"Rotation ist eine Drehung", "Zweifel ist Ungewisssein" und dergl. -- was aber niemand als eine Definition gelten lässt.
Als charakteristisch kann immer nur eine Mehrheit, Gruppe, ein System von (allermindestens zwei) angebbaren Merkmalen in Betracht kommen -- welche dem Begriffsinhalte angehören, in ihm enthal- ten sind.
Würde eines von diesen Merkmalen durch die übrigen von selbst bedingt" (in dem schon erläuterten Sinne), so wäre seine Anführung überflüssig; dasselbe ist dann aus der Definition -- behufs deren Ver- einfachung -- fortzulassen; dann sind ja schon die übrigen Merkmale zur Bestimmung des Begriffes ausreichend.
Jedes von diesen Merkmalen wird nun aber, ausser in dem zu definirenden, auch noch selbständig oder in andern Begriffen auftreten, denn wenn ein solches jenem ausschliesslich angehörte, so würde es allein schon für den zu definirenden Begriff charakteristisch sein, zur Bestimmung desselben ausreichen; die Angabe der übrigen Merkmale könnte alsdann unterbleiben und kämen wir auf den oben schon als ausgeschlossen erkannten Fall zurück.
Die in der Definition je als "wesentliche" verwendeten Merkmale müssen also, je für sich, gleichwie einen "engeren" Inhalt, so einen "weiteren" Umfang haben; sie werden dem zu definirenden "über- geordnete" oder mit ihm verglichen "höhere" Begriffe sein.
Von diesen Begriffen oder wesentlichen Einzelmerkmalen pflegt man irgend einen -- gewöhnlich den durch ein Substantiv dargestellten -- als "genus proximum", d. i. als die dem zu definirenden ("Art"-) Begriffe nächst übergeordnete "Gattung" zu bezeichnen, und sagt von dieser, dass sie durch die noch ferner hinzutretenden Merkmale ein- geschränkt, noch näher bestimmt, "determinirt" werde.
Jedes neu hinzutretende Merkmal muss in der That, gleichwie es den faktischen durch die bisherigen Merkmale ausgedrückten Vorstel- lungsinhalt vermehrt, so auch den (möglichen) Umfang des von letzterm bestimmten Begriffes wirklich verringern, ansonst es ja von diesen bereits thatsächlich mitbedingt sein und darum seine Erwähnung über- flüssig erscheinen würde.
Diese in der Definition zu dem genus proximum noch hinzu- tretenden Merkmale werden demgemäss als "differentiae specificae" be- zeichnet, weil sich durch ihren Komplex, sowie auch schon durch jedes einzelne von ihnen der zu definirende Begriff als eine Unterart des genus proximum von andern Arten dieser Gattung spezifisch unter- scheidet.
Einleitung.
„Rotation ist eine Drehung“, „Zweifel ist Ungewisssein“ und dergl. — was aber niemand als eine Definition gelten lässt.
Als charakteristisch kann immer nur eine Mehrheit, Gruppe, ein System von (allermindestens zwei) angebbaren Merkmalen in Betracht kommen — welche dem Begriffsinhalte angehören, in ihm enthal- ten sind.
Würde eines von diesen Merkmalen durch die übrigen von selbst bedingt“ (in dem schon erläuterten Sinne), so wäre seine Anführung überflüssig; dasselbe ist dann aus der Definition — behufs deren Ver- einfachung — fortzulassen; dann sind ja schon die übrigen Merkmale zur Bestimmung des Begriffes ausreichend.
Jedes von diesen Merkmalen wird nun aber, ausser in dem zu definirenden, auch noch selbständig oder in andern Begriffen auftreten, denn wenn ein solches jenem ausschliesslich angehörte, so würde es allein schon für den zu definirenden Begriff charakteristisch sein, zur Bestimmung desselben ausreichen; die Angabe der übrigen Merkmale könnte alsdann unterbleiben und kämen wir auf den oben schon als ausgeschlossen erkannten Fall zurück.
