nicht mit "Nichts ist Alles" in die Wortsprache übertragen werden darf, und zwar aus doppeltem Grunde. Desgleichen darf sie nicht mit "Nichts ist etwas" wiedergegeben werden (aus einfachem Grunde), weil hier wenigstens noch das Subjekt "nichts" -- wie vorhin noch obendrein das Prädikat "alles" -- bewirkt, dass der Kopula "ist" die assertorische Kraft des Gleichheitszeichens nach dem Sprachgebrauch zukommt, statt derjenigen der Einordnung.
Will man jene Subsumtion durchaus in Worte fassen, so sage man etwa: "Das Nichts ist auch in der Gesamtheit mitenthalten".
Wir glaubten mit den Betrachtungen unter r), u) und ph) so ein- gehend bei einer verhältnissmässigen Kleinigkeit, anscheinenden Baga- telle verweilen zu sollen, weil in Bezug auf sie und ihre Auffassung ein schroffer Gegensatz der Meinungen unter den Anhängern verschie- dener philosophischer Systeme zutage getreten ist und noch immerfort gestritten wird.
Von Herbart, dem auch Sigwart beitritt, ist in Abrede gestellt, dass die Wortsprache die Existenz des Subjektes unterstelle, und wird von letzterem als Beleg das Urteil angeführt: "Der Pegasus ist geflügelt". Allerdings will mit diesem und in vielen ähnlichen Urteilen nicht aus- gesprochen sein, dass es in der Mannigfaltigkeit des Wirklichen überhaupt Individuen der Subjektklasse gebe, hier also: dass wirklich ein Pegasus existire. Dennoch aber wird mit dem Urteile ein Subjekt als wirklich vorhanden gesetzt.
Das logische Subjekt fällt nur hier nicht zusammen mit dem grammati- kalischen Subjekte. Wir haben den logischen Gehalt des als Beispiel her- vorgehobenen Urteils schon in § 2 dahin erläutert, dass dasselbe lediglich behaupte: die Vorstellung des Pegasus ist enthalten in der Klasse der Vor- stellungen von geflügelten Wesen, und jene Vorstellung ist eine wirkliche, hat eine historische Existenzberechtigung in einer gegebenen Mannigfaltig- keit von mythischen Wesen.
Wer diese Wirklichkeit leugnen, die Subjektklasse hier als eine leere hinstellen wollte, der müsste als einen vollberechtigten Ausspruch auch das Urteil zugeben: "Der Pegasus ist ungeflügelt" -- oder, sagen wir z. B. auch "grün" -- kurzum mit jedem beliebig gewählten Prädikate!
Auch der Umstand bildet nur eine Bestätigung unsrer Thatsache: dass der Glaube an die Existenz so mancher Subjekte oder auch Objekte -- sagen wir z. B. des leibhaftigen Teufels, eines tierisch-magnetischen Fluidums etc. -- eben dadurch erzeugt und gefestigt zu werden pflegt, dass von früh auf in der Umgebung des heranwachsenden Menschen vielfach über dieselben ausgesagt, prädizirt wird -- ein Verfahren, das als ein weitverbreiteter Missbrauch dem Aufmerksamen nicht entgehen kann.
Sehr Treffendes über die hier berührte noch nicht abgeschlossene Kon- troverse sagt auch Venn1 p. 126 sqq., welcher, die Frage wol am gründ- lichsten behandelnd, derselben ein eignes Kapitel widmet. -- Aussagen, Prä- dikationen über gar nicht existirende Subjekte spielen gerade in den Wissen-
Vierte Vorlesung.
nicht mit „Nichts ist Alles“ in die Wortsprache übertragen werden darf, und zwar aus doppeltem Grunde. Desgleichen darf sie nicht mit „Nichts ist etwas“ wiedergegeben werden (aus einfachem Grunde), weil hier wenigstens noch das Subjekt „nichts“ — wie vorhin noch obendrein das Prädikat „alles“ — bewirkt, dass der Kopula „ist“ die assertorische Kraft des Gleichheitszeichens nach dem Sprachgebrauch zukommt, statt derjenigen der Einordnung.
Will man jene Subsumtion durchaus in Worte fassen, so sage man etwa: „Das Nichts ist auch in der Gesamtheit mitenthalten“.
Wir glaubten mit den Betrachtungen unter ϱ), υ) und φ) so ein- gehend bei einer verhältnissmässigen Kleinigkeit, anscheinenden Baga- telle verweilen zu sollen, weil in Bezug auf sie und ihre Auffassung ein schroffer Gegensatz der Meinungen unter den Anhängern verschie- dener philosophischer Systeme zutage getreten ist und noch immerfort gestritten wird.
Von Herbart, dem auch Sigwart beitritt, ist in Abrede gestellt, dass die Wortsprache die Existenz des Subjektes unterstelle, und wird von letzterem als Beleg das Urteil angeführt: „Der Pegasus ist geflügelt“. Allerdings will mit diesem und in vielen ähnlichen Urteilen nicht aus- gesprochen sein, dass es in der Mannigfaltigkeit des Wirklichen überhaupt Individuen der Subjektklasse gebe, hier also: dass wirklich ein Pegasus existire. Dennoch aber wird mit dem Urteile ein Subjekt als wirklich vorhanden gesetzt.
