Hauptmittel des Gedankenausdrucks und eine Hauptform des Ge- dankenvollzuges ist, wie schon gesagt, die Sprache.
Untersuchungen über die Gesetze des Denkens werden wir des- halb naturgemäss damit beginnen, dass wir deren einfachste Bildungen in's Auge fassen. Rein äusserlich betrachtet wären dies allerdings Buchstaben, Silben und Worte -- die Ergebnisse eines an den sprach- lichen Gebilden vorgenommenen und möglichst weit getriebenen Zer- gliederungsprozesses. In wesentlicher Hinsicht sind es Sätze, welche Aussagen, Urteile, Behauptungen darstellen.
Alles*) auf das Erkennen gerichtete Denken vollendet sich näm- lich in Urteilen, die als Sätze innerlich gedacht oder äusserlich aus- gesprochen, in Worte gefasst werden. In Urteilen endigt jede prak- tische Überlegung über Zwecke und Mittel, gipfelt jede Übereinkunft, um sie dreht sich jeder Streit. In die Form von Urteilen kleidet sich der Irrtum, in ihnen auch wird die Erkenntniss der Wahrheit nieder- gelegt; in Urteilen schliesst sich jede Überzeugung ab. Und nur in- sofern sich eine individuelle Überzeugung im Satze ausspricht, kann sie Gegenstand gemeinsamer Betrachtung werden und auf die Aner- kennung vonseiten Aller Anspruch erhebeu. Alle andern sprachlichen Gebilde kommen nur in Betracht als Bestandteile oder Elemente des Satzes, alle andern Geistesthätigkeiten nur als Bedingungen oder Vor- bereitungen, als Begleiterscheinungen und Wirkungen des Urteils.
Beginnen wir sonach damit, die Urteile in's Auge zu fassen, wie sie die Wortsprache als Sätze formulirt! Es muss sich uns hierbei empfehlen, unter Beiseitelassung der zusammengesetzteren, zunächst uns an die einfachsten Arten der Urteile zu halten. Als solche er- scheinen die sogenannten "kategorischen" Urteile, welche sich dar- stellen in Form eines Satzes, der mit einem "Subjekt" ein "Prädikat" verknüpft.
Wie aus der Grammatik bekannt, ist das Subjekt Dasjenige, wor-
*) Vergl. Sigwart1 p. 9 sq.
Erste Vorlesung.
§ 1. Subsumtion.
Hauptmittel des Gedankenausdrucks und eine Hauptform des Ge- dankenvollzuges ist, wie schon gesagt, die Sprache.
Untersuchungen über die Gesetze des Denkens werden wir des- halb naturgemäss damit beginnen, dass wir deren einfachste Bildungen in's Auge fassen. Rein äusserlich betrachtet wären dies allerdings Buchstaben, Silben und Worte — die Ergebnisse eines an den sprach- lichen Gebilden vorgenommenen und möglichst weit getriebenen Zer- gliederungsprozesses. In wesentlicher Hinsicht sind es Sätze, welche Aussagen, Urteile, Behauptungen darstellen.
Alles*) auf das Erkennen gerichtete Denken vollendet sich näm- lich in Urteilen, die als Sätze innerlich gedacht oder äusserlich aus- gesprochen, in Worte gefasst werden. In Urteilen endigt jede prak- tische Überlegung über Zwecke und Mittel, gipfelt jede Übereinkunft, um sie dreht sich jeder Streit. In die Form von Urteilen kleidet sich der Irrtum, in ihnen auch wird die Erkenntniss der Wahrheit nieder- gelegt; in Urteilen schliesst sich jede Überzeugung ab. Und nur in- sofern sich eine individuelle Überzeugung im Satze ausspricht, kann sie Gegenstand gemeinsamer Betrachtung werden und auf die Aner- kennung vonseiten Aller Anspruch erhebeu. Alle andern sprachlichen Gebilde kommen nur in Betracht als Bestandteile oder Elemente des Satzes, alle andern Geistesthätigkeiten nur als Bedingungen oder Vor- bereitungen, als Begleiterscheinungen und Wirkungen des Urteils.
Beginnen wir sonach damit, die Urteile in's Auge zu fassen, wie sie die Wortsprache als Sätze formulirt! Es muss sich uns hierbei empfehlen, unter Beiseitelassung der zusammengesetzteren, zunächst uns an die einfachsten Arten der Urteile zu halten. Als solche er- scheinen die sogenannten „kategorischen“ Urteile, welche sich dar- stellen in Form eines Satzes, der mit einem „Subjekt“ ein „Prädikat“ verknüpft.
Wie aus der Grammatik bekannt, ist das Subjekt Dasjenige, wor-
*) Vergl. Sigwart1 p. 9 sq.
