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Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890.

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Zehnte Vorlesung.
a = Kaufmann, b = Russe, c = Europäer, d = Grundbesitzer, u = ge-
bildet, v = patriotisch
gelten lässt und beginnt, die Bedeutung der linken Seite unsrer Gleichung
gemäss der in § 8 und 16 dargelegten Regeln in Worten zu beschreiben!

Man wende nicht ein, dass so komplizirte Ausdrücke nicht vorkommen,
blos künstlich ersonnen seien. Solange die Mittel zu ihrer Handhabung
und praktisch schon zu ihrer Einkleidung fehlen, solange Methoden und
Wege dahin noch nicht einmal eröffnet sind, müssen ja Aufgaben, die
solche Ausdrücke involviren könnten, natürlich unzugänglich bleiben. So-
fern aber die Philosophie die Ausbildung solch' exakter Methoden ver-
schmähte, müsste sie wol ewig im Phrasentum stecken bleiben, wobei es
allerdings unbenommen bliebe, fort und fort in immer neuen Tonarten zu
variiren, wie weit man es darin gebracht. Gleichwie vielmehr die reine Mathe-
matik auf dem Zahlengebiete noch immer nicht auf die Höhe gelangt ist, solche
Komplikationen zu bewältigen, wie sie die Anwendungen auf selbst ver-
hältnissmässig noch ganz einfache Aufgaben der Physik und Technik ihr
zumuten, so werden zweifelsohne auch bei den zu erhoffenden Anwendungen
der geläuterten Methoden unsrer Logik auf die Probleme der "wahren
Philosophie" (vergl. Descartes -- S. 94) die Komplikationen jeder Art
nicht ausbleiben.

Exempel 3. Es erweist sich auch nach unserm Zusatze:
a b u v1 + (a1 + b1) u1 v + u (a b1 + a1 b) = w
als vollkommen unbestimmt oder willkürlich, unbeschränkt jedes Gebiet
zu bedeuten fähig, man könnte sagen: geradezu als "alldeutig". --

Die Aufgabe, eine Funktion nach ihren Buchstabensymbolen zu
entwickeln, deckt sich nicht mit der Anforderung, dieselbe auf ihren
formell einfachsten
Ausdruck zu bringen -- wohl aber kann das ein-
schlägige Theorem 44) behufs Lösung der letzteren oft mit Vorteil
zugezogen werden.

Während aber jene Aufgabe als eine vollkommen bestimmte sich
erwies, so ist solches mit dieser nicht der Fall: es bleibt für eine
Funktion zuweilen die Wahl zwischen mehreren gleich einfachen "ein-
fachsten" Ausdrücken. Es genügt dies durch Beispiele zu belegen: so
sind -- vergl. meinen Operationskreis2, p. 27, Z. 20 v. o. -- die beiden
äquivalenten Ausdrücke:
a (b + c1) + a1 b1 = a b + (a1 + c1)b1
gleich einfachen Baues und lassen doch sich nicht weiter reduziren;
vergleiche auch ein schon in § 18 unter b1) behandeltes Exempel (wo
sich die Methode angegeben findet, die Nichtunterdrückbarkeit eines
Operationsgliedes, wo sie vorliegt, nachzuweisen).

Auf diesem Umstande beruht es wol, dass zur Lösung der Auf-

Zehnte Vorlesung.
a = Kaufmann, b = Russe, c = Europäer, d = Grundbesitzer, u = ge-
bildet, v = patriotisch
gelten lässt und beginnt, die Bedeutung der linken Seite unsrer Gleichung
gemäss der in § 8 und 16 dargelegten Regeln in Worten zu beschreiben!

Man wende nicht ein, dass so komplizirte Ausdrücke nicht vorkommen,
blos künstlich ersonnen seien. Solange die Mittel zu ihrer Handhabung
und praktisch schon zu ihrer Einkleidung fehlen, solange Methoden und
Wege dahin noch nicht einmal eröffnet sind, müssen ja Aufgaben, die
solche Ausdrücke involviren könnten, natürlich unzugänglich bleiben. So-
fern aber die Philosophie die Ausbildung solch' exakter Methoden ver-
schmähte, müsste sie wol ewig im Phrasentum stecken bleiben, wobei es
allerdings unbenommen bliebe, fort und fort in immer neuen Tonarten zu
variiren, wie weit man es darin gebracht. Gleichwie vielmehr die reine Mathe-
matik auf dem Zahlengebiete noch immer nicht auf die Höhe gelangt ist, solche
Komplikationen zu bewältigen, wie sie die Anwendungen auf selbst ver-
hältnissmässig noch ganz einfache Aufgaben der Physik und Technik ihr
zumuten, so werden zweifelsohne auch bei den zu erhoffenden Anwendungen
der geläuterten Methoden unsrer Logik auf die Probleme der „wahren
Philosophie“ (vergl. Descartes — S. 94) die Komplikationen jeder Art
nicht ausbleiben.

