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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Einleitung.
Wahrheit nur dann als berechtigt anerkennte, wenn dieselbe einen
unmittelbaren oder zum voraus schon erkennbaren Nutzen verspricht.

Wir wünschen, dass die Logik unter dem wissenschaftlichen Ge-
sichtspunkte betrachtet werde. Höher als jede Aussicht auf etwaigen
Nutzen der Disziplin steht uns ihr absoluter Wert als Selbstzweck --
"Wert" als im Gegensatz zur "Nützlichkeit" -- steht uns die Erfor-
schung der für richtiges Schliessen maassgebenden Denkgesetze um
ihrer selbst willen
. Und welches edlere Ziel könnte sich der Intellekt
auch setzen, als das: sich selbst zu erkennen! -- somit die altehrwürdige
Mahnung des Thales, das gnothi seauton des Weisen von Milet ver-
wirklichend.

Nebenbei halten wir ja solches Forschen nach der Wahrheit um
ihrer selbst willen auch für diejenige Taktik, die den Forderungen
eines vernünftigen, weil hinreichend weit ausschauenden Utilitarismus
am besten gerecht werden muss.

Die Geschichte der Wissenschaften zeigt es zur Genüge, wie erst
durch dieses freie Walten des Erkenntnisstriebes, durch das reine, von
allen Rücksichten des Eigennutzes, ja Nutzerfolges, losgelöste Streben
nach Wahrheit, d. i. die Bethätigung eben des wissenschaftlichen
Geistes, die allergrössten Entdeckungen ermöglicht wurden.

Wären z. B. nicht Jahrhunderte lang in diesem Geiste die Gesetze
jener rätselhaften Kraft erforscht worden, mit welcher geriebener Bern-
stein, Harz etc. leichte Körper wie Korkstückchen, Papierschnitzel anzieht,
wären sie nicht, wie gesagt, ohne jede Aussicht auf praktische Verwend-
barkeit um ihrer selbst willen studirt worden, so würde auch die Ent-
deckung des elektrischen Telegraphen unmöglich gewesen sein; als aber
jene so "unpraktisch" sich anlassenden Forschungen weit genug gediehen
waren, lag dieselbe auf einmal so nahe, dass Mehrere darauf verfielen, war
die Entdeckung -- unbeschadet des Verdienstes Derer, welche wirklich die
letzten Schritte vollführten -- schon fast von selbst da.

Eine von diesem Geist beseelte Forschung möchten wir als die
Hochpraxis bezeichnen gegenüber der nur auf greifbar praktischen
Nutzen ausgehenden Niederpraxis. Hier vor allem dürfte es am Platze
sein --, wie der volkstümliche Ausdruck fordert: "den grossen Glauben
zu haben und nicht die grosse Eselsmeinung.".

So trivial die obige Wahrheit in den Kreisen, die sich mit ernster
Forschung abgeben, im allgemeinen glücklicherweise ist, ist sie doch
gerade vonseiten Derer, welche die Logik zu kritisiren liebten, nicht
hinlänglich gewürdigt, oft ganz ausser Augen gesetzt worden.

Wir zweifeln nicht, dass jene allgemeine Erfahrungsthatsache,
welche als ein Gesetz aus der Geschichte der gesamten Wissenschaften
hervorleuchtet, sich einst auch bei der Logik bewahrheiten wird, wo-

Einleitung.
Wahrheit nur dann als berechtigt anerkennte, wenn dieselbe einen
unmittelbaren oder zum voraus schon erkennbaren Nutzen verspricht.

Wir wünschen, dass die Logik unter dem wissenschaftlichen Ge-
sichtspunkte betrachtet werde. Höher als jede Aussicht auf etwaigen
Nutzen der Disziplin steht uns ihr absoluter Wert als Selbstzweck —
„Wert“ als im Gegensatz zur „Nützlichkeit“ — steht uns die Erfor-
schung der für richtiges Schliessen maassgebenden Denkgesetze um
ihrer selbst willen
. Und welches edlere Ziel könnte sich der Intellekt
auch setzen, als das: sich selbst zu erkennen! — somit die altehrwürdige
Mahnung des Thales, das γνῶϑι σεαυτόν des Weisen von Milet ver-
wirklichend.

Nebenbei halten wir ja solches Forschen nach der Wahrheit um
ihrer selbst willen auch für diejenige Taktik, die den Forderungen
eines vernünftigen, weil hinreichend weit ausschauenden Utilitarismus
am besten gerecht werden muss.

Die Geschichte der Wissenschaften zeigt es zur Genüge, wie erst
durch dieses freie Walten des Erkenntnisstriebes, durch das reine, von
allen Rücksichten des Eigennutzes, ja Nutzerfolges, losgelöste Streben
nach Wahrheit, d. i. die Bethätigung eben des wissenschaftlichen
Geistes, die allergrössten Entdeckungen ermöglicht wurden.

