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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.

Langweilig, trocken, dürr etc.? -- Vielleicht ja! -- Man kann es
auch heute noch niemand verwehren, die Arithmetik (als die Wissen-
schaft, die sich mit den Zahlenverhältnissen beschäftigt) langweilig
zu finden. Es thun dies aber zumeist nur Solche, die entweder einen
recht schlechten Elementarunterricht genossen oder sich überhaupt
nicht der Mühe unterzogen haben, dieselbe kennen zu lernen.

Unfruchtbar? -- Nein! -- Es dürfte doch heutzutage wol niemand
mehr es wagen, die Analysis und Mathematik, die Lehre von Zahl
(und Maass), die messende und rechnende Physik, der Unfruchtbarkeit
zu zeihen.

Und dennoch bleibt die Thatsache der Rohheit unsres Abbildungs-
verfahrens, welches bei jedem Zählen allemal bethätigt wird, bestehen;
dennoch ist die ungeheure Dürftigkeit, welche auch der Ermittelung
metrischer Beziehungen notwendig anhaftet, ganz unverkennbar, und
selbst die Geometrie, indem sie noch die "gestaltlichen Verhältnisse"
der Dinge in den Bereich ihrer Betrachtung zieht, ist doch unleugbar
einseitig, sieht von den allerinteressantesten Eigenschaften der raum-
erfüllenden Substanz armselig ab.

Wie sind dabei nun die grossartigen Erfolge zu begreifen, die in
einer (die Unterbrechungen eingerechnet) allerdings mehrtausendjährigen
Geschichte gerade jene Wissenschaften thatsächlich errungen haben
(und mit der Zeit nur immer reichlicher zu verwirklichen scheinen),
welche sich die Erforschung der Gesetze der Dinge nach Zahl und
Maass zur Aufgabe stellten?

Die Antwort gibt das alte Gleichniss von dem Bündel Pfeile,
welches allen Versuchen, dasselbe zu zerbrechen, als Ganzes wider-
stand und sich erst Demjenigen ergab, der dasselbe auflöste, die Pfeile
einzeln zu knicken:

Die Schwierigkeiten, welche dem Fortschritt der Erkenntniss ent-
gegenstehen, sind auch nur einzeln zu überkommen, und gerade in
ihrer Einseitigkeit, in der durch sie verwirklichten Teilung der Arbeit
liegt das Verdienst und die Kraft der erwähnten Disziplinen.

In ebendiesem Sinne dürfen wir auch die unsrer Logik der Um-
fangsverhältnisse zur Last gelegte Einseitigkeit als einen Vorzug der-
selben in Anspruch nehmen. Indem die ältere Logik solche Einseitig-
keit verschmähte, ist sie in den jahrtausenden verhältnissmässig stehen
geblieben, das Sprichwort illustrirend: qui trop embrasse, mal etreint.

lichen Umfangsverhältnisse, den wir in § 15 citiren. Das Wort "unfruchtbar"
fällt an andrer Stelle.
Einleitung.

Langweilig, trocken, dürr etc.? — Vielleicht ja! — Man kann es
auch heute noch niemand verwehren, die Arithmetik (als die Wissen-
schaft, die sich mit den Zahlenverhältnissen beschäftigt) langweilig
zu finden. Es thun dies aber zumeist nur Solche, die entweder einen
recht schlechten Elementarunterricht genossen oder sich überhaupt
nicht der Mühe unterzogen haben, dieselbe kennen zu lernen.

Unfruchtbar? — Nein! — Es dürfte doch heutzutage wol niemand
mehr es wagen, die Analysis und Mathematik, die Lehre von Zahl
(und Maass), die messende und rechnende Physik, der Unfruchtbarkeit
zu zeihen.

Und dennoch bleibt die Thatsache der Rohheit unsres Abbildungs-
verfahrens, welches bei jedem Zählen allemal bethätigt wird, bestehen;
dennoch ist die ungeheure Dürftigkeit, welche auch der Ermittelung
metrischer Beziehungen notwendig anhaftet, ganz unverkennbar, und
selbst die Geometrie, indem sie noch die „gestaltlichen Verhältnisse“
der Dinge in den Bereich ihrer Betrachtung zieht, ist doch unleugbar
einseitig, sieht von den allerinteressantesten Eigenschaften der raum-
erfüllenden Substanz armselig ab.