Die in der Definition je als „wesentliche“ verwendeten Merkmale müssen also, je für sich, gleichwie einen „engeren“ Inhalt, so einen „weiteren“ Umfang haben; sie werden dem zu definirenden „über- geordnete“ oder mit ihm verglichen „höhere“ Begriffe sein.
Von diesen Begriffen oder wesentlichen Einzelmerkmalen pflegt man irgend einen — gewöhnlich den durch ein Substantiv dargestellten — als „genus proximum“, d. i. als die dem zu definirenden („Art“-) Begriffe nächst übergeordnete „Gattung“ zu bezeichnen, und sagt von dieser, dass sie durch die noch ferner hinzutretenden Merkmale ein- geschränkt, noch näher bestimmt, „determinirt“ werde.
Jedes neu hinzutretende Merkmal muss in der That, gleichwie es den faktischen durch die bisherigen Merkmale ausgedrückten Vorstel- lungsinhalt vermehrt, so auch den (möglichen) Umfang des von letzterm bestimmten Begriffes wirklich verringern, ansonst es ja von diesen bereits thatsächlich mitbedingt sein und darum seine Erwähnung über- flüssig erscheinen würde.
Diese in der Definition zu dem genus proximum noch hinzu- tretenden Merkmale werden demgemäss als „differentiae specificae“ be- zeichnet, weil sich durch ihren Komplex, sowie auch schon durch jedes einzelne von ihnen der zu definirende Begriff als eine Unterart des genus proximum von andern Arten dieser Gattung spezifisch unter- scheidet.
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Einleitung.
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was aber niemand als eine Definition gelten lässt.
Als charakteristisch kann immer nur eine Mehrheit, Gruppe, ein
System von (allermindestens zwei) angebbaren Merkmalen in Betracht
kommen — welche dem Begriffsinhalte angehören, in ihm enthal-
ten sind.
Würde eines von diesen Merkmalen durch die übrigen von selbst
bedingt“ (in dem schon erläuterten Sinne), so wäre seine Anführung
überflüssig; dasselbe ist dann aus der Definition — behufs deren Ver-
einfachung — fortzulassen; dann sind ja schon die übrigen Merkmale
zur Bestimmung des Begriffes ausreichend.
Jedes von diesen Merkmalen wird nun aber, ausser in dem zu
definirenden, auch noch selbständig oder in andern Begriffen auftreten,
denn wenn ein solches jenem ausschliesslich angehörte, so würde es
allein schon für den zu definirenden Begriff charakteristisch sein, zur
Bestimmung desselben ausreichen; die Angabe der übrigen Merkmale
könnte alsdann unterbleiben und kämen wir auf den oben schon als
ausgeschlossen erkannten Fall zurück.
Die in der Definition je als „wesentliche“ verwendeten Merkmale
müssen also, je für sich, gleichwie einen „engeren“ Inhalt, so einen
„weiteren“ Umfang haben; sie werden dem zu definirenden „über-
geordnete“ oder mit ihm verglichen „höhere“ Begriffe sein.
Von diesen Begriffen oder wesentlichen Einzelmerkmalen pflegt
man irgend einen — gewöhnlich den durch ein Substantiv dargestellten
— als „genus proximum“, d. i. als die dem zu definirenden („Art“-)
Begriffe nächst übergeordnete „Gattung“ zu bezeichnen, und sagt von
dieser, dass sie durch die noch ferner hinzutretenden Merkmale ein-
geschränkt, noch näher bestimmt, „determinirt“ werde.
Jedes neu hinzutretende Merkmal muss in der That, gleichwie es
den faktischen durch die bisherigen Merkmale ausgedrückten Vorstel-
lungsinhalt vermehrt, so auch den (möglichen) Umfang des von letzterm
bestimmten Begriffes wirklich verringern, ansonst es ja von diesen
bereits thatsächlich mitbedingt sein und darum seine Erwähnung über-
flüssig erscheinen würde.
Diese in der Definition zu dem genus proximum noch hinzu-
tretenden Merkmale werden demgemäss als „differentiae specificae“ be-
zeichnet, weil sich durch ihren Komplex, sowie auch schon durch jedes
einzelne von ihnen der zu definirende Begriff als eine Unterart des
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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/111>, abgerufen am 27.11.2024.
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