheiten,
was gemeinschaftlich getragen oder durchgeführt werden sollte,
auf den Schultern der Frau oder anderer Glieder des Hauses
allein liegen lassen; oder wenn wir im Hause stets und auch
in Nebendingen auf Kosten höherer Rücksichten unser Ich,
unsere persönliche Neigung, Bequemlichkeit u. dgl. obenan-
gestellt wissen wollen; oder wenn wir aus Zerstreuungssucht,
aus vermeintlich nothwendigen socialen Rücksichten ernstere
Pflichten gegen die Familie hintansetzen u. s. w.? Wer von
uns Vätern könnte sich von allen diesen Schwächen vollkom-
men freisprechen? Blicke Jeder auf sein Leben zurük und —
die Hand auf's Herz — wir müssen alle mehr oder weniger
ein derartiges „Schuldig“ über uns aussprechen.

Mann und Frau müssen sich, wie überhaupt, so ganz be-
sonders bei Leitung der Kindererziehung, gegenseitig ergänzen.
Der Vater übertrage der Mutter von seiner Willenskraft und
Festigkeit, die Mutter dem Vater von ihrer Sanftmuth, Geduld
und — Selbstverläugnung.

Wo also eine planmässige, auf Grundsätzen ruhende Er-
ziehung gedeihen soll, da muss vor Allem der Vater die Zügel
der Erziehung in der Hand haben. Prüft man genau und un-
parteiisch, so muss man die Hauptverantwortlichkeit für das
gesammte Erziehungsresultat stets dem Vater zuerkennen. Denn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0036" n="32"/><fw place="top" type="header">EINLEITUNG.</fw><lb/>
bürdeerleichternd oder in ihren etwaigen Schwächen gegen<lb/>
die Kinder wieder einlenkend beizustehen.</p><lb/>
        <p>Wenn hier Schwächen der Mütter gegen die Kinder er-<lb/>
wähnt werden, so sind diese allerdings oft vom verderblich-<lb/>
sten Einflusse für die Kinder, aber vom Standpunkte der<lb/>
Mütter aus betrachtet die verzeihlichsten, weil die mancherlei<lb/>
mit richtiger Erziehung nothwendig verbundeneu Selbstüber-<lb/>
windungen den Müttern viel schwerer fallen, als uns Vätern.<lb/>
Darum ist es eben unsere, der Väter, wichtige Aufgabe, den<lb/>
Müttern in dieser Beziehung kräftigend nachzuhelfen. Wir haben<lb/>
keine Ursache, uns etwa deshalb über das andere Geschlecht er-<lb/>
heben zu wollen, denn auch wir, selbst die reinsten von uns, haben<lb/>
manche Schwächen, die uns viel übler stehen, als der Frau die<lb/>
mütterlichen Schwächen. Oder wie, sind es nicht Schwächen,<lb/>
wenn wir Dieses oder Jenes von häuslichen Angelegenheiten,<lb/>
was gemeinschaftlich getragen oder durchgeführt werden sollte,<lb/>
auf den Schultern der Frau oder anderer Glieder des Hauses<lb/>
allein liegen lassen; oder wenn wir im Hause <hi rendition="#g">stets</hi> und auch<lb/>
in Nebendingen auf Kosten höherer Rücksichten unser Ich,<lb/>
unsere persönliche Neigung, Bequemlichkeit u. dgl. obenan-<lb/>
gestellt wissen wollen; oder wenn wir aus Zerstreuungssucht,<lb/>
aus vermeintlich nothwendigen socialen Rücksichten ernstere<lb/>
Pflichten gegen die Familie hintansetzen u. s. w.? Wer von<lb/>
uns Vätern könnte sich von allen diesen Schwächen vollkom-<lb/>
men freisprechen? Blicke Jeder auf sein Leben zurük und &#x2014;<lb/>
die Hand auf's Herz &#x2014; wir müssen alle mehr oder weniger<lb/>
ein derartiges &#x201E;Schuldig&#x201C; über uns aussprechen.</p><lb/>
        <p>Mann und Frau müssen sich, wie überhaupt, so ganz be-<lb/>
sonders bei Leitung der Kindererziehung, gegenseitig ergänzen.<lb/>
Der Vater übertrage der Mutter von seiner Willenskraft und<lb/>
Festigkeit, die Mutter dem Vater von ihrer Sanftmuth, Geduld<lb/>
und &#x2014; Selbstverläugnung.</p><lb/>
        <p>Wo also eine planmässige, auf Grundsätzen ruhende Er-<lb/>
ziehung gedeihen soll, da muss vor Allem der <hi rendition="#g">Vater</hi> die Zügel<lb/>
der Erziehung in der Hand haben. Prüft man genau und un-<lb/>
parteiisch, so muss man die Hauptverantwortlichkeit für das<lb/>
gesammte Erziehungsresultat stets dem Vater zuerkennen. Denn<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[32/0036] EINLEITUNG. bürdeerleichternd oder in ihren etwaigen Schwächen gegen die Kinder wieder einlenkend beizustehen. Wenn hier Schwächen der Mütter gegen die Kinder er- wähnt werden, so sind diese allerdings oft vom verderblich- sten Einflusse für die Kinder, aber vom Standpunkte der Mütter aus betrachtet die verzeihlichsten, weil die mancherlei mit richtiger Erziehung nothwendig verbundeneu Selbstüber- windungen den Müttern viel schwerer fallen, als uns Vätern. Darum ist es eben unsere, der Väter, wichtige Aufgabe, den Müttern in dieser Beziehung kräftigend nachzuhelfen. Wir haben keine Ursache, uns etwa deshalb über das andere Geschlecht er- heben zu wollen, denn auch wir, selbst die reinsten von uns, haben manche Schwächen, die uns viel übler stehen, als der Frau die mütterlichen Schwächen. Oder wie, sind es nicht Schwächen, wenn wir Dieses oder Jenes von häuslichen Angelegenheiten, was gemeinschaftlich getragen oder durchgeführt werden sollte, auf den Schultern der Frau oder anderer Glieder des Hauses allein liegen lassen; oder wenn wir im Hause stets und auch in Nebendingen auf Kosten höherer Rücksichten unser Ich, unsere persönliche Neigung, Bequemlichkeit u. dgl. obenan- gestellt wissen wollen; oder wenn wir aus Zerstreuungssucht, aus vermeintlich nothwendigen socialen Rücksichten ernstere Pflichten gegen die Familie hintansetzen u. s. w.? Wer von uns Vätern könnte sich von allen diesen Schwächen vollkom- men freisprechen? Blicke Jeder auf sein Leben zurük und — die Hand auf's Herz — wir müssen alle mehr oder weniger ein derartiges „Schuldig“ über uns aussprechen. Mann und Frau müssen sich, wie überhaupt, so ganz be- sonders bei Leitung der Kindererziehung, gegenseitig ergänzen. Der Vater übertrage der Mutter von seiner Willenskraft und Festigkeit, die Mutter dem Vater von ihrer Sanftmuth, Geduld und — Selbstverläugnung. Wo also eine planmässige, auf Grundsätzen ruhende Er- ziehung gedeihen soll, da muss vor Allem der Vater die Zügel der Erziehung in der Hand haben. Prüft man genau und un- parteiisch, so muss man die Hauptverantwortlichkeit für das gesammte Erziehungsresultat stets dem Vater zuerkennen. Denn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/36
Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/36>, abgerufen am 21.11.2024.