Eine andere Frage ist indess, ob wirklich alle Begriffe so, durch Reflexion auf die gemeinsamen Merkmale, in's Dasein treten und treten müssen.
Neben dem geschilderten Prozesse der "unmittelbaren" Begriffs- bildung scheint mir in der That eine Möglichkeit auch "mittel- barer" konstruktiver Bildung von Begriffen zugestanden werden zu müssen.
Der Begriff der "Unmöglichkeit" z. B. (den auch Keller hervorhebt) ist sicher nicht empirisch durch Reflexion auf die gemeinsamen Merkmale von allem "Unmöglichen" entstanden, weil solches überhaupt nicht Gegen- stand einer Erfahrung werden konnte. Allerdings hegt auch dieser Be- griff eine Mannigfaltigkeit von Vorstellungsverbindungen und Gedanken ein, und grenzt sie gegen die übrigen ab, denen wir aus logischen oder (solchen und) physikalischen Gründen die "Möglichkeit" zusprechen. Und es wäre noch immerhin denkbar, dass auch hier durch Reflexion auf ein gemeinsames Merkmal an eben jenen Gedankendingen der Begriff entstan- den wäre, in Anbetracht, dass "Unmöglichkeit" ja in der That nicht von Dingen der Aussenwelt, sondern nur von einer Kombination von Erkennt- nisselementen in unserm Geiste prädizirt werden kann.
Ob solches aber die wirkliche und notwendige Entstehung des Be- griffs der "Unmöglichkeit" darstellt, scheint eine schwierige Frage zu sein.
Zuzugeben ist wol, dass wir in Gestalt der "Verknüpfung" (Kom- bination) und "Trennung" (Separation) und -- als eine Modifikation der letztern -- insbesondre in Form der "Verneinung" (Negation), von durch Abstraktion gewonnenen Vorstellungselementen oder Merkmalen auch das Vermögen besitzen, Begriffe mittelbar zu konstruiren, sodass Reflexion und Abstraktion nicht als die einzigen Quellen der Begriffs- entwickelung hingestellt werden dürfen.
Auch die Begriffe des "Dings an sich" und der "Wahrheit", der "Vollkommenheit", des "Ideals", der "Freiheit", und andere, könnten ähn- lich dem vorausgeschickten Beispiel verwendet werden, solche Bemerkung anzuregen.
Die angeführten Beispiele genügen wol, um auf die Schwierig- keiten einer allgemeinen Theorie der Begriffsbildung und der Erklärung seines Wesens hinzuweisen.
Ungeachtet der mehrtausendjährigen Arbeit sind über eine solche die Philosophen auch noch nicht einig geworden.
Es befehden sich die Schulen der "Nominalisten", der "Realisten" und der "Konzeptualisten" und wenn auch ziemlich unverkennbar geworden ist, dass jene erstern mit der Einseitigkeit ihrer Auffassung sich nicht im Rechte befinden, so können wir uns doch auch auf eine allgemein aner- kannte Theorie noch nicht berufen.
Ebenso gehen die Ansichten noch weit auseinander über das Wesen der "allgemeinen Vorstellung" (repraesentatio generalis sive universalis) als
Einleitung.
Eine andere Frage ist indess, ob wirklich alle Begriffe so, durch Reflexion auf die gemeinsamen Merkmale, in's Dasein treten und treten müssen.
Neben dem geschilderten Prozesse der „unmittelbaren“ Begriffs- bildung scheint mir in der That eine Möglichkeit auch „mittel- barer“ konstruktiver Bildung von Begriffen zugestanden werden zu müssen.
Der Begriff der „Unmöglichkeit“ z. B. (den auch Keller hervorhebt) ist sicher nicht empirisch durch Reflexion auf die gemeinsamen Merkmale von allem „Unmöglichen“ entstanden, weil solches überhaupt nicht Gegen- stand einer Erfahrung werden konnte. Allerdings hegt auch dieser Be- griff eine Mannigfaltigkeit von Vorstellungsverbindungen und Gedanken ein, und grenzt sie gegen die übrigen ab, denen wir aus logischen oder (solchen und) physikalischen Gründen die „Möglichkeit“ zusprechen. Und es wäre noch immerhin denkbar, dass auch hier durch Reflexion auf ein gemeinsames Merkmal an eben jenen Gedankendingen der Begriff entstan- den wäre, in Anbetracht, dass „Unmöglichkeit“ ja in der That nicht von Dingen der Aussenwelt, sondern nur von einer Kombination von Erkennt- nisselementen in unserm Geiste prädizirt werden kann.
Ob solches aber die wirkliche und notwendige Entstehung des Be- griffs der „Unmöglichkeit“ darstellt, scheint eine schwierige Frage zu sein.
