Strebungen -- auch schon fertiger Gedanken und Überzeugungen -- findet der reifere Mensch, wenn er anfängt, über sich und die Welt nachzudenken, zu reflektiren, in seinem Bewusstsein bereits vereinigt. Jedenfalls -- um nur das allerwenigste zu sagen -- vermögen wir Ver- schiedenes in unserm Bewusstsein zu unterscheiden, wir finden Mancherlei in ihm zusammengefasst. Auch ist der Inhalt des Bewusstseins teilweise in Veränderung begriffen; Einzelnes in ihm Vorhandene schwindet aus demselben, nicht vorhanden Gewesenes wird erzeugt, Getrenntes ver- knüpft, Verbundenes gesondert.
Solche Thätigkeit des menschlichen Geistes, welche wir Denken im weitesten Sinne des Worts nennen (mit andern Worten Innewerden, Bewusstwerden), und welche dessen ganzes Dasein ausfüllt, besteht also jedenfalls wesentlich mit in einer Vereinigung von Mannigfaltigem im Bewusstsein.
Schon dieser Vorgang hat, genauer besehen, etwas höchst Rätsel- haftes, um nicht zu sagen: geradezu Unbegreifliches.
Der naive, der ungeschulte Verstand, der Verstand auch des Mannes der Praxis, der nur gewohnt ist, über die Dinge der Aussenwelt in Bezug auf diese selbst zu urteilen, dagegen vernachlässigt auch nachzudenken über die Vorgänge, welche im denkenden Subjekte hierbei stattfinden (sowie über die Beziehungen zwischen diesen und jenen), mag sich vielleicht mit Er- forschung von Unbekanntem, mit der Lösung von Problemen beschäftigen, doch pflegt er nirgends Unbegreifliches zu erblicken. Dass solches wol vor- handen sein müsse*), wird er eventuell erst mit Verwunderung inne, wenn er versucht, in den Sinn der philosophischen Lehrmeinungen einzudringen und auf den Widerstreit von diesen stösst. Wer dann aber, mit der Vor- sicht, zu welcher die Wahrnehmung solcher Diskrepanz auffordern muss, ernstlich strebt in den Born der Erkenntniss einzudringen, wird fast auf Schritt und Tritt gewahr, wie wenig gefestet, bestimmt und vollendet auch die ihm geläufigsten Begriffe sich erweisen, ja wie wenig oft die für un- erschütterlich gehaltenen Grundlagen seines gesamten Denkens feststehen.
o) Um jenen Vorgang der Zusammenfassung oder Verknüpfung von Mehrerlei zu einer Einheit im Bewusstsein auf sein einfachstes Urbild zu reduziren, fassen wir einmal den Fall in's Auge, wo das denkende Subjekt nur zwei Dinge, z. B. Sinneseindrücke in seinem Bewusstsein vereinigt. Die Sache wird am deutlichsten, wenn wir diese aus verschiedenen Sinnesenergieen entlehnen.
Man hört den Knall des nahen Blitzes, während der Lichteindruck desselben noch nachklingt. Es sind ja wol verschiedene Organe des
*) Schon das blosse Dasein kann dafür gelten, wie denn jener indische Weise, dessen L. Büchner Erwähnung thut, sich jeden Morgen von neuem wunderte, dass überhaupt etwas ist, und nicht nichts ist.
2*
Einleitung.
Strebungen — auch schon fertiger Gedanken und Überzeugungen — findet der reifere Mensch, wenn er anfängt, über sich und die Welt nachzudenken, zu reflektiren, in seinem Bewusstsein bereits vereinigt. Jedenfalls — um nur das allerwenigste zu sagen — vermögen wir Ver- schiedenes in unserm Bewusstsein zu unterscheiden, wir finden Mancherlei in ihm zusammengefasst. Auch ist der Inhalt des Bewusstseins teilweise in Veränderung begriffen; Einzelnes in ihm Vorhandene schwindet aus demselben, nicht vorhanden Gewesenes wird erzeugt, Getrenntes ver- knüpft, Verbundenes gesondert.
Solche Thätigkeit des menschlichen Geistes, welche wir Denken im weitesten Sinne des Worts nennen (mit andern Worten Innewerden, Bewusstwerden), und welche dessen ganzes Dasein ausfüllt, besteht also jedenfalls wesentlich mit in einer Vereinigung von Mannigfaltigem im Bewusstsein.
Schon dieser Vorgang hat, genauer besehen, etwas höchst Rätsel- haftes, um nicht zu sagen: geradezu Unbegreifliches.
