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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.

Eine andere Frage ist indess, ob wirklich alle Begriffe so, durch
Reflexion auf die gemeinsamen Merkmale, in's Dasein treten und treten
müssen.

Neben dem geschilderten Prozesse der "unmittelbaren" Begriffs-
bildung scheint mir in der That eine Möglichkeit auch "mittel-
barer" konstruktiver Bildung von Begriffen zugestanden werden zu
müssen.

Der Begriff der "Unmöglichkeit" z. B. (den auch Keller hervorhebt)
ist sicher nicht empirisch durch Reflexion auf die gemeinsamen Merkmale
von allem "Unmöglichen" entstanden, weil solches überhaupt nicht Gegen-
stand einer Erfahrung werden konnte. Allerdings hegt auch dieser Be-
griff eine Mannigfaltigkeit von Vorstellungsverbindungen und Gedanken
ein, und grenzt sie gegen die übrigen ab, denen wir aus logischen oder
(solchen und) physikalischen Gründen die "Möglichkeit" zusprechen. Und
es wäre noch immerhin denkbar, dass auch hier durch Reflexion auf ein
gemeinsames Merkmal an eben jenen Gedankendingen der Begriff entstan-
den wäre, in Anbetracht, dass "Unmöglichkeit" ja in der That nicht von
Dingen der Aussenwelt, sondern nur von einer Kombination von Erkennt-
nisselementen in unserm Geiste prädizirt werden kann.

Ob solches aber die wirkliche und notwendige Entstehung des Be-
griffs der "Unmöglichkeit" darstellt, scheint eine schwierige Frage zu sein.

Zuzugeben ist wol, dass wir in Gestalt der "Verknüpfung" (Kom-
bination) und "Trennung" (Separation) und -- als eine Modifikation
der letztern -- insbesondre in Form der "Verneinung" (Negation), von
durch Abstraktion gewonnenen Vorstellungselementen oder Merkmalen
auch das Vermögen besitzen, Begriffe mittelbar zu konstruiren, sodass
Reflexion und Abstraktion nicht als die einzigen Quellen der Begriffs-
entwickelung hingestellt werden dürfen.

Auch die Begriffe des "Dings an sich" und der "Wahrheit", der
"Vollkommenheit", des "Ideals", der "Freiheit", und andere, könnten ähn-
lich dem vorausgeschickten Beispiel verwendet werden, solche Bemerkung
anzuregen.

Die angeführten Beispiele genügen wol, um auf die Schwierig-
keiten einer allgemeinen Theorie der Begriffsbildung und der Erklärung
seines Wesens hinzuweisen.

Ungeachtet der mehrtausendjährigen Arbeit sind über eine solche
die Philosophen auch noch nicht einig geworden.

Es befehden sich die Schulen der "Nominalisten", der "Realisten" und
der "Konzeptualisten" und wenn auch ziemlich unverkennbar geworden ist,
dass jene erstern mit der Einseitigkeit ihrer Auffassung sich nicht im
Rechte befinden, so können wir uns doch auch auf eine allgemein aner-
kannte Theorie noch nicht berufen.

Ebenso gehen die Ansichten noch weit auseinander über das Wesen
der "allgemeinen Vorstellung" (repraesentatio generalis sive universalis) als

Einleitung.

Eine andere Frage ist indess, ob wirklich alle Begriffe so, durch
Reflexion auf die gemeinsamen Merkmale, in's Dasein treten und treten
müssen.

Neben dem geschilderten Prozesse der „unmittelbaren“ Begriffs-
bildung scheint mir in der That eine Möglichkeit auch „mittel-
barer“ konstruktiver Bildung von Begriffen zugestanden werden zu
müssen.

Der Begriff der „Unmöglichkeit“ z. B. (den auch Keller hervorhebt)
ist sicher nicht empirisch durch Reflexion auf die gemeinsamen Merkmale
von allem „Unmöglichen“ entstanden, weil solches überhaupt nicht Gegen-
stand einer Erfahrung werden konnte. Allerdings hegt auch dieser Be-
griff eine Mannigfaltigkeit von Vorstellungsverbindungen und Gedanken
ein, und grenzt sie gegen die übrigen ab, denen wir aus logischen oder
(solchen und) physikalischen Gründen die „Möglichkeit“ zusprechen. Und
es wäre noch immerhin denkbar, dass auch hier durch Reflexion auf ein
gemeinsames Merkmal an eben jenen Gedankendingen der Begriff entstan-
den wäre, in Anbetracht, dass „Unmöglichkeit“ ja in der That nicht von
Dingen der Aussenwelt, sondern nur von einer Kombination von Erkennt-
nisselementen in unserm Geiste prädizirt werden kann.

Ob solches aber die wirkliche und notwendige Entstehung des Be-
griffs der „Unmöglichkeit“ darstellt, scheint eine schwierige Frage zu sein.