Zuzugeben ist wol, dass wir in Gestalt der „Verknüpfung“ (Kom- bination) und „Trennung“ (Separation) und — als eine Modifikation der letztern — insbesondre in Form der „Verneinung“ (Negation), von durch Abstraktion gewonnenen Vorstellungselementen oder Merkmalen auch das Vermögen besitzen, Begriffe mittelbar zu konstruiren, sodass Reflexion und Abstraktion nicht als die einzigen Quellen der Begriffs- entwickelung hingestellt werden dürfen.
Auch die Begriffe des „Dings an sich“ und der „Wahrheit“, der „Vollkommenheit“, des „Ideals“, der „Freiheit“, und andere, könnten ähn- lich dem vorausgeschickten Beispiel verwendet werden, solche Bemerkung anzuregen.
Die angeführten Beispiele genügen wol, um auf die Schwierig- keiten einer allgemeinen Theorie der Begriffsbildung und der Erklärung seines Wesens hinzuweisen.
Ungeachtet der mehrtausendjährigen Arbeit sind über eine solche die Philosophen auch noch nicht einig geworden.
Es befehden sich die Schulen der „Nominalisten“, der „Realisten“ und der „Konzeptualisten“ und wenn auch ziemlich unverkennbar geworden ist, dass jene erstern mit der Einseitigkeit ihrer Auffassung sich nicht im Rechte befinden, so können wir uns doch auch auf eine allgemein aner- kannte Theorie noch nicht berufen.
Ebenso gehen die Ansichten noch weit auseinander über das Wesen der „allgemeinen Vorstellung“ (repraesentatio generalis sive universalis) als
<TEI><text><front><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0118"n="98"/><fwplace="top"type="header">Einleitung.</fw><lb/><p>Eine andere Frage ist indess, ob wirklich <hirendition="#i">alle</hi> Begriffe <hirendition="#i">so</hi>, durch<lb/>
Reflexion auf die gemeinsamen Merkmale, in's Dasein treten und treten<lb/>
müssen.</p><lb/><p>Neben dem geschilderten Prozesse der „unmittelbaren“ Begriffs-<lb/>
bildung scheint mir in der That eine Möglichkeit auch „mittel-<lb/>
barer“ konstruktiver Bildung von Begriffen zugestanden werden zu<lb/>
müssen.</p><lb/><p>Der Begriff der „Unmöglichkeit“ z. B. (den auch <hirendition="#g">Keller</hi> hervorhebt)<lb/>
ist sicher nicht empirisch durch Reflexion auf die gemeinsamen Merkmale<lb/>
von allem „Unmöglichen“ entstanden, weil solches überhaupt nicht Gegen-<lb/>
stand einer Erfahrung werden konnte. Allerdings hegt auch dieser Be-<lb/>
griff eine Mannigfaltigkeit von Vorstellungsverbindungen und Gedanken<lb/>
ein, und grenzt sie gegen die übrigen ab, denen wir aus logischen oder<lb/>
(solchen und) physikalischen Gründen die „Möglichkeit“ zusprechen. Und<lb/>
es wäre noch immerhin denkbar, dass auch hier durch Reflexion auf ein<lb/>
gemeinsames Merkmal an eben jenen Gedankendingen der Begriff entstan-<lb/>
den wäre, in Anbetracht, dass „Unmöglichkeit“ ja in der That nicht von<lb/>
Dingen der Aussenwelt, sondern nur von einer Kombination von Erkennt-<lb/>
nisselementen in unserm Geiste prädizirt werden kann.</p><lb/><p>Ob solches aber die wirkliche und notwendige Entstehung des Be-<lb/>
griffs der „Unmöglichkeit“ darstellt, scheint eine schwierige Frage zu sein.</p><lb/><p>Zuzugeben ist wol, dass wir in Gestalt der „<hirendition="#i">Verknüpfung</hi>“ (Kom-<lb/>
bination) und „<hirendition="#i">Trennung</hi>“ (Separation) und — als eine Modifikation<lb/>
der letztern — insbesondre in Form der „Verneinung“ (Negation), von<lb/>
durch Abstraktion gewonnenen Vorstellungselementen oder Merkmalen<lb/>
auch das Vermögen besitzen, Begriffe mittelbar zu konstruiren, sodass<lb/>
Reflexion und Abstraktion nicht als die einzigen Quellen der Begriffs-<lb/>
entwickelung hingestellt werden dürfen.</p><lb/><p>Auch die Begriffe des „Dings an sich“ und der „Wahrheit“, der<lb/>„Vollkommenheit“, des „Ideals“, der „Freiheit“, und andere, könnten ähn-<lb/>
lich dem vorausgeschickten Beispiel verwendet werden, solche Bemerkung<lb/>
anzuregen.</p><lb/><p>Die angeführten Beispiele genügen wol, um auf die Schwierig-<lb/>
keiten einer <hirendition="#i">allgemeinen</hi> Theorie der Begriffsbildung und der Erklärung<lb/>
seines Wesens hinzuweisen.</p><lb/><p>Ungeachtet der mehrtausendjährigen Arbeit sind über eine solche<lb/>
die Philosophen auch noch nicht einig geworden.</p><lb/><p>Es befehden sich die Schulen der „Nominalisten“, der „Realisten“ und<lb/>
der „Konzeptualisten“ und wenn auch ziemlich unverkennbar geworden ist,<lb/>
dass jene erstern mit der Einseitigkeit ihrer Auffassung sich nicht im<lb/>
Rechte befinden, so können wir uns doch auch auf eine allgemein aner-<lb/>
kannte Theorie noch nicht berufen.</p><lb/><p>Ebenso gehen die Ansichten noch weit auseinander über das Wesen<lb/>
der <hirendition="#i">„allgemeinen Vorstellung“</hi> (repraesentatio generalis sive universalis) als<lb/></p></div></div></front></text></TEI>
[98/0118]
Einleitung.
