Versuchen wir -- es ist hohe Zeit -- es jetzt einmal ernstlich mit solcher Einseitigkeit und gehen über den Vorwurf der Dürftigkeit, die ja allerdings in gewissem Sinne mit solcher naturnotwendig verknüpft ist, sich aber durch intensivere Entwickelung in ihrem eigenen Be- reiche, durch grossen, ja ungeahnten, Reichtum der Entfaltung in andrer Hinsicht ausgleicht, zur Tagesordnung über.
Nicht übergehen dürfen wir jedoch diese Frage:
War es denn aber auch wahr, dass die Zahlenverhältnisse der Dinge gar "nicht so schwierig zu ermitteln seien, um sich ihrer (im Bedarfsfalle) nicht nebenher augenblicklich zu bemächtigen?" Sind nicht vielmehr in der That Generationen scharfsinniger Forscher in uner- müdlicher Arbeit fort und fort in Anspruch genommen, nur um dieser Zahlenverhältnisse sich immer mehr zu bemächtigen?
Und was zeigt sich nun auch in Bezug auf die Begriffsumfänge beim Vordringen auf unserm "einseitigen" Pfade?
Es zeigt sich, dass schon diese "dürftigen" Umfangsverhältnisse durchaus nicht so einfach zu übersehen sind, wie man anfangs sich einbilden mochte, ferner dass selbst bedeutende Philosophen in Fehler darin verfallen sind, und dass sich schwierige Probleme zur Lösung darbieten. Wer letzteres mit Aussicht auf Erfolg bestreiten wollte, der müsste wol erst einmal die in diesem Buch als noch ungelöst signalisirten Probleme lösen!
Ganz Zutreffendes über die vorliegende Frage sagt F. A. Lange auf p. 18 seiner citirten Schrift1, wo er Ueberweg's Stellungnahme gegen die schematisirende formale Logik geisselt. Der sehr beachtenswerte Passus lautet:
"Wie nahe übrigens Ueberweg in Folge seines ungemeinen Scharf- sinns, seinem eigenen erkenntnisstheoretischen Vorurteil zum Trotz, an die richtige Auffassung der logischen Technik streifte, zeigt eine zum § 84 (S. 234) gehörige Anmerkung, welche speziell gegen die geringschätzige Art gerichtet ist, in der Hoppe (logik, Paderborn 1868) von dem "Denken nach dem Schema" redet im Gegensatz zu einem angeblichen Denken nach dem Begriff. Hier sagt Ueberweg wörtlich: "Mit gleichem Recht könnte man die mathematisch-mechanische Betrachtung als einseitig und willkür- lich schelten, wenn sie untersucht, was aus gewissen einfachen Voraus- setzungen folgt und dabei von andern Datis absieht, von denen jene in der Wirklichkeit nicht abgesondert vorzukommen pflegen, wenn sie z. B. die Bahn und die Stelle des Falls eines irgendwie geworfenen Körpers nur auf Grund der Gravitation und der Beharrung berechnet, ohne den Miteinfluss des Luftwiderstandes zu erwägen, sodass anscheinend die konkrete An- schauung das Resultat genauer zu bestimmen und über die Rechnung zu triumphiren vermag; wollte aber die mathematische Mechanik jenes ab- straktive Verfahren nicht üben, so würde sie die Bewegungsgesetze über-
Einleitung.
Versuchen wir — es ist hohe Zeit — es jetzt einmal ernstlich mit solcher Einseitigkeit und gehen über den Vorwurf der Dürftigkeit, die ja allerdings in gewissem Sinne mit solcher naturnotwendig verknüpft ist, sich aber durch intensivere Entwickelung in ihrem eigenen Be- reiche, durch grossen, ja ungeahnten, Reichtum der Entfaltung in andrer Hinsicht ausgleicht, zur Tagesordnung über.
Nicht übergehen dürfen wir jedoch diese Frage:
War es denn aber auch wahr, dass die Zahlenverhältnisse der Dinge gar „nicht so schwierig zu ermitteln seien, um sich ihrer (im Bedarfsfalle) nicht nebenher augenblicklich zu bemächtigen?“ Sind nicht vielmehr in der That Generationen scharfsinniger Forscher in uner- müdlicher Arbeit fort und fort in Anspruch genommen, nur um dieser Zahlenverhältnisse sich immer mehr zu bemächtigen?
Und was zeigt sich nun auch in Bezug auf die Begriffsumfänge beim Vordringen auf unserm „einseitigen“ Pfade?
Es zeigt sich, dass schon diese „dürftigen“ Umfangsverhältnisse durchaus nicht so einfach zu übersehen sind, wie man anfangs sich einbilden mochte, ferner dass selbst bedeutende Philosophen in Fehler darin verfallen sind, und dass sich schwierige Probleme zur Lösung darbieten. Wer letzteres mit Aussicht auf Erfolg bestreiten wollte, der müsste wol erst einmal die in diesem Buch als noch ungelöst signalisirten Probleme lösen!
