Wird etwa gemeldet: "Alle Versuche seien fehlgeschlagen", so wäre in der Auffassung des Publikums damit implicite auch gesagt, dass wirklich Versuche gemacht worden. Und wenn jemand, der nieman- den beraubte, etwa von sich sagen wollte: "alle von ihm Beraubten seien wohlhabend gewesen", der würde sich einer argen Selbstverleum- dung schuldig machen. Etc. Vergl. hiezu noch weiter unten ph).
Immerhin beruht auf diesem Umstand eine Art von Witz, eventuell bewusster Täuschung oder Lüge, welche vor dem logischen Gewissen noch am ehesten zu entschuldigen (auch vor dem mathematischen, sofern eben in der Mathematik eine Anzahl, die der a, auch gleich 0 gedacht wer- den darf).
Wer sich im Alltags-Leben die Subsumtion 0 a zur Verhal- tungsregel wählen wollte, würde sicherlich bald der Wortklauberei, Sophistik, Spitzfindigkeit geziehen werden, und dieser wollen wir hier nicht das Wort reden.
Aber "Eines schickt sich nicht für Alle". In der Wissenschaft ziemt es sich, schärfer zu unterscheiden, stillschweigende Voraus- setzungen jeweils zu ausdrücklichen zu erheben, dann aber, was gar nicht gesagt worden, auch nicht als behauptet hinzustellen.
Auch die gewöhnliche Verkehrssprache kann den Begriff des "nichts" oft nicht entbehren; sie zieht ihn zeitweilig allerdings heran, ohne jedoch auf sein Mitunterlaufen immer und überall gefasst zu sein. Sie verhält sich in dieser Beziehung der identischen Null gegenüber ungefähr so, wie die arithmetische Analysis sich verhält gegenüber der "absoluten Unend- lich", welche hier ebenfalls zeitweilig herangezogen wird, um den Mangel eines Zahlenwertes äusserlich zu verdecken, den Ausfall einer Zahl zu maskiren, welche m. a. W. hier wesentlich die Rolle eines Lückenbüssers ("stopgap") spielt, und dennoch nie als eine wirkliche Zahl angesehen und behandelt werden darf, dem Zahlengebiete schon darum nicht einverleibt werden kann, weil sie die Regeln der Arithmetik über den Haufen wer- fen würde.
Im identischen Kalkul dagegen wird die identische Null in ähnlicher Weise überall zugelassen erscheinen, wie in der Mathematik bei allgemeinen Untersuchungen im Zahlengebiete die arithmetische Null von vornherein mitbegriffen zu werden pflegt.
Dieser Umstand begründet einen Hauptunterschied zwischen der Sprache der Logik und der des gemeinen Lebens.
t) Es hat die Zuziehung der Null auch noch die weitere Folge, dass wir die sog. "Existenzialurteile", Sätze wie "Es gibt a's" nicht mehr (wie in § 2 noch provisorisch geschah) vermittelst einer Sub- sumtion darzustellen in der Lage sein werden. Man kann freilich eine Klasse bilden: r, die Klasse des Realen, die alles umfassen soll, was in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (oder, wenn man will, auch
Vierte Vorlesung.
Wird etwa gemeldet: „Alle Versuche seien fehlgeschlagen“, so wäre in der Auffassung des Publikums damit implicite auch gesagt, dass wirklich Versuche gemacht worden. Und wenn jemand, der nieman- den beraubte, etwa von sich sagen wollte: „alle von ihm Beraubten seien wohlhabend gewesen“, der würde sich einer argen Selbstverleum- dung schuldig machen. Etc. Vergl. hiezu noch weiter unten φ).
Immerhin beruht auf diesem Umstand eine Art von Witz, eventuell bewusster Täuschung oder Lüge, welche vor dem logischen Gewissen noch am ehesten zu entschuldigen (auch vor dem mathematischen, sofern eben in der Mathematik eine Anzahl, die der a, auch gleich 0 gedacht wer- den darf).
Wer sich im Alltags-Leben die Subsumtion 0 ⋹ a zur Verhal- tungsregel wählen wollte, würde sicherlich bald der Wortklauberei, Sophistik, Spitzfindigkeit geziehen werden, und dieser wollen wir hier nicht das Wort reden.
Aber „Eines schickt sich nicht für Alle“. In der Wissenschaft ziemt es sich, schärfer zu unterscheiden, stillschweigende Voraus- setzungen jeweils zu ausdrücklichen zu erheben, dann aber, was gar nicht gesagt worden, auch nicht als behauptet hinzustellen.