Das logische Subjekt fällt nur hier nicht zusammen mit dem grammati- kalischen Subjekte. Wir haben den logischen Gehalt des als Beispiel her- vorgehobenen Urteils schon in § 2 dahin erläutert, dass dasselbe lediglich behaupte: die Vorstellung des Pegasus ist enthalten in der Klasse der Vor- stellungen von geflügelten Wesen, und jene Vorstellung ist eine wirkliche, hat eine historische Existenzberechtigung in einer gegebenen Mannigfaltig- keit von mythischen Wesen.
Wer diese Wirklichkeit leugnen, die Subjektklasse hier als eine leere hinstellen wollte, der müsste als einen vollberechtigten Ausspruch auch das Urteil zugeben: „Der Pegasus ist ungeflügelt“ — oder, sagen wir z. B. auch „grün“ — kurzum mit jedem beliebig gewählten Prädikate!
Auch der Umstand bildet nur eine Bestätigung unsrer Thatsache: dass der Glaube an die Existenz so mancher Subjekte oder auch Objekte — sagen wir z. B. des leibhaftigen Teufels, eines tierisch-magnetischen Fluidums etc. — eben dadurch erzeugt und gefestigt zu werden pflegt, dass von früh auf in der Umgebung des heranwachsenden Menschen vielfach über dieselben ausgesagt, prädizirt wird — ein Verfahren, das als ein weitverbreiteter Missbrauch dem Aufmerksamen nicht entgehen kann.
Sehr Treffendes über die hier berührte noch nicht abgeschlossene Kon- troverse sagt auch Venn1 p. 126 sqq., welcher, die Frage wol am gründ- lichsten behandelnd, derselben ein eignes Kapitel widmet. — Aussagen, Prä- dikationen über gar nicht existirende Subjekte spielen gerade in den Wissen-
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Vierte Vorlesung.
nicht mit „Nichts ist Alles“ in die Wortsprache übertragen werden
darf, und zwar aus doppeltem Grunde. Desgleichen darf sie nicht
mit „Nichts ist etwas“ wiedergegeben werden (aus einfachem Grunde),
weil hier wenigstens noch das Subjekt „nichts“ — wie vorhin noch
obendrein das Prädikat „alles“ — bewirkt, dass der Kopula „ist“ die
assertorische Kraft des Gleichheitszeichens nach dem Sprachgebrauch
zukommt, statt derjenigen der Einordnung.
Will man jene Subsumtion durchaus in Worte fassen, so sage
man etwa: „Das Nichts ist auch in der Gesamtheit mitenthalten“.
Wir glaubten mit den Betrachtungen unter ϱ), υ) und φ) so ein-
gehend bei einer verhältnissmässigen Kleinigkeit, anscheinenden Baga-
telle verweilen zu sollen, weil in Bezug auf sie und ihre Auffassung
ein schroffer Gegensatz der Meinungen unter den Anhängern verschie-
dener philosophischer Systeme zutage getreten ist und noch immerfort
gestritten wird.
Von Herbart, dem auch Sigwart beitritt, ist in Abrede gestellt,
dass die Wortsprache die Existenz des Subjektes unterstelle, und wird von
letzterem als Beleg das Urteil angeführt: „Der Pegasus ist geflügelt“.
Allerdings will mit diesem und in vielen ähnlichen Urteilen nicht aus-
gesprochen sein, dass es in der Mannigfaltigkeit des Wirklichen überhaupt
Individuen der Subjektklasse gebe, hier also: dass wirklich ein Pegasus
existire. Dennoch aber wird mit dem Urteile ein Subjekt als wirklich
vorhanden gesetzt.
Das logische Subjekt fällt nur hier nicht zusammen mit dem grammati-
kalischen Subjekte. Wir haben den logischen Gehalt des als Beispiel her-
vorgehobenen Urteils schon in § 2 dahin erläutert, dass dasselbe lediglich
behaupte: die Vorstellung des Pegasus ist enthalten in der Klasse der Vor-
stellungen von geflügelten Wesen, und jene Vorstellung ist eine wirkliche,
hat eine historische Existenzberechtigung in einer gegebenen Mannigfaltig-
keit von mythischen Wesen.
Wer diese Wirklichkeit leugnen, die Subjektklasse hier als eine leere
hinstellen wollte, der müsste als einen vollberechtigten Ausspruch auch
das Urteil zugeben: „Der Pegasus ist ungeflügelt“ — oder, sagen wir z. B.
auch „grün“ — kurzum mit jedem beliebig gewählten Prädikate!
Auch der Umstand bildet nur eine Bestätigung unsrer Thatsache:
dass der Glaube an die Existenz so mancher Subjekte oder auch Objekte
— sagen wir z. B. des leibhaftigen Teufels, eines tierisch-magnetischen
Fluidums etc. — eben dadurch erzeugt und gefestigt zu werden pflegt, dass
von früh auf in der Umgebung des heranwachsenden Menschen vielfach
über dieselben ausgesagt, prädizirt wird — ein Verfahren, das als ein
weitverbreiteter Missbrauch dem Aufmerksamen nicht entgehen kann.
Sehr Treffendes über die hier berührte noch nicht abgeschlossene Kon-
troverse sagt auch Venn1 p. 126 sqq., welcher, die Frage wol am gründ-
lichsten behandelnd, derselben ein eignes Kapitel widmet. — Aussagen, Prä-
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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/264>, abgerufen am 22.11.2024.
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