Körpers, welche den Schall und den Lichteindruck aufnehmen und dem Träger des Bewusstseins, dem Gehirne übermitteln; auch von letzterem mögen noch verschiedene Teile bei der Übernahme der beiderlei Botschaften vorzugsweise beteiligt sein. Gleichwol ist der Vorgang von ganz anderer Natur, als wenn etwa ein Wesen, das blos zu hören vermag, den Donner vernähme, und ein anderes Wesen, das blos sieht, das Aufleuchten des Blitzes wahrnähme, welche beiden Wesen nimmermehr auf einander einzuwirken, einander etwas mit- zuteilen, von einander zu wissen in der Lage wären, weil das erste zur Aufnahme von Lichteindrücken unfähig, blind, das zweite taub wäre. Vielmehr ist es ein einheitliches Bewusstsein, in welchem beide Eindrücke zusammenfallen, koinzidiren, in eins verschmelzen (das heisst doch wol: sich ver-ein-igen), und dennoch unterscheidbar bleiben!
Dasselbe, wie in Bezug auf diese verschiedenartigen Sinnesein- drücke, würde sich auch ausführen lassen in Bezug auf die verschiedenen Eindrücke, welche uns von einerlei Sinnesorgan übermittelt werden, z. B. für den Fall, wo wir zwei Lichtpunkte, oder sagen wir zwei Kreidestriche auf der Schultafel, gleichzeitig wahrnehmen. Treffen auch die von beiden Strichen entsendeten Strahlen, fallen ihre (um- gekehrten) Bilder auch auf verschiedene Stellen der Netzhaut, so werden schliesslich doch die Eindrücke beider im selben Bewusstsein vereinigt, und in dieser Hinsicht würde die Sache nicht anders liegen, wenn etwa der eine der beiden Striche, oder auch beide, anstatt wahr- genommene, blos vorgestellte, Erinnerungsbilder z. B. wären.
Die Annahme, es sei gar nicht möglich, zwei (wahrgenommenen oder blos gedachten) Dingen zugleich Aufmerksamkeit zu schenken, vielmehr springe letztere immer nur zwischen beiden hin und her, scheint der Schwierigkeit, die sie zu heben trachtet, nicht mit Erfolg aus dem Wege zu gehen. Es ist doch jedenfalls zuzugeben, dass wir zwei Striche -- mit dem Augenmaass z. B. -- nach ihrer Länge vergleichen können, und dieses wäre ganz undenkbar, wenn nicht wenigstens ein Erinnerungsbild vom einen festgehalten und zum andern mit herübergenommen würde, in Bezug auf welches wir eben zu beurteilen vermögen, ob es mit diesem sich deckt oder nicht. Die so überaus häufige Thätigkeit des Geistes, welche auf die Wahrnehmung oder Herstellung von Beziehungen zwischen Objekten des Denkens hinausläuft, scheint deren gleichzeitige Betrachtung zur unerläss- lichen Voraussetzung zu haben. Nie würden wir -- um noch ein anderes Beispiel zu wählen -- ein Wort zu lesen im Stande sein, wenn im Bewusst- sein nicht (die Auffassung von) mehr als ein(em) Buchstaben auf einmal Raum hätte. Nicht nur blos gewissermassen schlummernd, latent im Bewusstsein überhaupt, sondern selbst im Felde der Aufmerksamkeit ver- mögen wir also zwei oder mehrere Wahrnehmungen oder auch Vorstellungen zu vereinigen.
Einleitung.
Körpers, welche den Schall und den Lichteindruck aufnehmen und dem Träger des Bewusstseins, dem Gehirne übermitteln; auch von letzterem mögen noch verschiedene Teile bei der Übernahme der beiderlei Botschaften vorzugsweise beteiligt sein. Gleichwol ist der Vorgang von ganz anderer Natur, als wenn etwa ein Wesen, das blos zu hören vermag, den Donner vernähme, und ein anderes Wesen, das blos sieht, das Aufleuchten des Blitzes wahrnähme, welche beiden Wesen nimmermehr auf einander einzuwirken, einander etwas mit- zuteilen, von einander zu wissen in der Lage wären, weil das erste zur Aufnahme von Lichteindrücken unfähig, blind, das zweite taub wäre. Vielmehr ist es ein einheitliches Bewusstsein, in welchem beide Eindrücke zusammenfallen, koinzidiren, in eins verschmelzen (das heisst doch wol: sich ver-ein-igen), und dennoch unterscheidbar bleiben!
Dasselbe, wie in Bezug auf diese verschiedenartigen Sinnesein- drücke, würde sich auch ausführen lassen in Bezug auf die verschiedenen Eindrücke, welche uns von einerlei Sinnesorgan übermittelt werden, z. B. für den Fall, wo wir zwei Lichtpunkte, oder sagen wir zwei Kreidestriche auf der Schultafel, gleichzeitig wahrnehmen. Treffen auch die von beiden Strichen entsendeten Strahlen, fallen ihre (um- gekehrten) Bilder auch auf verschiedene Stellen der Netzhaut, so werden schliesslich doch die Eindrücke beider im selben Bewusstsein vereinigt, und in dieser Hinsicht würde die Sache nicht anders liegen, wenn etwa der eine der beiden Striche, oder auch beide, anstatt wahr- genommene, blos vorgestellte, Erinnerungsbilder z. B. wären.