Auch die gewöhnliche Verkehrssprache kann den Begriff des „nichts“ oft nicht entbehren; sie zieht ihn zeitweilig allerdings heran, ohne jedoch auf sein Mitunterlaufen immer und überall gefasst zu sein. Sie verhält sich in dieser Beziehung der identischen Null gegenüber ungefähr so, wie die arithmetische Analysis sich verhält gegenüber der „absoluten Unend- lich“, welche hier ebenfalls zeitweilig herangezogen wird, um den Mangel eines Zahlenwertes äusserlich zu verdecken, den Ausfall einer Zahl zu maskiren, welche m. a. W. hier wesentlich die Rolle eines Lückenbüssers („stopgap“) spielt, und dennoch nie als eine wirkliche Zahl angesehen und behandelt werden darf, dem Zahlengebiete schon darum nicht einverleibt werden kann, weil sie die Regeln der Arithmetik über den Haufen wer- fen würde.
Im identischen Kalkul dagegen wird die identische Null in ähnlicher Weise überall zugelassen erscheinen, wie in der Mathematik bei allgemeinen Untersuchungen im Zahlengebiete die arithmetische Null von vornherein mitbegriffen zu werden pflegt.
Dieser Umstand begründet einen Hauptunterschied zwischen der Sprache der Logik und der des gemeinen Lebens.
τ) Es hat die Zuziehung der Null auch noch die weitere Folge, dass wir die sog. „Existenzialurteile“, Sätze wie „Es gibt a's“ nicht mehr (wie in § 2 noch provisorisch geschah) vermittelst einer Sub- sumtion darzustellen in der Lage sein werden. Man kann freilich eine Klasse bilden: r, die Klasse des Realen, die alles umfassen soll, was in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (oder, wenn man will, auch
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Vierte Vorlesung.
Wird etwa gemeldet: „Alle Versuche seien fehlgeschlagen“, so wäre
in der Auffassung des Publikums damit implicite auch gesagt, dass
wirklich Versuche gemacht worden. Und wenn jemand, der nieman-
den beraubte, etwa von sich sagen wollte: „alle von ihm Beraubten
seien wohlhabend gewesen“, der würde sich einer argen Selbstverleum-
dung schuldig machen. Etc. Vergl. hiezu noch weiter unten φ).
Immerhin beruht auf diesem Umstand eine Art von Witz, eventuell
bewusster Täuschung oder Lüge, welche vor dem logischen Gewissen noch
am ehesten zu entschuldigen (auch vor dem mathematischen, sofern eben
in der Mathematik eine Anzahl, die der a, auch gleich 0 gedacht wer-
den darf).
Wer sich im Alltags-Leben die Subsumtion 0 ⋹ a zur Verhal-
tungsregel wählen wollte, würde sicherlich bald der Wortklauberei,
Sophistik, Spitzfindigkeit geziehen werden, und dieser wollen wir hier
nicht das Wort reden.
Aber „Eines schickt sich nicht für Alle“. In der Wissenschaft
ziemt es sich, schärfer zu unterscheiden, stillschweigende Voraus-
setzungen jeweils zu ausdrücklichen zu erheben, dann aber, was gar
nicht gesagt worden, auch nicht als behauptet hinzustellen.
Auch die gewöhnliche Verkehrssprache kann den Begriff des „nichts“
oft nicht entbehren; sie zieht ihn zeitweilig allerdings heran, ohne jedoch
auf sein Mitunterlaufen immer und überall gefasst zu sein. Sie verhält
sich in dieser Beziehung der identischen Null gegenüber ungefähr so, wie
die arithmetische Analysis sich verhält gegenüber der „absoluten Unend-
lich“, welche hier ebenfalls zeitweilig herangezogen wird, um den Mangel
eines Zahlenwertes äusserlich zu verdecken, den Ausfall einer Zahl zu
maskiren, welche m. a. W. hier wesentlich die Rolle eines Lückenbüssers
(„stopgap“) spielt, und dennoch nie als eine wirkliche Zahl angesehen und
behandelt werden darf, dem Zahlengebiete schon darum nicht einverleibt
werden kann, weil sie die Regeln der Arithmetik über den Haufen wer-
fen würde.
Im identischen Kalkul dagegen wird die identische Null in ähnlicher
Weise überall zugelassen erscheinen, wie in der Mathematik bei allgemeinen
Untersuchungen im Zahlengebiete die arithmetische Null von vornherein
mitbegriffen zu werden pflegt.
Dieser Umstand begründet einen Hauptunterschied zwischen der Sprache
der Logik und der des gemeinen Lebens.
τ) Es hat die Zuziehung der Null auch noch die weitere Folge,
dass wir die sog. „Existenzialurteile“, Sätze wie „Es gibt a's“ nicht
mehr (wie in § 2 noch provisorisch geschah) vermittelst einer Sub-
sumtion darzustellen in der Lage sein werden. Man kann freilich eine
Klasse bilden: r, die Klasse des Realen, die alles umfassen soll, was
in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft (oder, wenn man will, auch
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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/260>, abgerufen am 22.11.2024.
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