Schreyvogel, Joseph: Samuel Brinks letzte Liebesgeschichte. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–94. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ich Sie besuchen. Ich habe Allerlei für Sie aus der Stadt mitgebracht, was ich Ihnen zeigen will. Gute Nacht, liebes Kind! Zugleich gab ich Max einen Wink, mir zu folgen, und verließ mit ihm Gretchens Schlafgemach. 17. Ist deine Mamsell aufgestanden? fragte ich die Magd, die eben aus Gretchens Zimmer kam, da ich früh am Morgen über den Vorsaal ging. O ja, Herr! war die Antwort; und sie befindet sich recht wohl. -- Ich pochte leise an der Thür und trat hinein, da ich nicht antworten hörte. Gretchen stand in ihrem Nachtcorsett am offenen Fenster, mit dem Rücken gegen den Eingang gekehrt, und trillerte ein Liedchen in den Garten hinaus. Sie hatte mich nicht kommen hören, sondern blieb nachlässig im Fenster gelehnt, indem sie mit dem einen Fuße den Takt zu ihrer Melodie leise anschlug. Ich sah, daß es meine Pantöffelchen waren, mit denen sie auf dem Boden klapperte. Alle meine heitersten Gedanken und Wünsche wurden in dem Augenblick rege, und indem ich mich ihr unbemerkt genähert hatte, umfaßte ich ihren schlanken Leib, so daß sie, sich umwendend, gerade in meinen Armen lag. -- Sie haben mich wirklich erschreckt, sagte sie, über und über erröthend, indem sie sich von mir losmachte; ich bin noch kaum angezogen. -- Kein Anzug kleidet Sie besser als dieser, Gretchen! er- ich Sie besuchen. Ich habe Allerlei für Sie aus der Stadt mitgebracht, was ich Ihnen zeigen will. Gute Nacht, liebes Kind! Zugleich gab ich Max einen Wink, mir zu folgen, und verließ mit ihm Gretchens Schlafgemach. 17. Ist deine Mamsell aufgestanden? fragte ich die Magd, die eben aus Gretchens Zimmer kam, da ich früh am Morgen über den Vorsaal ging. O ja, Herr! war die Antwort; und sie befindet sich recht wohl. — Ich pochte leise an der Thür und trat hinein, da ich nicht antworten hörte. Gretchen stand in ihrem Nachtcorsett am offenen Fenster, mit dem Rücken gegen den Eingang gekehrt, und trillerte ein Liedchen in den Garten hinaus. Sie hatte mich nicht kommen hören, sondern blieb nachlässig im Fenster gelehnt, indem sie mit dem einen Fuße den Takt zu ihrer Melodie leise anschlug. Ich sah, daß es meine Pantöffelchen waren, mit denen sie auf dem Boden klapperte. Alle meine heitersten Gedanken und Wünsche wurden in dem Augenblick rege, und indem ich mich ihr unbemerkt genähert hatte, umfaßte ich ihren schlanken Leib, so daß sie, sich umwendend, gerade in meinen Armen lag. — Sie haben mich wirklich erschreckt, sagte sie, über und über erröthend, indem sie sich von mir losmachte; ich bin noch kaum angezogen. — Kein Anzug kleidet Sie besser als dieser, Gretchen! er- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="16"> <p><pb facs="#f0083"/> ich Sie besuchen. Ich habe Allerlei für Sie aus der Stadt mitgebracht, was ich Ihnen zeigen will. Gute Nacht, liebes Kind! Zugleich gab ich Max einen Wink, mir zu folgen, und verließ mit ihm Gretchens Schlafgemach.</p><lb/> </div> <div type="chapter" n="17"> <head>17.</head> <p>Ist deine Mamsell aufgestanden? fragte ich die Magd, die eben aus Gretchens Zimmer kam, da ich früh am Morgen über den Vorsaal ging. O ja, Herr! war die Antwort; und sie befindet sich recht wohl. — Ich pochte leise an der Thür und trat hinein, da ich nicht antworten hörte. Gretchen stand in ihrem Nachtcorsett am offenen Fenster, mit dem Rücken gegen den Eingang gekehrt, und trillerte ein Liedchen in den Garten hinaus. Sie hatte mich nicht kommen hören, sondern blieb nachlässig im Fenster gelehnt, indem sie mit dem einen Fuße den Takt zu ihrer Melodie leise anschlug. Ich sah, daß es meine Pantöffelchen waren, mit denen sie auf dem Boden klapperte. Alle meine heitersten Gedanken und Wünsche wurden in dem Augenblick rege, und indem ich mich ihr unbemerkt genähert hatte, umfaßte ich ihren schlanken Leib, so daß sie, sich umwendend, gerade in meinen Armen lag. — Sie haben mich wirklich erschreckt, sagte sie, über und über erröthend, indem sie sich von mir losmachte; ich bin noch kaum angezogen. — Kein Anzug kleidet Sie besser als dieser, Gretchen! er-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0083]
ich Sie besuchen. Ich habe Allerlei für Sie aus der Stadt mitgebracht, was ich Ihnen zeigen will. Gute Nacht, liebes Kind! Zugleich gab ich Max einen Wink, mir zu folgen, und verließ mit ihm Gretchens Schlafgemach.
17. Ist deine Mamsell aufgestanden? fragte ich die Magd, die eben aus Gretchens Zimmer kam, da ich früh am Morgen über den Vorsaal ging. O ja, Herr! war die Antwort; und sie befindet sich recht wohl. — Ich pochte leise an der Thür und trat hinein, da ich nicht antworten hörte. Gretchen stand in ihrem Nachtcorsett am offenen Fenster, mit dem Rücken gegen den Eingang gekehrt, und trillerte ein Liedchen in den Garten hinaus. Sie hatte mich nicht kommen hören, sondern blieb nachlässig im Fenster gelehnt, indem sie mit dem einen Fuße den Takt zu ihrer Melodie leise anschlug. Ich sah, daß es meine Pantöffelchen waren, mit denen sie auf dem Boden klapperte. Alle meine heitersten Gedanken und Wünsche wurden in dem Augenblick rege, und indem ich mich ihr unbemerkt genähert hatte, umfaßte ich ihren schlanken Leib, so daß sie, sich umwendend, gerade in meinen Armen lag. — Sie haben mich wirklich erschreckt, sagte sie, über und über erröthend, indem sie sich von mir losmachte; ich bin noch kaum angezogen. — Kein Anzug kleidet Sie besser als dieser, Gretchen! er-
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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-16T11:30:04Z)
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
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