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Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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sprach sie von dem erlittenen Unfalle und entwickelte sehr deutlich den Gang ihrer Vorstellungen und Empfindungen, so weit sie sich derselben bewußt war. Sie glaubte, ihre volle Besinnung erst verloren zu haben, als sie an das Ufer gebracht wurde. Ich war gewiß, sagte sie, daß mir Max nahe sei, und daß er mich retten würde. Das furchtbare Brausen der Mühlräder habe sie übrigens auch unter dem Wasser vernommen, und dies sei der letzte Eindruck vor ihrer Ohnmacht, dessen sie sich erinnere. Ehe sie ihrer äußeren Sinne wieder mächtig gewesen, sei sie sich bewußt geworden, daß sie gerettet sei und in ihrem Bette liege; es sei ihr vorgekommen, Max stehe über ihrem Haupte und sie höre ihn von Zeit zu Zeit sprechen; auch meinen Eintritt habe sie bemerkt und sei durch meinen stummen Schmerz sehr geängstigt worden, aber sie habe sich weder regen, noch ihre inneren Anschauungen mit Worten oder Zeichen ausdrücken können. Lieber Herr Brink! sagte sie, indem sie meine Hand ergriff, ich habe auch nachher gesehen, wie tief Sie von meinem Unfalle ergriffen waren. Sie sind so gut; bin ich denn Ihrer Theilnahme werth? -- Ich konnte nicht sprechen, sondern ließ mein Angesicht auf ihren Arm sinken, den ich unbemerkt mit zärtlichen Küssen bedeckte.

Nach einer Weile stand ich auf. Das Alles, sagte ich, greift Sie zu sehr an, liebes Gretchen! Wir wollen Sie für heute der Ruhe überlassen. Morgen früh, wenn Sie gut geschlafen und sich ganz erholt haben, werde

sprach sie von dem erlittenen Unfalle und entwickelte sehr deutlich den Gang ihrer Vorstellungen und Empfindungen, so weit sie sich derselben bewußt war. Sie glaubte, ihre volle Besinnung erst verloren zu haben, als sie an das Ufer gebracht wurde. Ich war gewiß, sagte sie, daß mir Max nahe sei, und daß er mich retten würde. Das furchtbare Brausen der Mühlräder habe sie übrigens auch unter dem Wasser vernommen, und dies sei der letzte Eindruck vor ihrer Ohnmacht, dessen sie sich erinnere. Ehe sie ihrer äußeren Sinne wieder mächtig gewesen, sei sie sich bewußt geworden, daß sie gerettet sei und in ihrem Bette liege; es sei ihr vorgekommen, Max stehe über ihrem Haupte und sie höre ihn von Zeit zu Zeit sprechen; auch meinen Eintritt habe sie bemerkt und sei durch meinen stummen Schmerz sehr geängstigt worden, aber sie habe sich weder regen, noch ihre inneren Anschauungen mit Worten oder Zeichen ausdrücken können. Lieber Herr Brink! sagte sie, indem sie meine Hand ergriff, ich habe auch nachher gesehen, wie tief Sie von meinem Unfalle ergriffen waren. Sie sind so gut; bin ich denn Ihrer Theilnahme werth? — Ich konnte nicht sprechen, sondern ließ mein Angesicht auf ihren Arm sinken, den ich unbemerkt mit zärtlichen Küssen bedeckte.

Nach einer Weile stand ich auf. Das Alles, sagte ich, greift Sie zu sehr an, liebes Gretchen! Wir wollen Sie für heute der Ruhe überlassen. Morgen früh, wenn Sie gut geschlafen und sich ganz erholt haben, werde

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T11:30:04Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreyvogel_liebesgeschichte_1910/82>, abgerufen am 24.11.2024.