Die Annahme, es sei gar nicht möglich, zwei (wahrgenommenen oder blos gedachten) Dingen zugleich Aufmerksamkeit zu schenken, vielmehr springe letztere immer nur zwischen beiden hin und her, scheint der Schwierigkeit, die sie zu heben trachtet, nicht mit Erfolg aus dem Wege zu gehen. Es ist doch jedenfalls zuzugeben, dass wir zwei Striche — mit dem Augenmaass z. B. — nach ihrer Länge vergleichen können, und dieses wäre ganz undenkbar, wenn nicht wenigstens ein Erinnerungsbild vom einen festgehalten und zum andern mit herübergenommen würde, in Bezug auf welches wir eben zu beurteilen vermögen, ob es mit diesem sich deckt oder nicht. Die so überaus häufige Thätigkeit des Geistes, welche auf die Wahrnehmung oder Herstellung von Beziehungen zwischen Objekten des Denkens hinausläuft, scheint deren gleichzeitige Betrachtung zur unerläss- lichen Voraussetzung zu haben. Nie würden wir — um noch ein anderes Beispiel zu wählen — ein Wort zu lesen im Stande sein, wenn im Bewusst- sein nicht (die Auffassung von) mehr als ein(em) Buchstaben auf einmal Raum hätte. Nicht nur blos gewissermassen schlummernd, latent im Bewusstsein überhaupt, sondern selbst im Felde der Aufmerksamkeit ver- mögen wir also zwei oder mehrere Wahrnehmungen oder auch Vorstellungen zu vereinigen.
<TEI><text><front><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0040"n="20"/><fwplace="top"type="header">Einleitung.</fw><lb/>
Körpers, welche den Schall und den Lichteindruck aufnehmen und<lb/>
dem Träger des Bewusstseins, dem Gehirne übermitteln; auch von<lb/>
letzterem mögen noch verschiedene Teile bei der Übernahme der<lb/>
beiderlei Botschaften vorzugsweise beteiligt sein. Gleichwol ist der<lb/>
Vorgang von ganz anderer Natur, als wenn etwa <hirendition="#i">ein</hi> Wesen, das blos<lb/>
zu hören vermag, den Donner vernähme, und <hirendition="#i">ein anderes</hi> Wesen, das<lb/>
blos sieht, das Aufleuchten des Blitzes wahrnähme, welche beiden<lb/>
Wesen nimmermehr auf einander einzuwirken, einander etwas mit-<lb/>
zuteilen, von einander zu wissen in der Lage wären, weil das erste<lb/>
zur Aufnahme von Lichteindrücken unfähig, blind, das zweite taub<lb/>
wäre. Vielmehr ist es <hirendition="#i">ein</hi> einheitliches Bewusstsein, in welchem beide<lb/>
Eindrücke zusammenfallen, koinzidiren, in eins verschmelzen (das heisst<lb/>
doch wol: sich ver-<hirendition="#i">ein</hi>-igen), und dennoch unterscheidbar bleiben!</p><lb/><p>Dasselbe, wie in Bezug auf diese verschiedenartigen Sinnesein-<lb/>
drücke, würde sich auch ausführen lassen in Bezug auf die verschiedenen<lb/>
Eindrücke, welche uns von einerlei Sinnesorgan übermittelt werden,<lb/>
z. B. für den Fall, wo wir zwei Lichtpunkte, oder sagen wir zwei<lb/>
Kreidestriche auf der Schultafel, gleichzeitig wahrnehmen. Treffen<lb/>
auch die von beiden Strichen entsendeten Strahlen, fallen ihre (um-<lb/>
gekehrten) Bilder auch auf verschiedene Stellen der Netzhaut, so werden<lb/>
schliesslich doch die Eindrücke beider im selben Bewusstsein vereinigt,<lb/>
und in dieser Hinsicht würde die Sache nicht anders liegen, wenn<lb/>
etwa der eine der beiden Striche, oder auch beide, anstatt wahr-<lb/>
genommene, blos vorgestellte, Erinnerungsbilder z. B. wären.</p><lb/><p>Die Annahme, es sei gar nicht möglich, zwei (wahrgenommenen oder<lb/>
blos gedachten) Dingen zugleich Aufmerksamkeit zu schenken, vielmehr<lb/>
springe letztere immer nur zwischen beiden hin und her, scheint der<lb/>
Schwierigkeit, die sie zu heben trachtet, nicht mit Erfolg aus dem Wege<lb/>
zu gehen. Es ist doch jedenfalls zuzugeben, dass wir zwei Striche — mit<lb/>
dem Augenmaass z. B. — nach ihrer Länge <hirendition="#i">vergleichen</hi> können, und dieses<lb/>
wäre ganz undenkbar, wenn nicht wenigstens ein Erinnerungsbild vom einen<lb/>
festgehalten und zum andern mit herübergenommen würde, in Bezug auf<lb/>
welches wir eben zu beurteilen vermögen, ob es mit diesem sich deckt<lb/>
oder nicht. Die so überaus häufige Thätigkeit des Geistes, welche auf die<lb/>
Wahrnehmung oder Herstellung von <hirendition="#i">Beziehungen</hi> zwischen Objekten des<lb/>
Denkens hinausläuft, scheint deren gleichzeitige Betrachtung zur unerläss-<lb/>
lichen Voraussetzung zu haben. Nie würden wir — um noch ein anderes<lb/>
Beispiel zu wählen — ein Wort zu lesen im Stande sein, wenn im Bewusst-<lb/>
sein nicht (die Auffassung von) mehr als <hirendition="#i">ein(em)</hi> Buchstaben auf einmal<lb/>
Raum hätte. Nicht nur blos gewissermassen schlummernd, latent im<lb/>
Bewusstsein überhaupt, sondern selbst im Felde der Aufmerksamkeit ver-<lb/>
mögen wir also zwei oder mehrere Wahrnehmungen oder auch Vorstellungen<lb/>
zu vereinigen.</p><lb/></div></div></front></text></TEI>
[20/0040]
Einleitung.
