Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.chung nicht unterliegen! -- und indem ich mich in meinem Winkel zusammenschmiegte, schloß ich die Augen, mit dem festen Vorsatze, sie nicht eher wieder zu öffnen, bis sich das Wetter in und außer mir völlig abgekühlt hätte und ich mich ganz so ruhig fühlte, als in dem Augenblicke, wo Paul das verwünschte Spritzleder herabgelassen hatte. -- Das thaten Sie wirklich, Herr Samuel Brink? -- Mit Ihrer Erlaubniß, lieber Leser! ja, das that ich; und wenn Sie in meinen Fall kommen sollten, so rathe ich Ihnen, dasselbe zu thun. Es ist ein einfaches Mittel und hilft gewiß, wenn es Ihr Ernst ist, es zu rechter Zeit anzuwenden. -- Und was that Gretchen während der angenehmen Unterhaltung, die Sie ihr in der verschlossenen Kalesche machten? -- Vermuthlich das Nämliche, wiewohl aus einer anderen Ursache. Denn als Paul, bei unserer Ankunft auf der Station, die Kalesche aufmachte, fand ich sie, in ihre Wagenecke gelehnt, so sanft schlafend, als das liebe Kind, seitdem sie aus der Wiege kam, nur jemals geschlafen haben konnte. 6. Wer auf einer schlüpfrigen Bahn sich einige Mal glücklich aufrecht erhalten und an einer besonders gefährlichen Stelle die Besonnenheit nicht verloren hat, setzt endlich seinen Weg mit Zuversicht und sogar behender fort, als wenn er sich auf einem ganz ebenen, sicheren chung nicht unterliegen! — und indem ich mich in meinem Winkel zusammenschmiegte, schloß ich die Augen, mit dem festen Vorsatze, sie nicht eher wieder zu öffnen, bis sich das Wetter in und außer mir völlig abgekühlt hätte und ich mich ganz so ruhig fühlte, als in dem Augenblicke, wo Paul das verwünschte Spritzleder herabgelassen hatte. — Das thaten Sie wirklich, Herr Samuel Brink? — Mit Ihrer Erlaubniß, lieber Leser! ja, das that ich; und wenn Sie in meinen Fall kommen sollten, so rathe ich Ihnen, dasselbe zu thun. Es ist ein einfaches Mittel und hilft gewiß, wenn es Ihr Ernst ist, es zu rechter Zeit anzuwenden. — Und was that Gretchen während der angenehmen Unterhaltung, die Sie ihr in der verschlossenen Kalesche machten? — Vermuthlich das Nämliche, wiewohl aus einer anderen Ursache. Denn als Paul, bei unserer Ankunft auf der Station, die Kalesche aufmachte, fand ich sie, in ihre Wagenecke gelehnt, so sanft schlafend, als das liebe Kind, seitdem sie aus der Wiege kam, nur jemals geschlafen haben konnte. 6. Wer auf einer schlüpfrigen Bahn sich einige Mal glücklich aufrecht erhalten und an einer besonders gefährlichen Stelle die Besonnenheit nicht verloren hat, setzt endlich seinen Weg mit Zuversicht und sogar behender fort, als wenn er sich auf einem ganz ebenen, sicheren <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0026"/> chung nicht unterliegen! — und indem ich mich in meinem Winkel zusammenschmiegte, schloß ich die Augen, mit dem festen Vorsatze, sie nicht eher wieder zu öffnen, bis sich das Wetter in und außer mir völlig abgekühlt hätte und ich mich ganz so ruhig fühlte, als in dem Augenblicke, wo Paul das verwünschte Spritzleder herabgelassen hatte.</p><lb/> <p>— Das thaten Sie wirklich, Herr Samuel Brink? — Mit Ihrer Erlaubniß, lieber Leser! ja, das that ich; und wenn Sie in meinen Fall kommen sollten, so rathe ich Ihnen, dasselbe zu thun. Es ist ein einfaches Mittel und hilft gewiß, wenn es Ihr Ernst ist, es zu rechter Zeit anzuwenden. — Und was that Gretchen während der angenehmen Unterhaltung, die Sie ihr in der verschlossenen Kalesche machten? — Vermuthlich das Nämliche, wiewohl aus einer anderen Ursache. Denn als Paul, bei unserer Ankunft auf der Station, die Kalesche aufmachte, fand ich sie, in ihre Wagenecke gelehnt, so sanft schlafend, als das liebe Kind, seitdem sie aus der Wiege kam, nur jemals geschlafen haben konnte.</p><lb/> </div> <div type="chapter" n="6"> <head>6.</head> <p>Wer auf einer schlüpfrigen Bahn sich einige Mal glücklich aufrecht erhalten und an einer besonders gefährlichen Stelle die Besonnenheit nicht verloren hat, setzt endlich seinen Weg mit Zuversicht und sogar behender fort, als wenn er sich auf einem ganz ebenen, sicheren<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0026]
chung nicht unterliegen! — und indem ich mich in meinem Winkel zusammenschmiegte, schloß ich die Augen, mit dem festen Vorsatze, sie nicht eher wieder zu öffnen, bis sich das Wetter in und außer mir völlig abgekühlt hätte und ich mich ganz so ruhig fühlte, als in dem Augenblicke, wo Paul das verwünschte Spritzleder herabgelassen hatte.
— Das thaten Sie wirklich, Herr Samuel Brink? — Mit Ihrer Erlaubniß, lieber Leser! ja, das that ich; und wenn Sie in meinen Fall kommen sollten, so rathe ich Ihnen, dasselbe zu thun. Es ist ein einfaches Mittel und hilft gewiß, wenn es Ihr Ernst ist, es zu rechter Zeit anzuwenden. — Und was that Gretchen während der angenehmen Unterhaltung, die Sie ihr in der verschlossenen Kalesche machten? — Vermuthlich das Nämliche, wiewohl aus einer anderen Ursache. Denn als Paul, bei unserer Ankunft auf der Station, die Kalesche aufmachte, fand ich sie, in ihre Wagenecke gelehnt, so sanft schlafend, als das liebe Kind, seitdem sie aus der Wiege kam, nur jemals geschlafen haben konnte.
6. Wer auf einer schlüpfrigen Bahn sich einige Mal glücklich aufrecht erhalten und an einer besonders gefährlichen Stelle die Besonnenheit nicht verloren hat, setzt endlich seinen Weg mit Zuversicht und sogar behender fort, als wenn er sich auf einem ganz ebenen, sicheren
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