Wären z. B. nicht Jahrhunderte lang in diesem Geiste die Gesetze
jener rätselhaften Kraft erforscht worden, mit welcher geriebener Bern-
stein, Harz etc. leichte Körper wie Korkstückchen, Papierschnitzel anzieht,
wären sie nicht, wie gesagt, ohne jede Aussicht auf praktische Verwend-
barkeit um ihrer selbst willen studirt worden, so würde auch die Ent-
deckung des elektrischen Telegraphen unmöglich gewesen sein; als aber
jene so „unpraktisch“ sich anlassenden Forschungen weit genug gediehen
waren, lag dieselbe auf einmal so nahe, dass Mehrere darauf verfielen, war
die Entdeckung — unbeschadet des Verdienstes Derer, welche wirklich die
letzten Schritte vollführten — schon fast von selbst da.

Eine von diesem Geist beseelte Forschung möchten wir als die
Hochpraxis bezeichnen gegenüber der nur auf greifbar praktischen
Nutzen ausgehenden Niederpraxis. Hier vor allem dürfte es am Platze
sein —, wie der volkstümliche Ausdruck fordert: „den grossen Glauben
zu haben und nicht die grosse Eselsmeinung.“.

So trivial die obige Wahrheit in den Kreisen, die sich mit ernster
Forschung abgeben, im allgemeinen glücklicherweise ist, ist sie doch
gerade vonseiten Derer, welche die Logik zu kritisiren liebten, nicht
hinlänglich gewürdigt, oft ganz ausser Augen gesetzt worden.

Wir zweifeln nicht, dass jene allgemeine Erfahrungsthatsache,
welche als ein Gesetz aus der Geschichte der gesamten Wissenschaften
hervorleuchtet, sich einst auch bei der Logik bewahrheiten wird, wo-

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[124/0144] Einleitung. Wahrheit nur dann als berechtigt anerkennte, wenn dieselbe einen unmittelbaren oder zum voraus schon erkennbaren Nutzen verspricht. Wir wünschen, dass die Logik unter dem wissenschaftlichen Ge- sichtspunkte betrachtet werde. Höher als jede Aussicht auf etwaigen Nutzen der Disziplin steht uns ihr absoluter Wert als Selbstzweck — „Wert“ als im Gegensatz zur „Nützlichkeit“ — steht uns die Erfor- schung der für richtiges Schliessen maassgebenden Denkgesetze um ihrer selbst willen. Und welches edlere Ziel könnte sich der Intellekt auch setzen, als das: sich selbst zu erkennen! — somit die altehrwürdige Mahnung des Thales, das γνῶϑι σεαυτόν des Weisen von Milet ver- wirklichend. Nebenbei halten wir ja solches Forschen nach der Wahrheit um ihrer selbst willen auch für diejenige Taktik, die den Forderungen eines vernünftigen, weil hinreichend weit ausschauenden Utilitarismus am besten gerecht werden muss. Die Geschichte der Wissenschaften zeigt es zur Genüge, wie erst durch dieses freie Walten des Erkenntnisstriebes, durch das reine, von allen Rücksichten des Eigennutzes, ja Nutzerfolges, losgelöste Streben nach Wahrheit, d. i. die Bethätigung eben des wissenschaftlichen Geistes, die allergrössten Entdeckungen ermöglicht wurden. Wären z. B. nicht Jahrhunderte lang in diesem Geiste die Gesetze jener rätselhaften Kraft erforscht worden, mit welcher geriebener Bern- stein, Harz etc. leichte Körper wie Korkstückchen, Papierschnitzel anzieht, wären sie nicht, wie gesagt, ohne jede Aussicht auf praktische Verwend- barkeit um ihrer selbst willen studirt worden, so würde auch die Ent- deckung des elektrischen Telegraphen unmöglich gewesen sein; als aber jene so „unpraktisch“ sich anlassenden Forschungen weit genug gediehen waren, lag dieselbe auf einmal so nahe, dass Mehrere darauf verfielen, war die Entdeckung — unbeschadet des Verdienstes Derer, welche wirklich die letzten Schritte vollführten — schon fast von selbst da. Eine von diesem Geist beseelte Forschung möchten wir als die Hochpraxis bezeichnen gegenüber der nur auf greifbar praktischen Nutzen ausgehenden Niederpraxis. Hier vor allem dürfte es am Platze sein —, wie der volkstümliche Ausdruck fordert: „den grossen Glauben zu haben und nicht die grosse Eselsmeinung.“. So trivial die obige Wahrheit in den Kreisen, die sich mit ernster Forschung abgeben, im allgemeinen glücklicherweise ist, ist sie doch gerade vonseiten Derer, welche die Logik zu kritisiren liebten, nicht hinlänglich gewürdigt, oft ganz ausser Augen gesetzt worden. Wir zweifeln nicht, dass jene allgemeine Erfahrungsthatsache, welche als ein Gesetz aus der Geschichte der gesamten Wissenschaften hervorleuchtet, sich einst auch bei der Logik bewahrheiten wird, wo-

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/144>, abgerufen am 25.11.2024.