niemals herauszutreten, uns nie von dieser zu emanzipiren vermögen, so müssten wir solches für ganz hoffnungslos erklären, wenn uns nicht gelegentlich in Gestalt des intuitiven oder unmittelbaren "Einleuchtens" die Empfindung der Evidenz zuhülfe käme, wenn wir nicht an dem Bewusstsein der letzteren jenes erstere Denken erkennten.
Eine leidenschaftslose eingehende Prüfung der Form unsres Denkens durch unsern Verstand verschafft uns (mit subjektiver Denknotwendig- keit) die Überzeugung, lässt es uns als evident erkennen, dass es all- gemeine Gesetze für das im obigen Sinne "folgerichtige" Denken gibt, und wie sie beschaffen sein müssen.
Die Erfahrung dieses unmittelbaren Bewusstseins der Evidenz, welches einen Teil unsres Denkens begleitet, und der Glaube an seine Zuverlässigkeit -- und demzufolge auch Gemeinverbindlichkeit -- ist ein Postulat, über welches nicht zurückgegangen werden kann. Der Glaube an das Recht dieses Gefühls ist der letzte Ankergrund aller Gewissheit überhaupt. Wer dieses nicht anerkennt, für den gibt es keine Wissenschaft, sondern nur zufälliges Meinen (Sigwart1, p. 15).
k) In dem Streben nach unserm Ziele darf uns sonach die Über- zeugung trösten, dass unter bestimmt erkennbaren Umständen die objektive Denknotwendigkeit, auf die wir fahnden, allemal auch zur subjektiven wird. Namentlich fallen beide Denknotwendigkeiten auch immer dann zusammen, wenn es sich um die Vereinigung von unmittel- baren Widersprüchen handelt.
Sehr treffend sagt in dieser Beziehung F. A. Lange1 p. 27 und 28:
"Der Satz des Widerspruchs ist der Punkt, in welchem sich die Naturgesetze des Denkens mit den Normalgesetzen berühren. Jene psychologischen Bedingungen unsrer Vorstellungsbildung, welche durch ihre unabänderliche Thätigkeit im natürlichen, von keiner Regel ge- leiteten Denken sowol Wahrheit als Irrtum in ewig sprudelnder Fülle hervorbringen, werden ergänzt, beschränkt und in ihrer Wirkung zu einem bestimmten Ziele geleitet durch die Thatsache, dass wir Ent- gegengesetztes in unserm Denken nicht vereinigen können, sobald es gleichsam zur Deckung gebracht wird. Der menschliche Geist nimmt die grössten Widersprüche in sich auf, solange er das Entgegengesetzte in verschiedene Gedankenkreise einhegen und so auseinanderhalten kann; allein wenn dieselbe Aussage sich unmittelbar mit ihrem Gegen- teil auf denselben Gegenstand bezieht, so hört diese Fähigkeit der Vereinigung auf; es entsteht völlige Unsicherheit, oder eine der beiden Behauptungen muss weichen. Psychologisch kann freilich diese Ver-
Einleitung.
niemals herauszutreten, uns nie von dieser zu emanzipiren vermögen, so müssten wir solches für ganz hoffnungslos erklären, wenn uns nicht gelegentlich in Gestalt des intuitiven oder unmittelbaren „Einleuchtens“ die Empfindung der Evidenz zuhülfe käme, wenn wir nicht an dem Bewusstsein der letzteren jenes erstere Denken erkennten.
Eine leidenschaftslose eingehende Prüfung der Form unsres Denkens durch unsern Verstand verschafft uns (mit subjektiver Denknotwendig- keit) die Überzeugung, lässt es uns als evident erkennen, dass es all- gemeine Gesetze für das im obigen Sinne „folgerichtige“ Denken gibt, und wie sie beschaffen sein müssen.
Die Erfahrung dieses unmittelbaren Bewusstseins der Evidenz, welches einen Teil unsres Denkens begleitet, und der Glaube an seine Zuverlässigkeit — und demzufolge auch Gemeinverbindlichkeit — ist ein Postulat, über welches nicht zurückgegangen werden kann. Der Glaube an das Recht dieses Gefühls ist der letzte Ankergrund aller Gewissheit überhaupt. Wer dieses nicht anerkennt, für den gibt es keine Wissenschaft, sondern nur zufälliges Meinen (Sigwart1, p. 15).