Wie sind dabei nun die grossartigen Erfolge zu begreifen, die in
einer (die Unterbrechungen eingerechnet) allerdings mehrtausendjährigen
Geschichte gerade jene Wissenschaften thatsächlich errungen haben
(und mit der Zeit nur immer reichlicher zu verwirklichen scheinen),
welche sich die Erforschung der Gesetze der Dinge nach Zahl und
Maass zur Aufgabe stellten?

Die Antwort gibt das alte Gleichniss von dem Bündel Pfeile,
welches allen Versuchen, dasselbe zu zerbrechen, als Ganzes wider-
stand und sich erst Demjenigen ergab, der dasselbe auflöste, die Pfeile
einzeln zu knicken:

Die Schwierigkeiten, welche dem Fortschritt der Erkenntniss ent-
gegenstehen, sind auch nur einzeln zu überkommen, und gerade in
ihrer Einseitigkeit, in der durch sie verwirklichten Teilung der Arbeit
liegt das Verdienst und die Kraft der erwähnten Disziplinen.

In ebendiesem Sinne dürfen wir auch die unsrer Logik der Um-
fangsverhältnisse zur Last gelegte Einseitigkeit als einen Vorzug der-
selben in Anspruch nehmen. Indem die ältere Logik solche Einseitig-
keit verschmähte, ist sie in den jahrtausenden verhältnissmässig stehen
geblieben, das Sprichwort illustrirend: qui trop embrasse, mal étreint.

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[103/0123] Einleitung. Langweilig, trocken, dürr etc.? — Vielleicht ja! — Man kann es auch heute noch niemand verwehren, die Arithmetik (als die Wissen- schaft, die sich mit den Zahlenverhältnissen beschäftigt) langweilig zu finden. Es thun dies aber zumeist nur Solche, die entweder einen recht schlechten Elementarunterricht genossen oder sich überhaupt nicht der Mühe unterzogen haben, dieselbe kennen zu lernen. Unfruchtbar? — Nein! — Es dürfte doch heutzutage wol niemand mehr es wagen, die Analysis und Mathematik, die Lehre von Zahl (und Maass), die messende und rechnende Physik, der Unfruchtbarkeit zu zeihen. Und dennoch bleibt die Thatsache der Rohheit unsres Abbildungs- verfahrens, welches bei jedem Zählen allemal bethätigt wird, bestehen; dennoch ist die ungeheure Dürftigkeit, welche auch der Ermittelung metrischer Beziehungen notwendig anhaftet, ganz unverkennbar, und selbst die Geometrie, indem sie noch die „gestaltlichen Verhältnisse“ der Dinge in den Bereich ihrer Betrachtung zieht, ist doch unleugbar einseitig, sieht von den allerinteressantesten Eigenschaften der raum- erfüllenden Substanz armselig ab. Wie sind dabei nun die grossartigen Erfolge zu begreifen, die in einer (die Unterbrechungen eingerechnet) allerdings mehrtausendjährigen Geschichte gerade jene Wissenschaften thatsächlich errungen haben (und mit der Zeit nur immer reichlicher zu verwirklichen scheinen), welche sich die Erforschung der Gesetze der Dinge nach Zahl und Maass zur Aufgabe stellten? Die Antwort gibt das alte Gleichniss von dem Bündel Pfeile, welches allen Versuchen, dasselbe zu zerbrechen, als Ganzes wider- stand und sich erst Demjenigen ergab, der dasselbe auflöste, die Pfeile einzeln zu knicken: Die Schwierigkeiten, welche dem Fortschritt der Erkenntniss ent- gegenstehen, sind auch nur einzeln zu überkommen, und gerade in ihrer Einseitigkeit, in der durch sie verwirklichten Teilung der Arbeit liegt das Verdienst und die Kraft der erwähnten Disziplinen. In ebendiesem Sinne dürfen wir auch die unsrer Logik der Um- fangsverhältnisse zur Last gelegte Einseitigkeit als einen Vorzug der- selben in Anspruch nehmen. Indem die ältere Logik solche Einseitig- keit verschmähte, ist sie in den jahrtausenden verhältnissmässig stehen geblieben, das Sprichwort illustrirend: qui trop embrasse, mal étreint. *) *) lichen Umfangsverhältnisse, den wir in § 15 citiren. Das Wort „unfruchtbar“ fällt an andrer Stelle.

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/123>, abgerufen am 26.11.2024.