Der naive, der ungeschulte Verstand, der Verstand auch des Mannes der Praxis, der nur gewohnt ist, über die Dinge der Aussenwelt in Bezug auf diese selbst zu urteilen, dagegen vernachlässigt auch nachzudenken über die Vorgänge, welche im denkenden Subjekte hierbei stattfinden (sowie über die Beziehungen zwischen diesen und jenen), mag sich vielleicht mit Er- forschung von Unbekanntem, mit der Lösung von Problemen beschäftigen, doch pflegt er nirgends Unbegreifliches zu erblicken. Dass solches wol vor- handen sein müsse*), wird er eventuell erst mit Verwunderung inne, wenn er versucht, in den Sinn der philosophischen Lehrmeinungen einzudringen und auf den Widerstreit von diesen stösst. Wer dann aber, mit der Vor- sicht, zu welcher die Wahrnehmung solcher Diskrepanz auffordern muss, ernstlich strebt in den Born der Erkenntniss einzudringen, wird fast auf Schritt und Tritt gewahr, wie wenig gefestet, bestimmt und vollendet auch die ihm geläufigsten Begriffe sich erweisen, ja wie wenig oft die für un- erschütterlich gehaltenen Grundlagen seines gesamten Denkens feststehen.
ο) Um jenen Vorgang der Zusammenfassung oder Verknüpfung von Mehrerlei zu einer Einheit im Bewusstsein auf sein einfachstes Urbild zu reduziren, fassen wir einmal den Fall in's Auge, wo das denkende Subjekt nur zwei Dinge, z. B. Sinneseindrücke in seinem Bewusstsein vereinigt. Die Sache wird am deutlichsten, wenn wir diese aus verschiedenen Sinnesenergieen entlehnen.
Man hört den Knall des nahen Blitzes, während der Lichteindruck desselben noch nachklingt. Es sind ja wol verschiedene Organe des
*) Schon das blosse Dasein kann dafür gelten, wie denn jener indische Weise, dessen L. Büchner Erwähnung thut, sich jeden Morgen von neuem wunderte, dass überhaupt etwas ist, und nicht nichts ist.
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Einleitung.
Strebungen — auch schon fertiger Gedanken und Überzeugungen —
findet der reifere Mensch, wenn er anfängt, über sich und die Welt
nachzudenken, zu reflektiren, in seinem Bewusstsein bereits vereinigt.
Jedenfalls — um nur das allerwenigste zu sagen — vermögen wir Ver-
schiedenes in unserm Bewusstsein zu unterscheiden, wir finden Mancherlei in
ihm zusammengefasst. Auch ist der Inhalt des Bewusstseins teilweise
in Veränderung begriffen; Einzelnes in ihm Vorhandene schwindet aus
demselben, nicht vorhanden Gewesenes wird erzeugt, Getrenntes ver-
knüpft, Verbundenes gesondert.
Solche Thätigkeit des menschlichen Geistes, welche wir Denken
im weitesten Sinne des Worts nennen (mit andern Worten Innewerden,
Bewusstwerden), und welche dessen ganzes Dasein ausfüllt, besteht
also jedenfalls wesentlich mit in einer Vereinigung von Mannigfaltigem
im Bewusstsein.
Schon dieser Vorgang hat, genauer besehen, etwas höchst Rätsel-
haftes, um nicht zu sagen: geradezu Unbegreifliches.
Der naive, der ungeschulte Verstand, der Verstand auch des Mannes
der Praxis, der nur gewohnt ist, über die Dinge der Aussenwelt in Bezug
auf diese selbst zu urteilen, dagegen vernachlässigt auch nachzudenken über
die Vorgänge, welche im denkenden Subjekte hierbei stattfinden (sowie über
die Beziehungen zwischen diesen und jenen), mag sich vielleicht mit Er-
forschung von Unbekanntem, mit der Lösung von Problemen beschäftigen,
doch pflegt er nirgends Unbegreifliches zu erblicken. Dass solches wol vor-
handen sein müsse *), wird er eventuell erst mit Verwunderung inne, wenn
er versucht, in den Sinn der philosophischen Lehrmeinungen einzudringen
und auf den Widerstreit von diesen stösst. Wer dann aber, mit der Vor-
sicht, zu welcher die Wahrnehmung solcher Diskrepanz auffordern muss,
ernstlich strebt in den Born der Erkenntniss einzudringen, wird fast auf
Schritt und Tritt gewahr, wie wenig gefestet, bestimmt und vollendet auch
die ihm geläufigsten Begriffe sich erweisen, ja wie wenig oft die für un-
erschütterlich gehaltenen Grundlagen seines gesamten Denkens feststehen.
ο) Um jenen Vorgang der Zusammenfassung oder Verknüpfung
von Mehrerlei zu einer Einheit im Bewusstsein auf sein einfachstes
Urbild zu reduziren, fassen wir einmal den Fall in's Auge, wo das
denkende Subjekt nur zwei Dinge, z. B. Sinneseindrücke in seinem
Bewusstsein vereinigt. Die Sache wird am deutlichsten, wenn wir
diese aus verschiedenen Sinnesenergieen entlehnen.
Man hört den Knall des nahen Blitzes, während der Lichteindruck
desselben noch nachklingt. Es sind ja wol verschiedene Organe des
*) Schon das blosse Dasein kann dafür gelten, wie denn jener indische
Weise, dessen L. Büchner Erwähnung thut, sich jeden Morgen von neuem
wunderte, dass überhaupt etwas ist, und nicht nichts ist.
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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/39>, abgerufen am 21.11.2024.
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