Eine andere Frage ist indess, ob wirklich alle Begriffe so, durch
Reflexion auf die gemeinsamen Merkmale, in's Dasein treten und treten
müssen.
Neben dem geschilderten Prozesse der „unmittelbaren“ Begriffs-
bildung scheint mir in der That eine Möglichkeit auch „mittel-
barer“ konstruktiver Bildung von Begriffen zugestanden werden zu
müssen.
Der Begriff der „Unmöglichkeit“ z. B. (den auch Keller hervorhebt)
ist sicher nicht empirisch durch Reflexion auf die gemeinsamen Merkmale
von allem „Unmöglichen“ entstanden, weil solches überhaupt nicht Gegen-
stand einer Erfahrung werden konnte. Allerdings hegt auch dieser Be-
griff eine Mannigfaltigkeit von Vorstellungsverbindungen und Gedanken
ein, und grenzt sie gegen die übrigen ab, denen wir aus logischen oder
(solchen und) physikalischen Gründen die „Möglichkeit“ zusprechen. Und
es wäre noch immerhin denkbar, dass auch hier durch Reflexion auf ein
gemeinsames Merkmal an eben jenen Gedankendingen der Begriff entstan-
den wäre, in Anbetracht, dass „Unmöglichkeit“ ja in der That nicht von
Dingen der Aussenwelt, sondern nur von einer Kombination von Erkennt-
nisselementen in unserm Geiste prädizirt werden kann.
Ob solches aber die wirkliche und notwendige Entstehung des Be-
griffs der „Unmöglichkeit“ darstellt, scheint eine schwierige Frage zu sein.
Zuzugeben ist wol, dass wir in Gestalt der „Verknüpfung“ (Kom-
bination) und „Trennung“ (Separation) und — als eine Modifikation
der letztern — insbesondre in Form der „Verneinung“ (Negation), von
durch Abstraktion gewonnenen Vorstellungselementen oder Merkmalen
auch das Vermögen besitzen, Begriffe mittelbar zu konstruiren, sodass
Reflexion und Abstraktion nicht als die einzigen Quellen der Begriffs-
entwickelung hingestellt werden dürfen.
Auch die Begriffe des „Dings an sich“ und der „Wahrheit“, der
„Vollkommenheit“, des „Ideals“, der „Freiheit“, und andere, könnten ähn-
lich dem vorausgeschickten Beispiel verwendet werden, solche Bemerkung
anzuregen.
Die angeführten Beispiele genügen wol, um auf die Schwierig-
keiten einer allgemeinen Theorie der Begriffsbildung und der Erklärung
seines Wesens hinzuweisen.
Ungeachtet der mehrtausendjährigen Arbeit sind über eine solche
die Philosophen auch noch nicht einig geworden.
Es befehden sich die Schulen der „Nominalisten“, der „Realisten“ und
der „Konzeptualisten“ und wenn auch ziemlich unverkennbar geworden ist,
dass jene erstern mit der Einseitigkeit ihrer Auffassung sich nicht im
Rechte befinden, so können wir uns doch auch auf eine allgemein aner-
kannte Theorie noch nicht berufen.
Ebenso gehen die Ansichten noch weit auseinander über das Wesen
der „allgemeinen Vorstellung“ (repraesentatio generalis sive universalis) als
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/118>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.