Exempel 3. Es erweist sich auch nach unserm Zusatze:
a b u v1 + (a1 + b1) u1 v + u (a b1 + a1 b) = w
als vollkommen unbestimmt oder willkürlich, unbeschränkt jedes Gebiet
zu bedeuten fähig, man könnte sagen: geradezu als „alldeutig“. —

Die Aufgabe, eine Funktion nach ihren Buchstabensymbolen zu
entwickeln, deckt sich nicht mit der Anforderung, dieselbe auf ihren
formell einfachsten
Ausdruck zu bringen — wohl aber kann das ein-
schlägige Theorem 44) behufs Lösung der letzteren oft mit Vorteil
zugezogen werden.

Während aber jene Aufgabe als eine vollkommen bestimmte sich
erwies, so ist solches mit dieser nicht der Fall: es bleibt für eine
Funktion zuweilen die Wahl zwischen mehreren gleich einfachen „ein-
fachsten“ Ausdrücken. Es genügt dies durch Beispiele zu belegen: so
sind — vergl. meinen Operationskreis2, p. 27, Z. 20 v. o. — die beiden
äquivalenten Ausdrücke:
a (b + c1) + a1 b1 = a b + (a1 + c1)b1
gleich einfachen Baues und lassen doch sich nicht weiter reduziren;
vergleiche auch ein schon in § 18 unter β1) behandeltes Exempel (wo
sich die Methode angegeben findet, die Nichtunterdrückbarkeit eines
Operationsgliedes, wo sie vorliegt, nachzuweisen).

Auf diesem Umstande beruht es wol, dass zur Lösung der Auf-

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[432/0452] Zehnte Vorlesung. a = Kaufmann, b = Russe, c = Europäer, d = Grundbesitzer, u = ge- bildet, v = patriotisch gelten lässt und beginnt, die Bedeutung der linken Seite unsrer Gleichung gemäss der in § 8 und 16 dargelegten Regeln in Worten zu beschreiben! Man wende nicht ein, dass so komplizirte Ausdrücke nicht vorkommen, blos künstlich ersonnen seien. Solange die Mittel zu ihrer Handhabung und praktisch schon zu ihrer Einkleidung fehlen, solange Methoden und Wege dahin noch nicht einmal eröffnet sind, müssen ja Aufgaben, die solche Ausdrücke involviren könnten, natürlich unzugänglich bleiben. So- fern aber die Philosophie die Ausbildung solch' exakter Methoden ver- schmähte, müsste sie wol ewig im Phrasentum stecken bleiben, wobei es allerdings unbenommen bliebe, fort und fort in immer neuen Tonarten zu variiren, wie weit man es darin gebracht. Gleichwie vielmehr die reine Mathe- matik auf dem Zahlengebiete noch immer nicht auf die Höhe gelangt ist, solche Komplikationen zu bewältigen, wie sie die Anwendungen auf selbst ver- hältnissmässig noch ganz einfache Aufgaben der Physik und Technik ihr zumuten, so werden zweifelsohne auch bei den zu erhoffenden Anwendungen der geläuterten Methoden unsrer Logik auf die Probleme der „wahren Philosophie“ (vergl. Descartes — S. 94) die Komplikationen jeder Art nicht ausbleiben. Exempel 3. Es erweist sich auch nach unserm Zusatze: a b u v1 + (a1 + b1) u1 v + u (a b1 + a1 b) = w als vollkommen unbestimmt oder willkürlich, unbeschränkt jedes Gebiet zu bedeuten fähig, man könnte sagen: geradezu als „alldeutig“. — Die Aufgabe, eine Funktion nach ihren Buchstabensymbolen zu entwickeln, deckt sich nicht mit der Anforderung, dieselbe auf ihren formell einfachsten Ausdruck zu bringen — wohl aber kann das ein- schlägige Theorem 44) behufs Lösung der letzteren oft mit Vorteil zugezogen werden. Während aber jene Aufgabe als eine vollkommen bestimmte sich erwies, so ist solches mit dieser nicht der Fall: es bleibt für eine Funktion zuweilen die Wahl zwischen mehreren gleich einfachen „ein- fachsten“ Ausdrücken. Es genügt dies durch Beispiele zu belegen: so sind — vergl. meinen Operationskreis2, p. 27, Z. 20 v. o. — die beiden äquivalenten Ausdrücke: a (b + c1) + a1 b1 = a b + (a1 + c1)b1 gleich einfachen Baues und lassen doch sich nicht weiter reduziren; vergleiche auch ein schon in § 18 unter β1) behandeltes Exempel (wo sich die Methode angegeben findet, die Nichtunterdrückbarkeit eines Operationsgliedes, wo sie vorliegt, nachzuweisen). Auf diesem Umstande beruht es wol, dass zur Lösung der Auf-

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Zitationshilfe: Schröder, Ernst: Vorlesungen über die Algebra der Logik. Bd. 1. Leipzig, 1890, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schroeder_logik01_1890/452>, abgerufen am 22.11.2024.