<TEI><text><body><pbfacs="#f0146"n="[126]"/><divn="1"><head><hirendition="#g">Erste Vorlesung</hi>.</head><lb/><divn="2"><head>§ 1. <hirendition="#b">Subsumtion</hi>.</head><lb/><p>Hauptmittel des Gedanken<hirendition="#i">ausdrucks</hi> und eine Hauptform des Ge-<lb/>
danken<hirendition="#i">vollzuges</hi> ist, wie schon gesagt, die <hirendition="#i">Sprache</hi>.</p><lb/><p>Untersuchungen über die Gesetze des Denkens werden wir des-<lb/>
halb naturgemäss damit beginnen, dass wir <hirendition="#i">deren</hi> einfachste Bildungen<lb/>
in's Auge fassen. Rein äusserlich betrachtet wären dies allerdings<lb/>
Buchstaben, Silben und Worte — die Ergebnisse eines an den sprach-<lb/>
lichen Gebilden vorgenommenen und möglichst weit getriebenen Zer-<lb/>
gliederungsprozesses. In wesentlicher Hinsicht sind es <hirendition="#i">Sätze</hi>, welche<lb/><hirendition="#i">Aussagen</hi>, <hirendition="#i">Urteile</hi>, <hirendition="#i">Behauptungen</hi> darstellen.</p><lb/><p>Alles<noteplace="foot"n="*)">Vergl. <hirendition="#g">Sigwart</hi><hirendition="#sup">1</hi> p. 9 sq.</note> auf das Erkennen gerichtete Denken vollendet sich näm-<lb/>
lich in <hirendition="#i">Urteilen</hi>, die als Sätze innerlich gedacht oder äusserlich aus-<lb/>
gesprochen, in Worte gefasst werden. In Urteilen endigt jede prak-<lb/>
tische Überlegung über Zwecke und Mittel, gipfelt jede Übereinkunft,<lb/>
um sie dreht sich jeder Streit. In die Form von Urteilen kleidet sich<lb/>
der Irrtum, in ihnen auch wird die Erkenntniss der Wahrheit nieder-<lb/>
gelegt; in Urteilen schliesst sich jede Überzeugung ab. Und nur in-<lb/>
sofern sich eine individuelle Überzeugung im Satze ausspricht, kann<lb/>
sie Gegenstand gemeinsamer Betrachtung werden und auf die Aner-<lb/>
kennung vonseiten Aller Anspruch erhebeu. Alle andern sprachlichen<lb/>
Gebilde kommen nur in Betracht als Bestandteile oder Elemente des<lb/>
Satzes, alle andern Geistesthätigkeiten nur als Bedingungen oder Vor-<lb/>
bereitungen, als Begleiterscheinungen und Wirkungen des Urteils.</p><lb/><p>Beginnen wir sonach damit, die <hirendition="#i">Urteile</hi> in's Auge zu fassen, wie<lb/>
sie die Wortsprache als Sätze formulirt! Es muss sich uns hierbei<lb/>
empfehlen, unter Beiseitelassung der zusammengesetzteren, zunächst<lb/>
uns an die einfachsten Arten der Urteile zu halten. Als solche er-<lb/>
scheinen die sogenannten „<hirendition="#i">kategorischen</hi>“ Urteile, welche sich dar-<lb/>
stellen in Form <hirendition="#i">eines</hi> Satzes, der mit einem „<hirendition="#i">Subjekt</hi>“ ein „<hirendition="#i">Prädikat</hi>“<lb/>
verknüpft.</p><lb/><p>Wie aus der Grammatik bekannt, ist das Subjekt Dasjenige, wor-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[[126]/0146]
Erste Vorlesung.
§ 1. Subsumtion.
Hauptmittel des Gedankenausdrucks und eine Hauptform des Ge-
dankenvollzuges ist, wie schon gesagt, die Sprache.
Untersuchungen über die Gesetze des Denkens werden wir des-
halb naturgemäss damit beginnen, dass wir deren einfachste Bildungen
in's Auge fassen. Rein äusserlich betrachtet wären dies allerdings
Buchstaben, Silben und Worte — die Ergebnisse eines an den sprach-
lichen Gebilden vorgenommenen und möglichst weit getriebenen Zer-
gliederungsprozesses. In wesentlicher Hinsicht sind es Sätze, welche
Aussagen, Urteile, Behauptungen darstellen.
Alles *) auf das Erkennen gerichtete Denken vollendet sich näm-
lich in Urteilen, die als Sätze innerlich gedacht oder äusserlich aus-
gesprochen, in Worte gefasst werden. In Urteilen endigt jede prak-
tische Überlegung über Zwecke und Mittel, gipfelt jede Übereinkunft,
um sie dreht sich jeder Streit. In die Form von Urteilen kleidet sich
der Irrtum, in ihnen auch wird die Erkenntniss der Wahrheit nieder-
gelegt; in Urteilen schliesst sich jede Überzeugung ab. Und nur in-
sofern sich eine individuelle Überzeugung im Satze ausspricht, kann
sie Gegenstand gemeinsamer Betrachtung werden und auf die Aner-
kennung vonseiten Aller Anspruch erhebeu. Alle andern sprachlichen
Gebilde kommen nur in Betracht als Bestandteile oder Elemente des
Satzes, alle andern Geistesthätigkeiten nur als Bedingungen oder Vor-
bereitungen, als Begleiterscheinungen und Wirkungen des Urteils.
Beginnen wir sonach damit, die Urteile in's Auge zu fassen, wie
sie die Wortsprache als Sätze formulirt! Es muss sich uns hierbei
empfehlen, unter Beiseitelassung der zusammengesetzteren, zunächst
uns an die einfachsten Arten der Urteile zu halten. Als solche er-
scheinen die sogenannten „kategorischen“ Urteile, welche sich dar-
stellen in Form eines Satzes, der mit einem „Subjekt“ ein „Prädikat“
verknüpft.
Wie aus der Grammatik bekannt, ist das Subjekt Dasjenige, wor-
*) Vergl. Sigwart1 p. 9 sq.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. [126]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/146>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.