Körpers, welche den Schall und den Lichteindruck aufnehmen und
dem Träger des Bewusstseins, dem Gehirne übermitteln; auch von
letzterem mögen noch verschiedene Teile bei der Übernahme der
beiderlei Botschaften vorzugsweise beteiligt sein. Gleichwol ist der
Vorgang von ganz anderer Natur, als wenn etwa ein Wesen, das blos
zu hören vermag, den Donner vernähme, und ein anderes Wesen, das
blos sieht, das Aufleuchten des Blitzes wahrnähme, welche beiden
Wesen nimmermehr auf einander einzuwirken, einander etwas mit-
zuteilen, von einander zu wissen in der Lage wären, weil das erste
zur Aufnahme von Lichteindrücken unfähig, blind, das zweite taub
wäre. Vielmehr ist es ein einheitliches Bewusstsein, in welchem beide
Eindrücke zusammenfallen, koinzidiren, in eins verschmelzen (das heisst
doch wol: sich ver-ein-igen), und dennoch unterscheidbar bleiben!
Dasselbe, wie in Bezug auf diese verschiedenartigen Sinnesein-
drücke, würde sich auch ausführen lassen in Bezug auf die verschiedenen
Eindrücke, welche uns von einerlei Sinnesorgan übermittelt werden,
z. B. für den Fall, wo wir zwei Lichtpunkte, oder sagen wir zwei
Kreidestriche auf der Schultafel, gleichzeitig wahrnehmen. Treffen
auch die von beiden Strichen entsendeten Strahlen, fallen ihre (um-
gekehrten) Bilder auch auf verschiedene Stellen der Netzhaut, so werden
schliesslich doch die Eindrücke beider im selben Bewusstsein vereinigt,
und in dieser Hinsicht würde die Sache nicht anders liegen, wenn
etwa der eine der beiden Striche, oder auch beide, anstatt wahr-
genommene, blos vorgestellte, Erinnerungsbilder z. B. wären.
Die Annahme, es sei gar nicht möglich, zwei (wahrgenommenen oder
blos gedachten) Dingen zugleich Aufmerksamkeit zu schenken, vielmehr
springe letztere immer nur zwischen beiden hin und her, scheint der
Schwierigkeit, die sie zu heben trachtet, nicht mit Erfolg aus dem Wege
zu gehen. Es ist doch jedenfalls zuzugeben, dass wir zwei Striche — mit
dem Augenmaass z. B. — nach ihrer Länge vergleichen können, und dieses
wäre ganz undenkbar, wenn nicht wenigstens ein Erinnerungsbild vom einen
festgehalten und zum andern mit herübergenommen würde, in Bezug auf
welches wir eben zu beurteilen vermögen, ob es mit diesem sich deckt
oder nicht. Die so überaus häufige Thätigkeit des Geistes, welche auf die
Wahrnehmung oder Herstellung von Beziehungen zwischen Objekten des
Denkens hinausläuft, scheint deren gleichzeitige Betrachtung zur unerläss-
lichen Voraussetzung zu haben. Nie würden wir — um noch ein anderes
Beispiel zu wählen — ein Wort zu lesen im Stande sein, wenn im Bewusst-
sein nicht (die Auffassung von) mehr als ein(em) Buchstaben auf einmal
Raum hätte. Nicht nur blos gewissermassen schlummernd, latent im
Bewusstsein überhaupt, sondern selbst im Felde der Aufmerksamkeit ver-
mögen wir also zwei oder mehrere Wahrnehmungen oder auch Vorstellungen
zu vereinigen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/40>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.