Ganz Zutreffendes über die vorliegende Frage sagt F. A. Lange auf p. 18 seiner citirten Schrift1, wo er Ueberweg's Stellungnahme gegen die schematisirende formale Logik geisselt. Der sehr beachtenswerte Passus lautet:
„Wie nahe übrigens Ueberweg in Folge seines ungemeinen Scharf- sinns, seinem eigenen erkenntnisstheoretischen Vorurteil zum Trotz, an die richtige Auffassung der logischen Technik streifte, zeigt eine zum § 84 (S. 234) gehörige Anmerkung, welche speziell gegen die geringschätzige Art gerichtet ist, in der Hoppe (logik, Paderborn 1868) von dem »Denken nach dem Schema« redet im Gegensatz zu einem angeblichen Denken nach dem Begriff. Hier sagt Ueberweg wörtlich: »Mit gleichem Recht könnte man die mathematisch-mechanische Betrachtung als einseitig und willkür- lich schelten, wenn sie untersucht, was aus gewissen einfachen Voraus- setzungen folgt und dabei von andern Datis absieht, von denen jene in der Wirklichkeit nicht abgesondert vorzukommen pflegen, wenn sie z. B. die Bahn und die Stelle des Falls eines irgendwie geworfenen Körpers nur auf Grund der Gravitation und der Beharrung berechnet, ohne den Miteinfluss des Luftwiderstandes zu erwägen, sodass anscheinend die konkrete An- schauung das Resultat genauer zu bestimmen und über die Rechnung zu triumphiren vermag; wollte aber die mathematische Mechanik jenes ab- straktive Verfahren nicht üben, so würde sie die Bewegungsgesetze über-
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Einleitung.
Versuchen wir — es ist hohe Zeit — es jetzt einmal ernstlich mit
solcher Einseitigkeit und gehen über den Vorwurf der Dürftigkeit, die
ja allerdings in gewissem Sinne mit solcher naturnotwendig verknüpft
ist, sich aber durch intensivere Entwickelung in ihrem eigenen Be-
reiche, durch grossen, ja ungeahnten, Reichtum der Entfaltung in
andrer Hinsicht ausgleicht, zur Tagesordnung über.
Nicht übergehen dürfen wir jedoch diese Frage:
War es denn aber auch wahr, dass die Zahlenverhältnisse der
Dinge gar „nicht so schwierig zu ermitteln seien, um sich ihrer (im
Bedarfsfalle) nicht nebenher augenblicklich zu bemächtigen?“ Sind nicht
vielmehr in der That Generationen scharfsinniger Forscher in uner-
müdlicher Arbeit fort und fort in Anspruch genommen, nur um dieser
Zahlenverhältnisse sich immer mehr zu bemächtigen?
Und was zeigt sich nun auch in Bezug auf die Begriffsumfänge
beim Vordringen auf unserm „einseitigen“ Pfade?
Es zeigt sich, dass schon diese „dürftigen“ Umfangsverhältnisse
durchaus nicht so einfach zu übersehen sind, wie man anfangs sich
einbilden mochte, ferner dass selbst bedeutende Philosophen in Fehler
darin verfallen sind, und dass sich schwierige Probleme zur Lösung
darbieten. Wer letzteres mit Aussicht auf Erfolg bestreiten wollte,
der müsste wol erst einmal die in diesem Buch als noch ungelöst
signalisirten Probleme lösen!
Ganz Zutreffendes über die vorliegende Frage sagt F. A. Lange auf
p. 18 seiner citirten Schrift1, wo er Ueberweg's Stellungnahme gegen
die schematisirende formale Logik geisselt. Der sehr beachtenswerte
Passus lautet:
„Wie nahe übrigens Ueberweg in Folge seines ungemeinen Scharf-
sinns, seinem eigenen erkenntnisstheoretischen Vorurteil zum Trotz, an die
richtige Auffassung der logischen Technik streifte, zeigt eine zum § 84
(S. 234) gehörige Anmerkung, welche speziell gegen die geringschätzige
Art gerichtet ist, in der Hoppe (logik, Paderborn 1868) von dem »Denken
nach dem Schema« redet im Gegensatz zu einem angeblichen Denken nach
dem Begriff. Hier sagt Ueberweg wörtlich: »Mit gleichem Recht könnte
man die mathematisch-mechanische Betrachtung als einseitig und willkür-
lich schelten, wenn sie untersucht, was aus gewissen einfachen Voraus-
setzungen folgt und dabei von andern Datis absieht, von denen jene in der
Wirklichkeit nicht abgesondert vorzukommen pflegen, wenn sie z. B. die
Bahn und die Stelle des Falls eines irgendwie geworfenen Körpers nur auf
Grund der Gravitation und der Beharrung berechnet, ohne den Miteinfluss
des Luftwiderstandes zu erwägen, sodass anscheinend die konkrete An-
schauung das Resultat genauer zu bestimmen und über die Rechnung zu
triumphiren vermag; wollte aber die mathematische Mechanik jenes ab-
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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/124>, abgerufen am 26.11.2024.
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