ϰ) In dem Streben nach unserm Ziele darf uns sonach die Über- zeugung trösten, dass unter bestimmt erkennbaren Umständen die objektive Denknotwendigkeit, auf die wir fahnden, allemal auch zur subjektiven wird. Namentlich fallen beide Denknotwendigkeiten auch immer dann zusammen, wenn es sich um die Vereinigung von unmittel- baren Widersprüchen handelt.
Sehr treffend sagt in dieser Beziehung F. A. Lange1 p. 27 und 28:
„Der Satz des Widerspruchs ist der Punkt, in welchem sich die Naturgesetze des Denkens mit den Normalgesetzen berühren. Jene psychologischen Bedingungen unsrer Vorstellungsbildung, welche durch ihre unabänderliche Thätigkeit im natürlichen, von keiner Regel ge- leiteten Denken sowol Wahrheit als Irrtum in ewig sprudelnder Fülle hervorbringen, werden ergänzt, beschränkt und in ihrer Wirkung zu einem bestimmten Ziele geleitet durch die Thatsache, dass wir Ent- gegengesetztes in unserm Denken nicht vereinigen können, sobald es gleichsam zur Deckung gebracht wird. Der menschliche Geist nimmt die grössten Widersprüche in sich auf, solange er das Entgegengesetzte in verschiedene Gedankenkreise einhegen und so auseinanderhalten kann; allein wenn dieselbe Aussage sich unmittelbar mit ihrem Gegen- teil auf denselben Gegenstand bezieht, so hört diese Fähigkeit der Vereinigung auf; es entsteht völlige Unsicherheit, oder eine der beiden Behauptungen muss weichen. Psychologisch kann freilich diese Ver-
<TEI><text><front><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0033"n="13"/><fwplace="top"type="header">Einleitung.</fw><lb/>
niemals herauszutreten, uns nie von dieser zu emanzipiren vermögen,<lb/>
so müssten wir solches für ganz hoffnungslos erklären, wenn uns nicht<lb/>
gelegentlich in Gestalt des intuitiven oder unmittelbaren „Einleuchtens“<lb/>
die Empfindung der Evidenz zuhülfe käme, wenn wir nicht an dem<lb/>
Bewusstsein der letzteren jenes erstere Denken erkennten.</p><lb/><p>Eine leidenschaftslose eingehende Prüfung der Form unsres Denkens<lb/>
durch unsern Verstand verschafft uns (mit subjektiver Denknotwendig-<lb/>
keit) die Überzeugung, lässt es uns als evident erkennen, dass es all-<lb/>
gemeine Gesetze für das im obigen Sinne „folgerichtige“ Denken gibt,<lb/>
und wie sie beschaffen sein müssen.</p><lb/><p>Die Erfahrung dieses unmittelbaren Bewusstseins der Evidenz,<lb/>
welches einen Teil unsres Denkens begleitet, und der Glaube an seine<lb/>
Zuverlässigkeit — und demzufolge auch Gemeinverbindlichkeit — ist<lb/>
ein Postulat, über welches nicht zurückgegangen werden kann. <hirendition="#i">Der<lb/>
Glaube an das Recht dieses Gefühls ist der letzte Ankergrund aller<lb/>
Gewissheit überhaupt.</hi> Wer dieses nicht anerkennt, für den gibt es<lb/>
keine Wissenschaft, sondern nur zufälliges Meinen (<hirendition="#g">Sigwart</hi><hirendition="#sup">1</hi>, p. 15).</p><lb/><p><hirendition="#i">ϰ</hi>) In dem Streben nach unserm Ziele darf uns sonach die Über-<lb/>
zeugung trösten, dass unter bestimmt erkennbaren Umständen die<lb/>
objektive Denknotwendigkeit, auf die wir fahnden, allemal auch zur<lb/>
subjektiven wird. Namentlich fallen beide Denknotwendigkeiten auch<lb/>
immer dann zusammen, wenn es sich um die Vereinigung von unmittel-<lb/>
baren Widersprüchen handelt.</p><lb/><p>Sehr treffend sagt in dieser Beziehung F. A. <hirendition="#g">Lange</hi><hirendition="#sup">1</hi> p. 27 und 28:</p><lb/><p>„Der Satz des Widerspruchs ist der Punkt, in welchem sich die<lb/><hirendition="#i">Naturgesetze</hi> des Denkens mit den <hirendition="#i">Normalgesetzen</hi> berühren. Jene<lb/>
psychologischen Bedingungen unsrer Vorstellungsbildung, welche durch<lb/>
ihre unabänderliche Thätigkeit im natürlichen, von keiner Regel ge-<lb/>
leiteten Denken sowol Wahrheit als Irrtum in ewig sprudelnder Fülle<lb/>
hervorbringen, werden ergänzt, beschränkt und in ihrer Wirkung zu<lb/>
einem bestimmten Ziele geleitet durch die Thatsache, dass wir Ent-<lb/>
gegengesetztes in unserm Denken nicht vereinigen können, sobald es<lb/>
gleichsam zur Deckung gebracht wird. Der menschliche Geist nimmt<lb/>
die grössten Widersprüche in sich auf, solange er das Entgegengesetzte<lb/>
in verschiedene Gedankenkreise einhegen und so auseinanderhalten<lb/>
kann; allein wenn dieselbe Aussage sich unmittelbar mit ihrem Gegen-<lb/>
teil auf denselben Gegenstand bezieht, so hört diese Fähigkeit der<lb/>
Vereinigung auf; es entsteht völlige Unsicherheit, oder eine der beiden<lb/>
Behauptungen muss weichen. Psychologisch kann freilich diese Ver-<lb/></p></div></div></front></text></TEI>
[13/0033]
Einleitung.