Zuzugeben ist wol, dass wir in Gestalt der „Verknüpfung“ (Kom-
bination) und „Trennung“ (Separation) und — als eine Modifikation
der letztern — insbesondre in Form der „Verneinung“ (Negation), von
durch Abstraktion gewonnenen Vorstellungselementen oder Merkmalen
auch das Vermögen besitzen, Begriffe mittelbar zu konstruiren, sodass
Reflexion und Abstraktion nicht als die einzigen Quellen der Begriffs-
entwickelung hingestellt werden dürfen.

Auch die Begriffe des „Dings an sich“ und der „Wahrheit“, der
„Vollkommenheit“, des „Ideals“, der „Freiheit“, und andere, könnten ähn-
lich dem vorausgeschickten Beispiel verwendet werden, solche Bemerkung
anzuregen.

Die angeführten Beispiele genügen wol, um auf die Schwierig-
keiten einer allgemeinen Theorie der Begriffsbildung und der Erklärung
seines Wesens hinzuweisen.

Ungeachtet der mehrtausendjährigen Arbeit sind über eine solche
die Philosophen auch noch nicht einig geworden.

Es befehden sich die Schulen der „Nominalisten“, der „Realisten“ und
der „Konzeptualisten“ und wenn auch ziemlich unverkennbar geworden ist,
dass jene erstern mit der Einseitigkeit ihrer Auffassung sich nicht im
Rechte befinden, so können wir uns doch auch auf eine allgemein aner-
kannte Theorie noch nicht berufen.

Ebenso gehen die Ansichten noch weit auseinander über das Wesen
der „allgemeinen Vorstellung“ (repraesentatio generalis sive universalis) als

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[98/0118] Einleitung. Eine andere Frage ist indess, ob wirklich alle Begriffe so, durch Reflexion auf die gemeinsamen Merkmale, in's Dasein treten und treten müssen. Neben dem geschilderten Prozesse der „unmittelbaren“ Begriffs- bildung scheint mir in der That eine Möglichkeit auch „mittel- barer“ konstruktiver Bildung von Begriffen zugestanden werden zu müssen. Der Begriff der „Unmöglichkeit“ z. B. (den auch Keller hervorhebt) ist sicher nicht empirisch durch Reflexion auf die gemeinsamen Merkmale von allem „Unmöglichen“ entstanden, weil solches überhaupt nicht Gegen- stand einer Erfahrung werden konnte. Allerdings hegt auch dieser Be- griff eine Mannigfaltigkeit von Vorstellungsverbindungen und Gedanken ein, und grenzt sie gegen die übrigen ab, denen wir aus logischen oder (solchen und) physikalischen Gründen die „Möglichkeit“ zusprechen. Und es wäre noch immerhin denkbar, dass auch hier durch Reflexion auf ein gemeinsames Merkmal an eben jenen Gedankendingen der Begriff entstan- den wäre, in Anbetracht, dass „Unmöglichkeit“ ja in der That nicht von Dingen der Aussenwelt, sondern nur von einer Kombination von Erkennt- nisselementen in unserm Geiste prädizirt werden kann. Ob solches aber die wirkliche und notwendige Entstehung des Be- griffs der „Unmöglichkeit“ darstellt, scheint eine schwierige Frage zu sein. Zuzugeben ist wol, dass wir in Gestalt der „Verknüpfung“ (Kom- bination) und „Trennung“ (Separation) und — als eine Modifikation der letztern — insbesondre in Form der „Verneinung“ (Negation), von durch Abstraktion gewonnenen Vorstellungselementen oder Merkmalen auch das Vermögen besitzen, Begriffe mittelbar zu konstruiren, sodass Reflexion und Abstraktion nicht als die einzigen Quellen der Begriffs- entwickelung hingestellt werden dürfen. Auch die Begriffe des „Dings an sich“ und der „Wahrheit“, der „Vollkommenheit“, des „Ideals“, der „Freiheit“, und andere, könnten ähn- lich dem vorausgeschickten Beispiel verwendet werden, solche Bemerkung anzuregen. Die angeführten Beispiele genügen wol, um auf die Schwierig- keiten einer allgemeinen Theorie der Begriffsbildung und der Erklärung seines Wesens hinzuweisen. Ungeachtet der mehrtausendjährigen Arbeit sind über eine solche die Philosophen auch noch nicht einig geworden. Es befehden sich die Schulen der „Nominalisten“, der „Realisten“ und der „Konzeptualisten“ und wenn auch ziemlich unverkennbar geworden ist, dass jene erstern mit der Einseitigkeit ihrer Auffassung sich nicht im Rechte befinden, so können wir uns doch auch auf eine allgemein aner- kannte Theorie noch nicht berufen. Ebenso gehen die Ansichten noch weit auseinander über das Wesen der „allgemeinen Vorstellung“ (repraesentatio generalis sive universalis) als

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/118>, abgerufen am 27.11.2024.