niemals herauszutreten, uns nie von dieser zu emanzipiren vermögen,
so müssten wir solches für ganz hoffnungslos erklären, wenn uns nicht
gelegentlich in Gestalt des intuitiven oder unmittelbaren „Einleuchtens“
die Empfindung der Evidenz zuhülfe käme, wenn wir nicht an dem
Bewusstsein der letzteren jenes erstere Denken erkennten.
Eine leidenschaftslose eingehende Prüfung der Form unsres Denkens
durch unsern Verstand verschafft uns (mit subjektiver Denknotwendig-
keit) die Überzeugung, lässt es uns als evident erkennen, dass es all-
gemeine Gesetze für das im obigen Sinne „folgerichtige“ Denken gibt,
und wie sie beschaffen sein müssen.
Die Erfahrung dieses unmittelbaren Bewusstseins der Evidenz,
welches einen Teil unsres Denkens begleitet, und der Glaube an seine
Zuverlässigkeit — und demzufolge auch Gemeinverbindlichkeit — ist
ein Postulat, über welches nicht zurückgegangen werden kann. Der
Glaube an das Recht dieses Gefühls ist der letzte Ankergrund aller
Gewissheit überhaupt. Wer dieses nicht anerkennt, für den gibt es
keine Wissenschaft, sondern nur zufälliges Meinen (Sigwart1, p. 15).
ϰ) In dem Streben nach unserm Ziele darf uns sonach die Über-
zeugung trösten, dass unter bestimmt erkennbaren Umständen die
objektive Denknotwendigkeit, auf die wir fahnden, allemal auch zur
subjektiven wird. Namentlich fallen beide Denknotwendigkeiten auch
immer dann zusammen, wenn es sich um die Vereinigung von unmittel-
baren Widersprüchen handelt.
Sehr treffend sagt in dieser Beziehung F. A. Lange1 p. 27 und 28:
„Der Satz des Widerspruchs ist der Punkt, in welchem sich die
Naturgesetze des Denkens mit den Normalgesetzen berühren. Jene
psychologischen Bedingungen unsrer Vorstellungsbildung, welche durch
ihre unabänderliche Thätigkeit im natürlichen, von keiner Regel ge-
leiteten Denken sowol Wahrheit als Irrtum in ewig sprudelnder Fülle
hervorbringen, werden ergänzt, beschränkt und in ihrer Wirkung zu
einem bestimmten Ziele geleitet durch die Thatsache, dass wir Ent-
gegengesetztes in unserm Denken nicht vereinigen können, sobald es
gleichsam zur Deckung gebracht wird. Der menschliche Geist nimmt
die grössten Widersprüche in sich auf, solange er das Entgegengesetzte
in verschiedene Gedankenkreise einhegen und so auseinanderhalten
kann; allein wenn dieselbe Aussage sich unmittelbar mit ihrem Gegen-
teil auf denselben Gegenstand bezieht, so hört diese Fähigkeit der
Vereinigung auf; es entsteht völlige Unsicherheit, oder eine der beiden
Behauptungen muss weichen. Psychologisch kann freilich diese Ver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/33>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.